21.

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Purer Ekel stieg beim Anblick und Geruch des Mannes der vor mir stand in mir auf. Und vor allem eins: Panik! Was wollte er nur hier? Mich? War er ein Vergewaltiger? Ein Obdachloser, der hier einbrechen wollte? Aber welcher Einbrecher klingelte denn? Ich konnte mir beim besten Willen keinen Reim auf sein Aufkreuzen hier machen.

Ich wimmerte leise, nachdem ich kläglich beim Versuch, ihm die Türe vor der Nase zuzuknallen scheiterte. Ich schloss die Augen und versuchte, irgendeinen klaren Gedanken zu fassen und so etwas wie einen Plan auszuhecken. Aber in meinem Kopf war nur Matsch. Nur bloße Angst.

Zitternd stand ich also da und sah regungslos zu, wie er durch den Flur ins Wohnzimmer ging und sich im Haus umsah.

"Was wollen sie?", brachte ich unter Tränen hervor und überlegte gleichzeitig, wie ich unbemerkt in die Küche gelangen konnte, um mir ein Messer oder sowas zu schnappen.
Sein Blick war eindeutig. Auch wenn er sichtlich betrunken war, war sein Verhalten durchdacht. Er suchte etwas. Es ging ihm nicht um mich.

"Was wollen sie?", wiederholte ich nun mit lauterer Stimme. Woher mein plötzlicher Mut kam, weiß ich nicht, aber er wusste, wie er mich wieder zum Zittern brachte. Rasch war er bei mir und ich spürte etwas an meinem Kopf. Ohne es zu sehen wusste ich, dass es eine Pistole war. Über all die Geschichten, in denen erzählt wird, dass man in einem solchen Moment sein Leben an sich vorbeiziehen sieht, habe ich mich immer lustig gemacht. Aber es ist wahr. Es ist ein Gefühl, welches man gar nicht erst versuchen kann, zu beschreiben. Die nackte Todesangst.

"Du sprichst nur, wenn ich dich darum bitte, Schlampe!", schrie er und spuckte dabei, so sehr war er in Rage. Mein Herz klopfte so schnell, dass ich dachte es würde gleich explodieren. Ich rang nach Luft. So musste es sich wohl anfühlen, zu ersticken.

Dann nahm er endlich die Pistole runter und schubste mich mit einem Ruck auf den Boden vor sich. Als mir nur noch im Kopf herumschwirrte, dass er doch ein Vergewaltiger sein musste, kniete er sich hin und sah mir in die Augen. "Wo ist er?", fragte er ruhig, als hätte er mir gerade eben keine Pistole an den Kopf gehalten.

Doch ich konnte vor lauter Panik nicht richtig atmen, geschweige denn etwas antworten. Er lachte kurz auf und packte mich dann an beiden Armen: "WO IST ER? REDE!" Die Alkoholfahne aus seinem Mund war unerträglich. Nie habe ich mich mehr geekelt. Wo war ich hier nur reingeraten. Wenn ich ihm nicht sofort antworten würde, würde er mich sicher ohne auch nur mit der Wimper zu zucken umbringen. Also packte ich das letzte Bisschen Mut, das in mir steckte zusammen und brachte wimmernd hervor: "D...Der einzige d-der hier ist, ist mein Dad Peter. Er ist oben." Und bereute es gleich wieder, als ich sah, wie die Augen des schrecklichen Mannes bei der Erwähnung von Peter aufleuchteten und er sofort in Richtung Treppe rannte. Er suchte nach ihm? Als ich mich aufrichten konnte lief ich ihm hinterher und schrie ihn an, was er von meinem Dad wollte. Dafür musste ich erneut Gewalt einstecken und er schubste mich mit einem festen Ruck die Treppe herunter.

Als ich wieder zu mir kam, hörte ich von oben wütende Schreie des Mannes. Ich konnte nicht lange das Bewusstsein verloren haben. Es war wie ein Adrenalin Schub. Plötzlich  wusste ich, dass ich es mir zu Nutze machen musste, dass er dachte, ich wäre bewusstlos. Ich richtete mich wieder auf und schlich nach oben, wo der Mann an der einzig geschlossenen Türe rüttelte. Peters Schlafzimmer! 

Gerade als ich ihn von hinten überraschen wollte, fing er endlich an, zu erklären wieso er hier war. Betrunken brachte er nur halbe Sätze heraus. "Ich werde mir alles wiederholen, was du mir genommen hast Peter. Meine Frau...und vor allem meinen Sohn. Du hast wohl geglaubt du könntest ihn ewig für dich haben! Aber das Krankenhaus hat mich angerufen und ich habe ihn endlich gefunden! Meinen Sohn! Du wirst für all das bezahlen und ich werde... ich werde dich kaltmachen!"

Sein Sohn? Jake?

Ich taumelte zurück und krachte gegen die Wand, wobei die vielen Bilderrahmen im Treppenhaus der Reihe nach runtergerissen wurden.  Durch den Lärm wirbelte der schreckliche Mann herum und erblickte mich. Entschlossen kam er auf mich zu. Aus den Augenwinkeln nahm ich im Obergeschoss einen zweiten Mann wahr: Peter! Er hatte sich in meinem Schlafzimmer versteckt gehalten und auf den richtigen Moment gewartet. Mit geballter Kraft zog er dem Mann, der in meine Richtung gewandt war, eine Flasche über den Kopf. Er sank zu Boden und ich stieß einen Schrei aus, der so laut war, dass nicht mal ich glauben konnte, dass er aus meinem Mund gekommen war. Peter kam auf mich zu, starrte mich ungläubig an und sah dann auf die Flasche in seiner Hand.

"Dad", brachte ich heulend hervor und fiel ihm in die Arme. "Du hast das richtige getan!"

Nach einem Moment der Ungläubigkeit schien er zu realisieren, was gerade passiert war und nutzte die Bewusstlosigkeit des Mannes aus, um die Polizei zu rufen. Danach sah er mich an und fragte mich, ob ich verstanden hätte, wer das war. Ich wusste nicht recht, was ich sagen sollte. Uns beiden war klar, dass er ein krankhafter Mensch war, aber keiner wusste so recht, ob das, was er gesagt hatte, nicht doch der Wahrheit entsprach. Er war doch nicht Jakes Vater oder?

Immer noch total schockiert ließ ich mich auf einen der Sessel nieder. Peter ging im Wohnzimmer auf und ab und versicherte sich immer wieder, ob der Mann noch bewusstlos war. Als die Polizei eintraf, war meine Angst endlich ein wenig verflogen. Wir mussten alles schildern und sie nahmen unsere Personalien auf.

"Der Mann heißt Larry Johnson", gab uns einer der Polizisten bekannt. "Haben Sie irgendeine Idee, weshalb er hier war?"

Als ich gerade antworten wollte, sagte Peter entschlossen: "Nein." und warf mir einen Blick zu, der soviel wie Spiel-mit Bedeutete. Wo nahm er nur die Kraft her, in einem solchen Moment noch zu lügen? Larry Johnson hat doch deutlich gesagt, weshalb er hier war. Er wollte meinen Dad töten...

Nachdem Peter die Tür geschlossen hatte kam er auf mich zu. Es liefen ihm Tränen die Wange herunter. "Dad?..." fragte ich leise.

"Liz, Judith war mit einem Larry zusammen, bevor wir zusammen kamen. Ich glaube, irgendwas ist an dieser Geschichte dran." Er senkte den Kopf enttäuscht. Dann ging er wortlos an mir vorbei und nahm sich ein Glas und eine Whisky Flasche. "Ich weiß nicht, ob ich ihr das jemals verzeihen könnte", sagte er noch leise, kaum hörbar.

Und als hätte ich nicht schon genug in dieser Nacht erlebt, war es wieder mal ein Moment, in dem es bei mir wie ein Blitz einschlug. Es musste wahr sein. Im Krankenhaus sagten sie mir ja, sie hatten Jakes Vater benachrichtigt. Vielleicht wollte Judith deshalb nie, dass Jake ins Krankenhaus kommt? Um ihr Geheimnis zu verstecken? Schließlich hatte sie mit ihrer Krankheit schon bewiesen, dass sie dazu in der Lage ist, solche schrecklichen Dinge für sich zu behalten... Jake musste einen anderen leiblichen Vater haben als Peter. Das  wollte er mir heute erzählen. DAS war es, worüber er und Judith gesprochen haben. Plötzlich machte für mich alles Sinn. Als wäre ich immer noch bewusstlos, griff ich zur Whisky Flasche und nahm wortlos einen Schluck davon.

In was für eine verzwickte Geschichte war ich hier nur reingeraten...

Verbotene LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt