35. Kapitel

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G E O R G I E




Ich schwebte im Nichts, konnte nicht Atmen, nichts sehen, nichts fühlen. Dann, nicht einmal einen Sekundenbruchteil später, knallte ich auf einen harten, unebenen Untergrund auf.

Ich stöhnte leise. Dann stiess ich mich schwankend vom Boden auf. Es war dunkel. Stockdunkel. Ich blinzelte, wartete, bis meine Nachtsicht einschaltete, während mir kalter Schweiss ausbrach.

Keine Panik. Nur keine Panik. Beruhigte ich mich selbst, doch das war einfach gesagt als getan. Mein Puls raste, Blut rauschte in meinen Ohren. Ich sah mich um, während kleine Kieselsteine sich in meine Handfläche gruben. Ich befand mich in einem überdachten Gang. Eine tiefe Kappendecke, Fackeln, die ausgelöscht waren. Keine Menschenseele war hier.

Ich rappelte mich auf, und die Portalreise musste mein Gleichgewicht durcheinandergebracht haben, denn ich stolperte und konnte mich noch im letzten Moment an der Wand abstützen. 

Etwas spitzes drückte gegen meine Haut. Ich nahm langsam meine Hand von der Wand, und betrachtete sie genauer, als ich wie am Spiess aufschrie.

Das war keine Gewöhnliche Wand. Weder Backstein noch Beton. Es war eine Wand aus Knochen. Menschenknochen. Und das Spitzige, das sich meine Haut gestochen hat, war der Zahn eines Totenschädels.

Ich rannte los. Meine Stiefel schlugen auf dem Boden auf. Die Knochenwand erstreckte sich über den gesamten Korridor. Dann bog ich ab, durch einen grossen Bogen und trat in ein unterirdisches, geräumiges Gewölbekomplex. Meine Schritte stockten als ich die einzelnen, eingebuchteten Nischen parierte, die aus der Wand gehauene Senkgräber enthielten. Ich wusste, was das für ein Ort war.

Katakomben.

Ich befand mich in einem Beinhaus, eine unterirdische in Felsen gehauene Grabkammer. Ich drehte mich um die eigene Achse. Ich wusste weder, wo ich war, noch wie ich hier rauskam. Wie ich wieder zurück fand. Furcht schnürte mir die Kehle zu.

Ich lief den dunklen Gang runter. Denk nach. Denk nach Georgie. Ich hatte den Kristall nicht bei mir, ein Portal zu rufen, kam also nicht in Frage.

Georgie, hier lang! Wir sind hieeeeeeeeer!

Die Schattenstimmen hallten durch meinen Kopf, als ein grosser, runder Spiegel auf dem Boden vor mir erschien, mitten im Gang. Neugierde packte mich und ich trat näher. Das war kein Spiegel, es sah eher aus, wie die eingefrorene Oberfläche eines Sees.

Ich kniete mich hin, meine dunklen Haare fielen mir wie ein Vorhang ums Gesicht und mein Spiegelbild blickte mir entgegen. Ich streckte meine Hand aus, wollte die glatte Oberfläche berühren. Schon erschienen die Schatten.

Lass uns raus. Raus! Wir erfüllen dir auch denen tiefsten Wunsch.

Ja, ja! Was begehrst duuuuuu?

Sag es uns, sag es uns!

Ich zuckte zurück. Die Schattenwesen tanzten unter der Oberfläche. Die Scheibe trennte uns, dennoch hörte ich ihre Stimmen in meinem Kopf.

Er kommt, oh er koooooooommt!

Die Schatten huschten umher, schneller und schneller. »Wer?« Ich beugte mich tiefer über den Spiegel. »Wer kommt?«

Sie sagten es mir nicht. Lachten nur zynisch. Dann hörte ich mehrere Schritte. Ein Fackelschein erleuchtete die Abzweigung am Ende des Ganges. Abrupt sprang ich auf, rannte den breiten Hauptgang zurück und bog kurzerhand in eine der Nischeneinbuchtungen. Ich kniff meine Augen zu, presste mich gegen die lückenhafte Knochenwand und hielt meinen Atem an. Die runden Köpfe der Totenschädel drückten in meinen Rücken. Bitte, oh bitte Mondgöttin, lasst sie mich nicht finden. Wer auch immer hier war. Wo auch immer ich mich gerade befand.

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