Nicht den Schwanz einziehen!

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»Können wir uns sehen?«, fragte ich und schulterte meinen Rucksack.

   »Alles okay?«, ertönte es am anderen Ende der Leitung. Nein, verdammt, nichts war okay.

   »Ja, klar.«, log ich. »Können wir uns bitte bei mir treffen?«

   »Kann es nicht bis morgen warten?« Ich nahm meine Flasche mit dem Wasser in die Hand und spülte die Tablette, die ich mir eben in den Mund geschoben hatte, hinunter.

   »Nein.«, sagte ich dann. Ich hörte Dean seufzen bevor er meiner Bitte zustimmte. Mit zitternden Fingern schob ich die Flasche zurück in meinen Rucksack.

   »Okay, bis gleich.«, murmelte ich und legte auf. Mein Herz raste während ich die U-Bahn-Station verließ und mich auf dem Weg zum Apartment machte. Obwohl Fynn sich noch immer mit Schuldgefühlen plagte, hatte ich mir fest vorgenommen, keinen männlichen Namen zu erwähnen. Dean sollte nicht wissen, dass es sein bester Freund war. Ich hoffte nur inständig, dass Fynn nicht spontan beschloss meine ganze zusammen gereimte Rede zu sabotieren und während meiner Beichte hereinzuplatzen. Das wäre das letzte. Desto näher ich meiner Wohnung kam, desto unruhiger wurde ich. Nur nicht den Schwanz einziehen! Ich wollte nicht zu den Leuten gehören, die letztendlich alles vor dem Partner verheimlichten. Ich korrigiere mich: Das wäre das letzte. Das wirklich allerletzte.

   Ich schloss die Haustür unten auf und begann die Treppen zu bewältigen. Erster Stock. Wie er wohl reagieren würde? Wäre er wütend? Zweiter Stock. Natürlich wäre er wütend auf mich! Ich hatte ihn betrogen und selbst wenn er nicht wissen würde, mit wem ich es getan hätte – ich hatte ihn trotzdem betrogen. Dritter Stock. Mein Herz pumpte wie verrückt. Wenn ich Glück hatte, würde ich hyperventilieren noch bevor er überhaupt ankommt. Wie lange er wohl noch braucht? Vierter Stock. Verdammt, ich wollte es ihm wirklich nicht sagen! Ich hatte Angst vor seiner Reaktion. Wieso hatte ich es ihm nicht am Telefon gesagt? Dann müsste ich seinen Gesichtsausdruck dabei nicht sehen und er würde nicht sehen, was für Gewissensbisse ich deswegen hatte.

   Aber wäre das nicht im Grunde genauso, als würde ich es ihm gar nicht sagen? Jedenfalls wäre es genauso feige. Ich schloss meine Apartmenttür auf und ließ meinen Rucksack ziemlich herzlos auf den Boden neben der Tür fallen. Alles sah so normal aus, wieso fühlte ich mich dann so anders? Es war sowieso nichts Festes gewesen, so wütend konnte Dean gar nicht darauf reagieren. Wir hatten uns nicht einmal Ich liebe dich gesagt. Ob es meinen Betrug weniger schlimm machte? Ich ließ mich auf mein altes, schäbiges Sofa fallen und starrte emotionslos auf die kahle Wand gegenüber. Was empfand ich überhaupt? Und während ich so auf dem Sofa saß, die Wand anstarrte und über mein Leben philosophierte, vergingen Minuten und ich wurde aus meiner Trance gerissen. Mein Kopf wirbelte hastig zu meiner Tür, der Hörer daneben gab ein lautes Schillern von sich. Dean stand unten. Ich hatte das Gefühl, gleich in Ohnmacht fallen zu müssen.

   Mit zittrigen Fingern drückte ich auf den Knopf, um die Tür unten zu öffnen und zog auch meine Apartmenttür auf.

   Tief ein und wieder ausatmen, Eve. Das wird schon schief gehen.

   Ein und Aus.

   Immer wieder, so wie immer. Ganz ruhig. Vielleicht hatte meine Mutter recht damit gehabt, dass ich einen totalen Absturz erleiden würde, wenn ich nicht aufhörte zu trinken. Vielleicht hätte ich öfter auf sie hören sollen. Vielleicht hätte ich diese Entzugsklinik einfach erfolgreicher verlassen sollen.

   Inzwischen konnte ich Deans Schritte hören, er war nicht mehr weit. Nur noch wenige Sekunden. Die Entzugsklinik hätte ich gar nicht erfolgreicher abschließen können. Ich hatte mit sechszehn Jahren mit keinen ernsthaften Suchten zu kämpfen, ich hatte nicht einmal versucht mich, während meiner rebellischen Jugendzeit um zu bringen. Im Grunde führte ich ein, von meinen Eltern erschwertes, glückliches Leben. »Hi.« Ich sah nach oben, ließ meinen Blick über seine hellbraune Haut gleiten. Dean wollte mich küssen, doch ich wimmelte ihn nur ab und hustete. Ein ziemlich schlechtes und doch glaubwürdiges Hüsteln.

Friends in a roundabout wayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt