18.

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Das ekelhafteste am Alkohol war der Tag danach. Das würde ich wohl nie lernen...

Mit quälenden Kopfschmerzen und Tequila Geschmack im Mund wachte ich auf und rieb mir die Augen. Na toll, abschminken wurde mal wieder überbewertet. 

Die schwarze Mascara an den Händen anstarrend setzte ich mich also auf, und wartete ab, ob die Kopfschmerzen sich in dieser Lage ein wenig zurückziehen würden. Seufzend, da dies natürlich nicht der Fall war, griff ich nach meinem Handy. 

"Und, jemanden kennengelernt?", hatten die Mädels im Gruppenchat gefragt. Genervt legte ich das Handy ohne eine Antwort einzutippen wieder weg. So wirklich irgendwas gebracht außer Schmerzen und Übelkeit hatte mir der gestrige Abend nichts. Nun ja, außer die Begegnung mit Toby. Er war ein lieber Kerl, aber er war eben nicht Jake. Und so sehr ich auch versuchte, ihn nach seinem gestrigen Verhalten am Strand, nicht mehr so sehr zu begehren, wusste ich, dass ich mir selbst etwas vormachte. Wie man es auch drehte und wendete, ich war in meinen Halbbruder verliebt. 

Nach einer gefühlten Ewigkeit konnte ich die Kraft aufbringen, den Weg ins Badezimmer aufzusuchen. Eine Dusche würde vielleicht einen kleinen Teil dazu beitragen, dass ich mich besser fühlte. 

Im Flur blieb ich stehen. Unten hörte ich ein Flüstern. "Und bitte, Jake. Denk nicht die ganze Zeit an das, was ich dir erzählt habe. Genieß es einfach." Es war Judith. Also doch. Ich wusste, dass sie ihm etwas erzählt hatte! Deshalb war er auch so komisch. Aber was sollte er genießen? 

Ich beeilte mich mit dem Duschen, um schnellstmöglich zu erfahren, worum es unten ging. 

Wie immer war der Frühstückstisch gedeckt, und wie seit Tagen waren Judiths und Jakes Blicke gesenkt als ich kam, genau wie sie sich Peter gegenüber auch verhielten. "Und, schönen Abend gehabt?", presste er nur hervor. Ich hielt dieses Benehmen von Jake echt nicht mehr lange aus. Mit seinem Liebesgeständnis hatte er mich so glücklich gemacht, doch seitdem war alles nur schlimmer geworden. "Warst spät zu Hause.", fügte er noch hinzu und mir wurde klar, dass ich es mir wohl nicht bloß eingebildet hatte, dass gestern Abend noch jemand meine Zimmertüre aufgemacht hatte. Aber was das bezwecken sollte, war mir nicht klar. Also beschloss ich, ihm auf seine komischen Aussagen gar nicht erst zu antworten. 

"Bereit, für unseren Angeltag?", hallte hinter mir Peters laute Stimme durch den Raum. "Jap.", gab Jake mit einem meines Erachtens nicht aufrichtigen Lächeln zurück. Ah, er sollte also das Angeln genießen. Wie konnte man sowas überhaupt genießen? Das war doch einfach nur stinklangweilig! 

Als könnte Dad meine Gedanken lesen, schaute er in diesem Moment zu mir und fragte, ob ich nicht mitkommen wollte. Als ich nicht so recht mit der Sprache rausrückte und gerade dabei war, den Mund aufzumachen, um höflich nein zu sagen, kam Judith mir zur Hilfe:

"Nein, heute bleibt Liz bei mir. Wenn ihr einen Männertag macht, machen wir einen Frauentag." Sie zwinkerte mir zu. Danke, lieber Gott!  Ein Nachmittag mit unserem Dad wäre wohl eher nicht das gewesen, wonach Jake und ich uns gerade sehnten. Oder zumindest für mich. 

Also machten die zwei Männer sich aus dem Staub, ohne dass Jake mich noch eines Weiteren Blickes würdigte. Peter allerdings wünschte uns freundlich einen schönen Tag und die Freude darüber, dass sich seine Frau und seine Tochter gut verstanden, stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben. Allerdings hatte ich gemischte Gefühle. Wenn man in armen Verhältnissen aufgewachsen war, wie ich, und schon früh die verschiedensten Jobs ausgeübt hatte wie Zeitung verteilen, im Kiosk arbeiten, Kellnern oder Babysitten, entwickelt man eine ziemlich gute Menschenkenntnis über die Jahre. Meine hatte definitiv den Verdacht, dass Judith etwas verheimlichte. Was das belauschte Gespräch heute Morgen ja nur bestätigt hatte. Ich wollte wissen, wie viel sie mir wohl verraten würde, wenn wir einmal ins Gespräch kamen. 

"Lust auf einen Tee?", bot ich ihr an. Sie saß in ihrem Sessel und fuhr erschrocken herum. "Oh, Liz, entschuldige, ich war ganz in Gedanken versunken. Ich hätte gern einen Tee." 

Ich nickte kurz und drehte mich dann um, um in die Küche zu gehen. Schnell hatte ich zwei Tassen Tee fertig und nahm auf dem Sessel ihr gegenüber Platz. Wir sahen aus dem Fenster und zuerst wusste keiner so recht, was er sagen sollte. 

Als ich gerade eine Frage stellen wollte, um die Stimmung aufzulockern, begann sie wieder zu Husten. Es war das selbe Husten, dass sie am Strand plötzlich bekommen hatte. "Judith, kann ich irgendwas tun?", fragte ich rasch. Ich wurde hektisch und ging zu ihr rüber. 

Doch vor lauter Husten konnte sie mir keine Antwort geben. Ich sah ihr an, dass sie nach Luft zum Atmen kämpfte, und sich kaum noch aufrecht halten konnte. Laut nach Luft ringend versuchte sie irgendetwas zu sagen, was ich nicht verstand. Angst stieg in mir hoch, ich musste etwas tun! Zweimal hintereinander einen solchen Anfall zu bekommen, in einem so kurzen Zeitraum? Hilfe musste her! 

Judith sah mich zum Telefon gehen, und fuchtelte wild und ängstlich mit den Armen. Ich wusste von ihrer Phobie vor Ärzten, aber ich konnte sie ja auch nicht einfach in diesem Zustand hier sitzen lassen. Auch wenn sie mir böse sein würde, machte ich kurzen Prozess und rief ihr einen Krankenwagen. Zum Glück konnte ich mich in diesem Moment genug zusammenreißen, dass man mich einigermaßen gut verstehen konnte. Das Zittern in meiner Stimme blieb aber nicht aus. Klar, war das hier irgendwo meine Familie. Aber ich kannte Judith erst vier Wochen lang und wusste nicht, inwiefern ich etwas falsch machte, mit dem, was ich hier tat. Wie groß ihre Phobie vor Ärzten wirklich war. All diese Gedanken plagten mich bei dem Anblick, wie die Sanitäter Judith in den Krankenwagen brachten. 

In der Hoffnung, Peter und Jake hätten genauso gehandelt wie ich, hinterließ ich, da beide nicht Erreichbar waren, eine Nachricht und erklärte ihnen alles. Danach schnappte ich mir die Schlüssel von Jakes Jeep, hoffte, dass ebenfalls das in Ordnung war, und fuhr ins Krankenhaus hinterher. Judith durfte jetzt nicht allein sein! 

"Miss, sie dürfen hier nicht rein.", hielt mich eine junge Arzthelferin auf.  Verdammt. Das war ja klar. Hätte ich mal auf die Frage, wer ich sei, gesagt, dass ich Judiths Tochter wäre. Stieftöchter dürfen wohl nicht unbedingt bei der Untersuchung ihrer Stiefmutter dabei sein. 

Geplättet nahm ich also auf einem Stuhl im Wartebereich Platz. Mit den Füßen wibbelnd saß ich da und wartete. Und wartete, und wartete. Als die nächstbeste Arzthelferin vorbeikam, erkundigte ich mich zum dritten Mal nach Judith Adams Befinden. 

"Sie sind ihre Tochter?", fragte sie und sah auf einen Zettel auf ihrem Klemmbrett. Nochmal würde mir dieser Fehler nicht passieren, also sagte ich einfach "Ja." und hätte nicht ahnen können, was sie mir jetzt offenbarte: 

"Dann wissen sie ja sicherlich, dass ihre Mom durch ihren Lungenkrebs sehr gefährdet ist. Er ist in einem so späten Stadium, dass sie jetzt erstmal hierbleiben muss. Sie kann es nicht mehr länger hinauszögern. Es war gut, dass sie sie endlich hergebracht haben." 

Ich trat ungläubig ein paar Schritte zurück. Sagte sie gerade Lungenkrebs?

Verbotene LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt