19.

906 22 1
                                    




Es war, als würden die Momente, die mir den Boden unter den Füßen wegzogen, nur so auf mich warten, seit ich in Australien war. Eigentlich hatte ich meinen Dad kennenlernen wollen.  Eine ungeplante, komplizierte Liebe oder eine unheilbare Krankheit hatte nicht auf dem Plan gestanden. Aber so ist es, das Leben.

Ungläubig über das, was die Arzthelferin mir eben erzählt hatte, stand ich im Wartebereich und konnte nichts tun. Weder mich bewegen, noch den Mund öffnen, um irgendeine Frage zu stellen. Nach einer Weile kippte ich leicht nach hinten, suchte mit den Händen nach etwas, woran ich mich festhalten konnte.

Lungenkrebs. In einem späten Stadium. Mir fiel alles wieder ein, wie bei einem Blitz, der plötzlich mitten ins Haus einschlug: Der Anfall am Strand, Jake, der mir und Peter versicherte, dass es nichts ernstes sei, das komische Verhalten seit Tagen. Er wusste es. Doch wie lange wusste Judith es schon, und wann hatte sie vor, es ihrem Mann zu sagen? Was war nicht gelogen? Hatte sie wirklich Angst vor Ärzten, oder nur vor der Wahrheit?

Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging. Die Arzthelferin von eben kam irgendwann wieder zu mir, und sagte mir, dass meine 'Mom' wieder stabil sei, und ich sie in Zimmer 505 finden könnte. Als ich gerade etwas erwidern wollte sprach eine ältere Dame sie plötzlich an, die neben mir im Wartebereich stand. Also gut. Um Antworten zu bekommen sollte ich wohl zu Judith gehen. Oder war es falsch? Ich checkte verzweifelt mein Handy, aber weder Peter, noch Jake hatten sich gemeldet. Verdammt, wieso waren sie nicht hier? Ich fühlte mich überfordert. Erneut hinterließ ich ihnen eine Nachricht, informierte sie darüber, dass Judith im Krankenhaus, Zimmer 505 lag und ich bis sie da waren hierbleiben würde. Dann machte ich mich mit zitternden Beinen auf dem Weg zu ihr. Unwissend, wie unser Gespräch wohl verlaufen würde...

Als ich in den Raum eintrat, heimlich betend, sie würde schlafen, starrte sie mich mit leidendem Blick an. Vorsichtig trat ich ein paar Schritte näher. "Judith...", setzte ich an, doch meine Stimme versagte kläglich.

Also sahen wir uns erst einmal für ein paar Minuten nur schweigend an. Unsicher, wie wir uns verhalten sollten. Völlig normal, immerhin kannten wir uns nun wirklich nicht lange genug, um in so einer Situation gemeinsam zu stecken.

"Liz, ich... ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.", brachte Judith dann nach einer Weile hervor. Ich entgegnete nichts, wartete nur gespannt, ob sie den Mut fand, weiter zu erzählen.

"Ich weiß es seit ein paar Wochen. Und hatte so eine schreckliche Angst, unsere Familie zu zerstören."

Ich flüsterte leise, ohne ihr ins Gesicht zu sehen: "Ich denke, so etwas bringt Familien näher zusammen. Dafür ist sie doch da, oder? Genau für die schwierigen, unendlich harten Momente. Die Familie...Sie verzeihen einem alles und glauben aneinander. Zumindest habe ich euch so gesehen...bisher."

Sie griff nach meiner Hand und nickte schwach. "Ja. Du hast Recht, meine Liebe. Ich bin ein Feigling." Irgendwie ließ mich das Gefühl nicht los, das noch viel mehr hinter dem Ganzen steckte. Ich wusste nicht mehr, welchen von Judiths Worten man nun Glauben schenken konnte, und ob sie nicht noch mehr Geheimnisse gut behütete.

"Warum wusste Jake es, und Peter nicht?" Sie sah mich durchdringlich an. "Woher weißt du, dass Jake es weiß?" Sofort beruhigte ich sie, und stellte klar, dass er es mir nicht gesagt hatte, sondern mir ihr ungewöhnliches Verhalten aufgefallen war.

"Es war eine besondere Situation zwischen uns, als ich es ihm sagte. In dem Moment hatte es gepasst. Er ist so viel stärker als Peter... Ich weiß nicht, ob Peter es verkraftet." Ich schluckte. So ganz nachvollziehen konnte ich ihr Verhalten nicht. Aber es war ihr Leben und ihre Entscheidung.

"Weißt du, dieser besondere Moment mit Jake... er hat mir erzählt..." Judith wollte gerade weitererzählen, als plötzlich Jake und Peter in den Raum gelaufen kamen. Ihre Gesichter waren so voller Sorge und Angst. Peter sah aus, als wäre er in einem Alptraum gefangen. Die beiden fielen Judith um den Hals und sie begann zu weinen. Auch Dad hatte mit den Tränen zu  kämpfen. Er tat mir mehr als leid. Er hatte nun viel zu verarbeiten. Ein kurzer Blickwechsel mit Jake verriet mir nicht viel über seine Gefühlslage. Vermutlich befand er sich im selben Gefühlschaos wie ich. Dann spürte ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter. Ich wirbelte herum: Die Arzthelferin. "Miss, sie müssen nun bitte das Zimmer verlassen. Ich kann ihnen ihre kleine Notlüge, die Tochter der Patientin zu sein zwar verzeihen, aber sie dürfen von nun an bitte erstmal nicht mehr hier sein. Mrs. Adams braucht wirklich ihre Ruhe."  Betreten nickte ich ihr zu. Peinlich.

Verbotene LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt