Verbotene Liebe

By JuleWildrath

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Jake und Liz lernen sich durch einen Zufall kennen und erleben einen intensiven Tag zusammen, nach dem beide... More

ERSTER TEIL - Seine Sicht
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ZWEITER TEIL - IHRE SICHT
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22. the end.

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By JuleWildrath




Es war, als würden die Momente, die mir den Boden unter den Füßen wegzogen, nur so auf mich warten, seit ich in Australien war. Eigentlich hatte ich meinen Dad kennenlernen wollen.  Eine ungeplante, komplizierte Liebe oder eine unheilbare Krankheit hatte nicht auf dem Plan gestanden. Aber so ist es, das Leben.

Ungläubig über das, was die Arzthelferin mir eben erzählt hatte, stand ich im Wartebereich und konnte nichts tun. Weder mich bewegen, noch den Mund öffnen, um irgendeine Frage zu stellen. Nach einer Weile kippte ich leicht nach hinten, suchte mit den Händen nach etwas, woran ich mich festhalten konnte.

Lungenkrebs. In einem späten Stadium. Mir fiel alles wieder ein, wie bei einem Blitz, der plötzlich mitten ins Haus einschlug: Der Anfall am Strand, Jake, der mir und Peter versicherte, dass es nichts ernstes sei, das komische Verhalten seit Tagen. Er wusste es. Doch wie lange wusste Judith es schon, und wann hatte sie vor, es ihrem Mann zu sagen? Was war nicht gelogen? Hatte sie wirklich Angst vor Ärzten, oder nur vor der Wahrheit?

Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging. Die Arzthelferin von eben kam irgendwann wieder zu mir, und sagte mir, dass meine 'Mom' wieder stabil sei, und ich sie in Zimmer 505 finden könnte. Als ich gerade etwas erwidern wollte sprach eine ältere Dame sie plötzlich an, die neben mir im Wartebereich stand. Also gut. Um Antworten zu bekommen sollte ich wohl zu Judith gehen. Oder war es falsch? Ich checkte verzweifelt mein Handy, aber weder Peter, noch Jake hatten sich gemeldet. Verdammt, wieso waren sie nicht hier? Ich fühlte mich überfordert. Erneut hinterließ ich ihnen eine Nachricht, informierte sie darüber, dass Judith im Krankenhaus, Zimmer 505 lag und ich bis sie da waren hierbleiben würde. Dann machte ich mich mit zitternden Beinen auf dem Weg zu ihr. Unwissend, wie unser Gespräch wohl verlaufen würde...

Als ich in den Raum eintrat, heimlich betend, sie würde schlafen, starrte sie mich mit leidendem Blick an. Vorsichtig trat ich ein paar Schritte näher. "Judith...", setzte ich an, doch meine Stimme versagte kläglich.

Also sahen wir uns erst einmal für ein paar Minuten nur schweigend an. Unsicher, wie wir uns verhalten sollten. Völlig normal, immerhin kannten wir uns nun wirklich nicht lange genug, um in so einer Situation gemeinsam zu stecken.

"Liz, ich... ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.", brachte Judith dann nach einer Weile hervor. Ich entgegnete nichts, wartete nur gespannt, ob sie den Mut fand, weiter zu erzählen.

"Ich weiß es seit ein paar Wochen. Und hatte so eine schreckliche Angst, unsere Familie zu zerstören."

Ich flüsterte leise, ohne ihr ins Gesicht zu sehen: "Ich denke, so etwas bringt Familien näher zusammen. Dafür ist sie doch da, oder? Genau für die schwierigen, unendlich harten Momente. Die Familie...Sie verzeihen einem alles und glauben aneinander. Zumindest habe ich euch so gesehen...bisher."

Sie griff nach meiner Hand und nickte schwach. "Ja. Du hast Recht, meine Liebe. Ich bin ein Feigling." Irgendwie ließ mich das Gefühl nicht los, das noch viel mehr hinter dem Ganzen steckte. Ich wusste nicht mehr, welchen von Judiths Worten man nun Glauben schenken konnte, und ob sie nicht noch mehr Geheimnisse gut behütete.

"Warum wusste Jake es, und Peter nicht?" Sie sah mich durchdringlich an. "Woher weißt du, dass Jake es weiß?" Sofort beruhigte ich sie, und stellte klar, dass er es mir nicht gesagt hatte, sondern mir ihr ungewöhnliches Verhalten aufgefallen war.

"Es war eine besondere Situation zwischen uns, als ich es ihm sagte. In dem Moment hatte es gepasst. Er ist so viel stärker als Peter... Ich weiß nicht, ob Peter es verkraftet." Ich schluckte. So ganz nachvollziehen konnte ich ihr Verhalten nicht. Aber es war ihr Leben und ihre Entscheidung.

"Weißt du, dieser besondere Moment mit Jake... er hat mir erzählt..." Judith wollte gerade weitererzählen, als plötzlich Jake und Peter in den Raum gelaufen kamen. Ihre Gesichter waren so voller Sorge und Angst. Peter sah aus, als wäre er in einem Alptraum gefangen. Die beiden fielen Judith um den Hals und sie begann zu weinen. Auch Dad hatte mit den Tränen zu  kämpfen. Er tat mir mehr als leid. Er hatte nun viel zu verarbeiten. Ein kurzer Blickwechsel mit Jake verriet mir nicht viel über seine Gefühlslage. Vermutlich befand er sich im selben Gefühlschaos wie ich. Dann spürte ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter. Ich wirbelte herum: Die Arzthelferin. "Miss, sie müssen nun bitte das Zimmer verlassen. Ich kann ihnen ihre kleine Notlüge, die Tochter der Patientin zu sein zwar verzeihen, aber sie dürfen von nun an bitte erstmal nicht mehr hier sein. Mrs. Adams braucht wirklich ihre Ruhe."  Betreten nickte ich ihr zu. Peinlich.

Ich drehte mich wieder zu den anderen und brachte ein lautloses Tschüss hervor. Der Kloß in meinem Hals war zu groß, um mehr zu sagen. Keiner der beiden Männer aber beachtete mich. Klar, sie mussten für Judith da sein. Auf dem Weg aus dem Krankenhaus hörte ich plötzlich meinen Namen. Es war Jake.

"Danke. Dass du sie ins Krankenhaus gebracht hast, und nicht gezögert hast. Das rechne ich dir hoch an. Es tut mir leid, was ich am Strand zu dir gesagt hab. Natürlich kennst du meine Familie... und es tut mir leid, wie abwesend ich in den letzten Tagen war. Du kennst jetzt den Grund dafür... und ich hoffe du verstehst es."

Ich sah ihm in seine schönen, braunen Augen. Endlich blickten sie mich wieder an, und mieden meine Augen nicht mehr, wie in der letzten Zeit.

"Jake, natürlich verstehe ich dich. Aber ich verstehe nicht, wieso ihr das Peter angetan habt. Wieso du das mitgemacht hast", ich wollte zu ihm durchdringen, aber er ließ es nicht zu. Bevor er auf dem Absatz kehrt machte sagte er nur noch: "Manchmal ist die Wahrheit zu schwer, um damit umzugehen."

Nachdenklich rief ich mir ein Taxi und fuhr nach Hause. Peter hatte mir eine SMS geschrieben, dass er über Nacht bei Judith bleiben würde und ich mich ablenken sollte. Nachdem ich dann eine Stunde lang gedankenverloren in meinem dunklen Zimmer gesessen hatte, beschloss ich, seinem Rat zu folgen. Hier allein zu sein brachte mir nichts, es machte mich nur verrückter. Meine Gedanken brachten mich zu Toby. Er hatte mir am Abend in der Bar zugehört und mir damit sehr geholfen, mal aus dem komplizierten Alltag zu verschwinden, den ich bei den Adams hatte. Es musste ja nicht spät werden, aber ein kleiner Abstecher in die Stitch Bar war vermutlich keine schlechte Idee.

Dieses Mal hatte ich die Zeit nicht wirklich damit verschwendet, mich herauszuputzen. Immerhin wollte ich auch Niemandem falsche Hoffnungen machen. Ein schwarzes Basicshirt und eine Jeans reichten vollkommen aus. Meine Haare band ich zu einem Dutt zusammen und schon ging ich los. Auch die Schminke ersparte ich mir heute. Auf dem Weg dachte ich immer wieder an Jake, was er wohl gerade fühlte und wie gern ich für ihn da wäre, auf eine Weise, wie sie unter Halbgeschwistern nicht besonders üblich war.

Als ich die Tür zur Bar öffnete wusste ich nicht einmal, ob Toby hier sein würde. Er hatte neulich nur davon geredet, dass er hier öfter wäre. Ein Blick durch den Raum verriet mir schnell: Ich hatte Glück. Als sich unsere Blicke trafen breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus, und er deutete mit dem Kopf auf den Stuhl neben ihm.

"Hey.", sagte ich mit einem Lächeln auf den Lippen. "Was hat dich wieder nach hier verschlagen?", sagte er ohne mein Hey zu erwidern. "Redebedarf?", fügte er noch hinzu, scheinbar wissend, dass auf diese Frage 'Ja' die Antwort sein würde. Ich mochte seine Art. Er erwähnte weder, dass ich auf sein Angebot letztens, sich am darauffolgenden Tag wieder in der Bar zu treffen, nicht eingegangen war, noch hinterfragte er irgendwelche Sachen. Er war einfach da und hörte zu.

Also schoss ich los. Bei der Stelle mit dem Lungenkrebs schien auch er vom Glauben abzufallen und so recht einen Rat geben konnte er mir dazu nicht. Musste er auch nicht. Was sollte man zu so einer Situation auch sagen? Und wenn er wüsste, wie viel komplizierter sie noch war.

Es vergingen ein paar Stunden, in denen er mich etwas von meinem beschissenen Tag ablenkte. Wir lachten, und tranken dieses Mal nur Bier. Auf Tequila-Kater hatte morgen keiner von uns Lust. Als ich bezahlt hatte und nach meiner Jacke griff, nahm ich aus dem Augenwinkel wahr, wie auch er bezahlte und zur Garderobe kam. Da wären wir beim Thema falsche Hoffnungen - er wollte doch nicht mit zu mir kommen?

"Darf ich dich nach Hause begleiten? Ich habe es letztes Mal bereut, dass ich zugelassen habe, dass du allein durch die Nacht irrst." Er war so lieb. "Toby, ich weiß das sehr zu schätzen. Das alles: dass du für mich da warst, und mir so gut zugehört hast. Aber ich habe im Moment wirklich kein Interesse an..." "Ich verstehe.", fiel er mir ins Wort. "Aber darf ich dich als Freund begleiten?" Ich strahlte ihn an. "Gerne!" Er war wirklich einer von den Guten. Verständnisvoll, ehrlich, unglaublich hilfsbereit.

Also schlenderten wir im Dunkeln Richtung Heimat, unterhielten uns über Toby, seine Familie und sein Hobby: Fußball spielen. Sofort musste ich wieder an Jake denken... Ich beschrieb Toby den Weg, bis zu Dad und Judiths Haus. Je näher wir dem Haus kamen, desto stiller wurde er. Er benahm sich komisch. Fast vor der Haustüre druckste er ein wenig herum. "Alles gut?", fragte ich nach. "Du... das hier ist das Haus von deinem Dad?" Er sah mich mit großen Augen an, als wäre ihm ein Geist begegnet.
Und dann ging alles ganz schnell: Jake kam aus der Haustüre raus, ich glaube, er wollte sich zum Nachdenken auf die Mauer setzen. Er sah uns an, blickte ungläubig von mir zu Toby und ballte die Fäuste. Ich verstand nicht ganz.

"Ist das dein Ernst?! Das ist meine Halbschwester, du Mistkerl!!! Verpiss dich von hier!", schrie Jake und lief auf Toby zu.

"Chill, Mann!", wollte Toby ihn beruhigen aber es war zu spät. Ich kannte Jakes aggressive Art noch nicht. Sie kam wohl immer besonders dann hervor, wenn gerade etwas in seinem Leben schief ging - dann brauchte es nur noch eine Kleinigkeit, die seine Wut zum überkochen brachte. Und dieses Mal war es wohl die Eifersucht.
Er schlug Toby mit seiner Faust ins Gesicht. "Du warst mein bester Freund!", brüllte er.

Warte - Bester Freund? Das war ja jetzt wohl ein Scherz, oder? Wie verdammt kompliziert sollte diese ganze Geschichte hier denn noch werden? Das Universum wollte mir doch nicht ernsthaft verklickern, dass der einzige Mensch, den ich hier außerhalb von der Familie kennengelernt hatte ausgerechnet Jakes bester Freund war? Der Herr da oben musste sich prächtig über mich amüsieren...

"Jake, Stopp! Es ist nichts passiert, er hat mich nur als Freund nach Hause gebracht! JAKE!", versuchte ich erfolglos ihn runterzubringen.

"Bester Freund, sagst du?", rief Toby ihm zu, während er versuchte, Jake von sich runterzukriegen, "als bester Freund hast du aber mächtig versagt!"

Tobys Worte machten Jake nur noch rasender. Doch jetzt ließ Toby es sich nicht länger gefallen. Er löste sich von Jakes Griff und schlug ihn nun ebenfalls. Jakes Nase fing an, heftig zu bluten, während man bei Toby bereits ein blaues Auge feststellen konnte. "HÖRT AUF!", versuchte ich immer weiter, sie zu beruhigen, doch es war, als wären sie in einer Parallelwelt, in der sie nun die Chance bekamen, ihre gegenseitige Wut aufeinander aus der Vergangenheit endlich auszuleben. Irgendwann, die Sekunden kamen mir wie Stunden vor, schlug Tobys Faust so heftig in Jakes Gesicht, dass er einen Satz zurück machte, und taumelnd mit dem Kopf gegen die Mauer krachte. Keuchend fasste er sich an den Hinterkopf und sah dann seine Finger an. Sie waren blutig.

Ich sah Toby mit weit aufgerissenen Augen an. "Liz, es tut mir leid, ich... ich hatte ja keine Ahnung, dass du..., dass er..." Er vergrub das Gesicht in seinen Händen.

"Toby, geh einfach. Ich denke, das ist das Beste!", sagte ich bestimmend und kniete mich dann neben Jake. Toby sah noch eine Weile zu, doch dann lief er verzweifelt weg.

"Jake... ich wollte das nicht. Du musst mir glauben, da war gar nichts. Ich denke doch immer nur an dich!" Tränen liefen mir über mein Gesicht. Sein Blick war schmerzverzehrt und er konnte kaum sprechen.

"Ich denke auch immer an dich. Deshalb war es so hart, dich mit ihm zu sehen. Nach dem Tag heute mit Mom, ich..." Dann liefen auch ihm die Tränen über die Wangen.
„Das an deinem Kopf ist glaube ich eine ernsthafte Sache. Vielleicht musst du genäht werden. Ich glaube, du bist die zweite Person, die ich heute ins Krankenhaus bringen muss."

Er sah mich entgeistert an. "Aber, ich...ich war in meinem Leben außer bei meiner Geburt noch nie im Krankenhaus. Meine Mom hat mich immer wieder gesund bekommen. Ohne Ärzte!" Er schien plötzlich ganz panisch. Ich wusste also nun, dass nicht nur Judith Angst vor Ärzten hatte. Auch ihr Sohn hatte Panik. Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange. "Jake, deine Mom ist aber jetzt nicht hier", sagte ich dann ernst. "Also bringe ich dich jetzt ins Krankenhaus. Später wirst du mir dankbar sein, wenn die Schmerzen nachlassen." Nach einer Weile nickte er widerwillig und wir fuhren ins Krankenhaus. Gemeinsam.

Was für ein Tag!

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