Kapitel 21.

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Katie

„Ich will das aber nicht schaueeen", mault Tommi und zupft frustriert an meinem T-Shirt.

„Du kannst ja gleich entscheiden. Lass mich doch jetzt noch fünf Minuten", gebe ich in gleich genervtem Tonfall zurück und versuche mich, auf Heidi Klums Stimme zu konzentrieren.
Ich wollte mir eigentlich einen gemütlichen Nachmittag mit der Nachtragung von Germanys Next Topmodell machen, hatte dabei aber nicht mit der Nervensäge namens Tommi gerechnet. Meine Mutter arbeitete, mein Vater war bei einer wichtigen Konferenz und arbeitet nicht wie üblich von zu Hause aus. Ich war mit meinem Bruder alleine. Um sechs werde ich in bei einem seiner Kindergartenfreunde vorbeibringen, wo er dann übernachtet, aber bis dahin habe ich ihn noch am Hals.

„Wenn du jetzt auf Simsalagrimm schaltest ... dann", Tommi überlegt konzentriert und ich kann ein Grinsen nicht unterdrücken. Wenn Tommis etwas will, dann versucht er immer, mir eines seiner Lieblingsspielzeuge anzudrehen.

So auch diesmal.

„.. dann schenk ich dir mein blaues Auto. Das mit der Sirene", vervollständigt er den Satz und schaut so stolz zu mir hoch, als ob er gerade das Angebot des Jahrtausends gemacht hätte.

Ich verschränke die Arme und will streng schauen, doch Tommis grosse erwartungsvolle Augen lassen das nicht zu. Ich muss lachen.

„Na gut, hier ist die Fernbedienung, du Frechdachs", meine ich schliesslich und wuschle meinem kleinen Bruder durch den blonden Schopf.
Die Folge ist heute eh nicht besonders spannend und wenn ich ehrlich bin, sind meine Gedanken auch ganz woanders.

Ich überlasse Tommi seiner Lieblingskindersendung und verdrücke mich in mein Zimmer, lasse die Tür aber offen, damit ich Tommi höre, falls etwas sein soll.

Ich zücke mein Handy und lasse mich auf mein gemachtes Bett fallen. Mein Vater hat neulich gewaschen und zufrieden atme ich den Duft der frischen Bettwäsche ein.
Ich entsperre mein I-Phone und scrolle durch die Fotogalerie, um mir die Bilder des gestrigen Abends anzusehen.

Milan, der Sally huckepack trägt, ein ausgelassenes Lachen im Gesicht. Tobi, der beinahe feierlich sein Glas erhebt, während Milan hinter ihm eine bescheuerte Grimasse schneidet. Und schliesslich mein Lieblingsbild: Tobi ausgestreckt im Leigestuhl, einen Arm hat er auf die Lehne gelegt, den anderen um meine Schultern. Ich sitze neben ihm, in einer Hand ein Glas mit Passoa und schaue lachend zu Tobi hoch.

Sally hat das Bild mit meinem Handy geschossen. Ich erinnere mich genau daran, wie warm sich Tobis Hand an meiner nackten Schulter angefühlt hat. Wie seiner Haar geduftet hat, als er sich nach vorne beugte, um sein Glas zu nehmen.

Wie wohl ich mich gefühlt habe.

~

Das Geräusch der Klingel weckt mich aus meinem Halbschlaf. Es ist inzwischen acht Uhr abends und ich habe Tommi längst zu seinem Kumpel gebracht.

Verschlafen Taste ich nach meinem Laptop, um das Youtube- Video auszuschalten, bei welchem ich eingeschlafen bin. Mein Dutt ist total schief und einige blonden Strähnen hängen mir in ins Gesicht, ich gebe mir aber nicht die Mühe sie zu richten, sonder watschle direkt zu Tür.
Vermutlich ist es wieder einmal die ältere Dame von Nebenan, die regelmässig ihren Schlüssel verliert oder ihre Katze vermisst. Oder Nora will mich dazu überreden, mit ihr und Nico einen Filmabend zu veranstalten.

Ich reisse die Tür also auf, ohne durch den Spion zu schauen und bereue es augenblicklich, nicht nochmals in den Spiegel geguckt zu haben.
Während ich hier im Schlaberlook stehe, sieht Tobi in seiner hellen Baggyjeans und dem weissen Pink-Floyd-Shirt einfach umwerfend aus. Seine Haare sind wie immer im Di-Caprio Style frisiert und um seinen Hals baumelt eine silberne Kette, die mir bei ihm das erste mal auffällt.

„Hey.. sorry dass ich so spät noch vorbeikomme, aber... deine Bilder sind fertig", meint er sofort und hält etwas hoch, das sich bei genauerem hinsehen als USB-Stick entpuppt. Mein Herz schlägt augenblicklich schneller und lächelnd trete ich einen Schritt zur Seite.

„Genial! Du weisst gar nicht, wie sehr ich mich darauf freue, sie zu sehen", gebe ich zu und muss lächeln, als Tobi wie selbstverständlich seine Sneakers auszieht.

„Mir hat es Gestern übrigens sehr gefallen", sage ich, als wir beide zu meinem Zimmer gehen.

Tobi stösst ein raues Lachen aus. „Mir auch. Milan und Sally würden sich freuen, wenn du wieder einmal vorbeischaust. Und ich natürlich auch".

Ich stosse die Tür zu meinem Zimmer auf und bete innerlich, dass nichts Peinliches herumliegt.
Dreckige Wäsche am Boden oder vergammeltes Essen auf dem Schreibtisch würden vermutlich nicht gerade einen guten Eindruck machen.
Erleichtert stelle ich fest, das meine Befürchtungen nicht eintreten und mein Zimmer einigermassen sauber aussieht.

„Schön hast du's hier", mein Tobi und lässt sich neben mir auf der Kante meines Bettes fallen.

„Danke. Aber um ehrlich zu sein, freue mich total darauf auszuziehen und in einer WG zu leben, wie du. Am besten mit genau so tollen Leuten."

„Kannst gerne bei uns einziehen", meint Tobi mit einem schelmischen Grinsen. Das Angebot klingt wirklich verlockend.

„Ich werde darauf zurückkommen", meine ich, ebenfalls grinsend und greife nach meinem Laptop.
Ich beobachte Tobi dabei, wie er den USB-Stick ansteckt und die Fotogalerie öffnet. Ein Ladebalken erscheint und die Fotos werden im Schneckentempo exportiert.

Ungeduldig klopfe ich mit meinen Fingern auf meinem Bein herum. Tobi spielt wie so oft mit einem seiner Fingerringe und blickt gedankenverloren in meinem Zimmer herum.

Das Schweigen zwischen mir und Tobi wird mir langsam unangenehm und ich beschliesse, es zu brechen. Doch Tobi kommt mir zuvor.

„Das Angebot vorhin habe ich übrigens ernst gemeint. Falls du mal von zu Hause entfliehen willst, hast du bei uns immer einen Zufluchtsort. Du kannst so oft kommen wie du willst und wann du willst. Wir.. ich mag dich wirklich sehr, Katie."

Überrascht schaue ich ihn an. Tobis Worte klingen so aufrichtig und ehrlich, dass mir ganz warm ums Herz wird. Trotzdem spüre ich, wie sich etwas in meinem Magen zusammen zieht und den rosaroten Schleier trübt. Ein Gefühl, dass ich nicht verdrängen kann.

Schuld.

„Ich...", beginne ich und suche nach den richtigen Worten. Ich sollte Tobi die Wahrheit erzählen. Ich sollte im gegenüber offen sein. Doch stattdessen entschiede ich mich für den Weg eines Feiglings.

„Danke", sage ich leise.

Tobi rutscht etwas näher zu mir und ich ziehe eines meiner Beine hoch. Was im darauf folgenden Moment passiert, kann ich mir im Nachhinein nicht mehr erklären.
Doch in diesem Augenblick scheint alles so unglaublich stimmig zu sein, dass ich überhaupt nichts hinterfrage oder verhindern will.

Ich beuge mich vor und presse meine Lippen auf Tobis. Meine Hand wandert zu seinem Hinterkopf, als er den Kuss erwidert und wir rückwärts auf mein Bett sinken. Ich greife nach seinen Haaren und fahre seinen Nacken herunter. Inzwischen spüre ich seine warmen Finger auf meiner Haut. Sanft streicht sein Daumen über die Wangen, meinen Hals hinunter.
Ein leises Seufzen entfährt ihm, als meine Hand unter seinem Shirt verschwindet und über seinen harten Bauch fährt. Er fühlt sich so wahnsinnig gut an, dass ich nicht genug bekommen kann.

Er ist wie ein guter Song. Einen den man unzählige Male abspielen kann und der niemals langweilig wird.
Er bereitet mir eine Gänsehaut und macht süchtig nach mehr. So wie alles an ihm.

Unser Kuss gerät aus dem Ruder und wird intensiv. Tobis Band-Shirt landet auf dem Boden. Mein BH folgt. Ich spüre Tobis warme Hände an meinem Rücken, meiner Hüfte.

Und dann sind da nur noch wir.

Ein guter Tag zum TanzenWhere stories live. Discover now