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Es war komisch, seit langem wieder mal mit Jake allein zu sein. 

Nachdem wir der Schwester (die mich mit einem leicht genervten Blick, ganz nach dem Motto nicht die schon wieder, begrüßt hatte) gesagt hatten, dass er Jakob Adams ist und seine blauen Flecken und die blutenden Stellen an seinem Hinterkopf unter die Lupe genommen worden waren, fiel er erschöpft ins Bett. Die Schwester hatte uns  gefragt, ob Jakes Mutter und Vater  benachrichtigt werden sollten und sich dann um alles gekümmert.

Vorsichtig blieb ich an der Tür seines Krankenhauszimmers stehen. Unschlüssig darüber, aus welchen Gründen er diese Prügelei vorhin angezettelt hatte. Unschlüssig darüber, was ich sagen sollte oder ob ich überhaupt etwas sagen sollte. Als ich gerade auf dem Absatz kehrt machen wollte, flüsterte er meinen Namen. 

Also drehte ich mich zu ihm um. Ich hatte Tränen in den Augen. Ihn so zu sehen... uns so zu sehen. Wo alles so harmlos angefangen hatte und ich mir einfach nur einen schönen Sommer mit meiner neuen Familie gewünscht hatte. Einen schönen Sommer mit ihm. 

"Bitte, geh nicht.", flüsterte er.

Ich zögerte nicht. Tief in meinem Inneren hatte ich mir genau diese Worte ersehnt. Also setzte ich mich auf den Stuhl neben seinem Bett. Er griff nach meiner Hand und sah betreten auf seine langen Beine herab, die sichtlich zu lang für dieses kleine, enge Bett waren. 

"Es tut mir leid.", fing er leise an. "Alles. Dass ich dir nicht von meiner Mom erzählt habe, und ihrer Krankheit, und dass ich Toby geschlagen habe... Ich war fürchterlich eifersüchtig." Jetzt standen auch ihm die Tränen in den Augen. Er griff meine Hand noch fester zu. 

"Es war nichts mit ihm. Und ich wusste wirklich nicht, dass ihr euch kennt." Mehr brachte ich nicht hervor. "Ich habe mich nur so... allein gefühlt", gab ich zu. 

"Aber Liz, ich habe nun wirklich genug vom Lügen. Das alles, was passiert ist, hat mir gezeigt, dass es mich nicht weiterbringt, auch wenn ich nichts sagen soll. Du solltest da etwas wissen..." 

Ich runzelte die Stirn - Bitte nicht noch eine Hiobsbotschaft!  

Doch wie sollte es anders sein, kam meine gute Freundin die Arzthelferin in diesem Moment rein, und unterbrach unser Gespräch. Sie fuhr mich an: "Miss, ich denke für heute reicht ihre Anwesenheit in diesem Krankenhaus. Zumal sie mich heute ja bereits einmal belogen haben. Sie stehen leider nicht unter den Angehörigen dieses Patienten dabei, daher bitte ich sie, uns nun zu verlassen." Dann wendete sie sich Jake zu: "Mr. Adams, ihr Vater ist benachrichtigt worden. Er klang durchaus besorgt und teilte mir mit, dass er sich sofort auf den Weg nach hier macht." Zunächst beruhigten mich ihre Worte. Doch dann runzelte ich erneut die Stirn und dachte nach. Peter macht sich auf den Weg nach hier? Er müsste doch eigentlich hier bei Judith sein. Als ich gerade etwas sagen wollte,  räusperte sich Jake und sagte: "Danke."

Da die Schwester keinerlei Anstalten machte, uns noch einen kurzen Moment allein zu lassen und demonstrativ die Türe für mich aufhielt, nickte Jake mir nur kurz zu und lächelte sein Lächeln, das ich so sehr liebte. Widerwillig ließ ich also seine Hand los, schnappte mir meine Tasche und verließ das Zimmer mit einem Seufzen. Über die Schulter sah ich noch einmal zurück zu Jake und lächelte ebenfalls. 

Ich überlegte kurz, in Judiths Zimmer nachzuschauen, ob alles in Ordnung war,  spürte aber aus den Augenwinkeln den prüfenden Blick der Schwester auf mir ruhen. Also legte ich es nicht drauf an und trat aus dem Krankenhaus, um ein zweites Mal für heute ein Taxi nach Hause zu nehmen. Gerade als ich die Türe des Krankenhaus öffnete, kam mir ein großer Mann entgegen, der furchtbar nach Alkohol roch. Seine dreckigen Hände griffen nach der Türe, die ich instinktiv bei diesem Anblick losließ. "Na, Süße", murmelte er lallend und ging in den Eingangsbereich. Und ich dachte, es gäbe solche Typen nur in meiner Heimat!

Vollkommen erschöpft stand ich also endlich vor dem Haus der Adams und wollte gerade den Schlüssel ins Schloss stecken, als die Türe von innen hektisch aufgerissen wurde. 

Peter stand total entgeistert vor mir und fragte mich fast schon brüllend, wo Jake sei. 

Verwirrt erklärte ich, dass uns gesagt wurde, dass er benachrichtigt wurde und zu  Jake ins Krankenhaus wollte, als ich nur noch ein Fragezeichen auf seinem Gesicht erkennen konnte. "Liz, was faselst du da? Ist Jake bei Judith im Krankenhaus?" 

Ich wusste nicht recht, ob Peter in irgendeinem komischen Zustand war, oder sich gerade einen wirklich sehr unangebrachten Scherz mit mir erlaubte. Als er mich dann aber erneut völlig ernsthaft fragte, wo Jake nun sei erzählte ich alles in Ruhe. 

"Ich bin nicht angerufen worden! Mein armer Junge! Ich  sollte sofort zu ihm.", meinte Peter und wollte gerade zur Türe hinausschreiten, als er auf die Uhr sah. "Verdammt, es ist jetzt schon zu spät! Die Besuchszeiten sind vorbei... Und da Jake schon über 18 ist, darf ich auch nicht mehr zu ihm außerhalb der Besuchszeit. Liz, ich wünschte wirklich, du hättest anders gehandelt! Ich bin dir dankbar für das heute mit Judith, aber du hättest mich anrufen sollen. Ich bin immer noch der Familienvater hier und es fühlt sich gerade so an, als hätten das hier manche vergessen. Das einzig und allein der Schwester zu überlassen war mir gegenüber rücksichtlos von dir." 

Das war das erste Mal, dass Dad mir einen Vorwurf machte. Endlich packte er mich nicht mehr mit Samthandschuhen an, und für einen ganz kurzen Moment lang freute ich mich darüber, dass dies unsere erste kleine Auseinandersetzung war. Dann aber traf mich sofort das schlechte Gewissen und ich entschuldigte mich bei ihm.  

Betroffen gingen wir beide ohne ein weiteres Wort hoch und wollten nach diesem ereignisreichen Tag vermutlich beide nur noch endlich in den Schlaf finden. 

Es war circa eine halbe Stunde nachdem ich endlich eingeschlafen war. 0:36 Uhr. Ich saß kerzengerade im Bett. Es hatte an der Türe geklingelt... oder? War das real, oder hatte ich es geträumt?

Da war es schon wieder.

Leise wartete ich ab, ob Peter aufstehen würde. Wahrscheinlich hatte er aber wieder Ohropax drin und hörte somit nichts. Ich wollte ihn kein weiteres Mal enttäuschen... Vielleicht war es ja etwas wichtiges. Immerhin musste es meiner Meinung nach wichtig sein, wenn man um diese Uhrzeit bei Jemandem klingelt.  

Todesmutig schlich ich also die Treppe hinunter. Mein Herz raste, als meine Hand sich dem Türknauf näherte. Für eine Sekunde spielte ich mit dem Gedanken, einfach wieder hoch ins Bett zu rennen. Dann aber, wie von selbst, bewegte sich meine Hand und öffnete die Türe. 

Immer noch nicht sicher, ob es nicht doch ein Traum war, riss ich meine Augen auf und wollte die Türe bei dem Anblick mit einem Ruck wieder zuschlagen, doch er hatte schon seinen Fuß in der Türe und drückte mich auf die Seite, um reinzukommen. Es war zu spät! 

Auch er schien bei meinem Anblick überrascht. 

"Erneut,  Na Süße!", ertönte die eklige, lallende Stimme des betrunkenen Mannes, den ich vor dem Krankenhaus gesehen hatte. 

Verbotene LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt