,,Sabbern Sie nicht auf meinen Anzug!", weist mich Sherlock zurecht und ich schrecke aus meinem Halbschlaf auf.

Das Blut schließt mir in die Wangen. ,,Was! Ich sabbere ni-", stammle ich beleidigt.
,,Ich schlafe gar nicht!", erwidere ich und lege die Arme um meine angezogenen Beine.

,,Wie Sie meinen", erwidert Sherlock nur.

Ich seufze und stütze meinen Kopf auf den Händen ab.
Schätze, wir sind gerade erst eine Stunde hier. Unterdrücke trotzdem den Drang Striche in die Wand zu kratzen.

,,Mabel", sage ich dann ohne Sherlock anzusehen.
,,Louise Mabel. Ich weiß, es klingt schrecklich. Aber es war der Name meiner Urgroßmutter und ausgerechnet vor meiner Geburt dachten meine Eltern es sei Zeit, alte Traditionen aufleben zu lassen."

,,Ihr zweiter Vorname", sagt Sherlock nach einem Moment und richtet sich auf.

Ich nicke und zupfe am Saum meines Oberteiles.
,,Geboren wurde ich in einem kleinen Kaff an der Ostküste, in dem es noch mehr regnet als in London. Es war ganz schön eigentlich, wenn man von der Arbeitslosenquote und dem Hochwasser mal absieht."

Bei den nächsten Worten muss ich lächeln. ,,Kaum Verbrechen - Sie würden es langweilig finden. Man kann bis zum Horizont sehen, die Luft ist klar und der Himmel weit. Ich wollte unbedingt weg", sage ich gespielt theatralisch. 

Sherlocks graue Augen sind unnachgiebig. ,,Aber Sie vermissen es."

Ich zucke mit den Schultern und wende den Blick ab.
,,Es war nie wirklich mein Zuhause, aber all' die anderen Orten danach waren es auch nie."

Ich verstumme für einen langen Augenblick, bis ich hinzufüge: ,,Nicht, dass es Sie interessiert."

,,Nicht, dass es mich interessiert", wiederholt Sherlock und nickt bestätigend.

Ich lächle halbherzig. ,,Wollen Sie jetzt auch irgendetwas sagen...?"

,,Sicher nicht."

Ich massiere mir die Schläfen und sage: ,,War ja klar."

Als ich Schritte höre, die näher kommen, hebe ich den Kopf eilig.

Officer Law and Order?

Glänzende Schuhe und ein enger Bleistiftrock treten in mein Sichtfeld.

Es ist nicht der Officer.

,,Louise James?", fragt eine helle Stimme, die ich zunächst nicht einordnen kann, aber die doch bekannt klingt, zögerlich.

Verwirrt sehe ich auf.

,,Maddy!", sage ich dann, als die Bleistiftrock-Frau näher kommt und ich ein vertrautes Gesicht erkenne.

Madeline - die zu der Kategorie ,,gute Freunde, die man aus den Augen verliert und es irgendwann zu spät wird um sich zu melden" gehört- ist immer noch genauso schlank und blond wie vor sechs Jahren.

So lange ist es tatsächlich her, dass ich sie das letzte Mal gesehen habe.
Das letzte was ich von ihr weiß, ist, dass sie Anwältin geworden ist und ein Jobangebot in London angenommen hat. 
Ich hatte mich wirklich mal melden wollen, nachdem ich London verlassen habe...

Ihre Haare sind kürzer und perfekt geglättet und ihre Haltung reserviert, aber dann lächelt sie und ist es genauso warm und herzlich wie früher schon.
Ihr Lächeln kommt jedoch ins Wanken, als ihr anscheinend wieder bewusst wird auf welcher Seite des Gitters ich sitze. (Verständlich.)

,,Oh- ich bin nicht - das hier ist ein Missverständnis gewesen", sage ich schnell und lächle breit.

,,Das sagen sie alle", meint Sherlock ohne seinen Blick von der Decke zu bewegen und ich fahre wütend zu ihm herum.

days at bakerstreetWhere stories live. Discover now