Kapitel 3

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,,Pass auf dich auf.", verabschiedete sich meine Schwester von mir, bevor ich hinaus trat. ,,Ich passe schon auf mich auf. Mach dir keine Sorgen.", beruhigte ich sie, schnappte mir meinen Bogen und schloss die Tür hinter mir. Tief atmete ich die kalte Luft ein und blickte mich um. Kleine Wasserkristalle waren überall zu sehen und ließen die Natur wunderschön aussehen. Der erste Frost dieses Jahr!

Langsam machte ich mich auf den Weg in den Wald. Ich wusste ungefähr, wohin ich gehen musste, um die Herde zu finden. Da ich den Wald wie meine Westentasche kannte, würde das kein Problem werden. Sollten sich die Hirsche und Rehe dort nicht befinden, müsste ich meine Such erweitern. Das bedeutete dann aber, dass ich wahrscheinlich nicht vor der nächsten Morgendämmerung daheim sein würde.

Ich liebte den Winter. Die kalte Lucht, welche ein Prickeln auf der Haut entstehen ließ. Doch das Beste war der Schnee. Diese wunderschön glitzernden Kristalle, welche die Landschaft in weiße Decken legten. Egal, wohin das Auge blickte, man konnte überall die atemberaubende Aussicht sehen. Der Wald verwandelte sich im Winter in eine mystische weiße Welt und immer wieder fand man zugefroren Seen oder Bäche. Oft ging ich dann mit meinen Geschwistern dorthin und wir machten uns eine schöne Zeit.

Leise stapfte ich durch den Wald, sprang über umgefallene Baumstämme und durchkämmte mit meinen Augen die Umgebung nach Hinweisen für Rehe. Ich suchte nach Abdrücken oder anderen Spuren, doch bis jetzt war nichts zu sehen, weshalb ich mich immer weiter dem eigentlichen Ziel näherte. Den ganzen Weg über waren nur vereinzelte Laute von den letzten Vögeln zu hören. Doch diese würden sich auch bald auf den Weg machen, um an einen wärmeren Ort zu fliegen. Ich schaute einem von ihnen verträumt hinter. Was würde ich alles geben, um auch fliegen zu können. Für mich war das Fliegen eine neuerrungene Freiheit. Niemand könnte einem folgen und man könnte überall hin. Als ich noch klein war, hatte ich oft gespielt, dass ich Flügel hätte und war immer voller Tatendrang auf die höchsten Bäume geklettert, um dem Himmel näher zu sein. Dieses Verhalten hatte meinen Eltern oft in Angst versetzt, besonders wenn sie mich friedlich fünf Meter über dem Boden auf einem Ast sitzen gesehen hatten. Jedes Mal hatten sie mich geschimpft und versucht, mir diesen 'Unsinn' auszureden, doch ich war stur geblieben und irgendwann hatten sie es aufgegeben. Einmal hatte ich meine Geschwister und Gleichaltrige gefragt, ob sie auch so empfanden, doch alle hatten die Frage verneint. Je älter ich geworden war, desto weniger wurden solch halsbrecherische Aktionen, doch der Wunsch, fliegen zu können, war immer noch tief in meinem Innersten verankert. Die Verbundenheit zum Himmel und zur Natur hatte sich nur mehr verstärkt. Aus dieser Verbundenheit entstand mein Zweitname Naira. Ich wusste nicht, was dieser Name bedeutete. Ich hatte ihn auch nur zweimal in meinem Leben gehört. Meine Mutter hatte mich immer so genannt, wenn sie verzweifelt gewesen war. Oft hatte ich sie gefragt, wieso mir dieser Name gegeben worden war, da es nicht nur mit der Verbindung zu Natur zu tun haben konnte, doch meine Mutter war mir jedes Mal aufs Neue ausgewichen. Seit dem Tod von unseren Eltern hatte ich diesen Namen nicht mehr gehört, und das sollte auch so bleiben!

Langsam stapfte ich weiter. Ich war jetzt schon seit ein paar Stunden unterwegs und die Kälte bahnte sich stetig einen Weg in meinen Körper. Ich konnte schon spüren, wie meine Finger langsam klamm wurden, obwohl ich Handschuhe trug, welche Serina und ich extra für mich gefertigt hatten. Zum Glück würde es nicht mehr lange dauern, bis ich mein Ziel erreichte. Meinen Bogen hatte ich mir greifbar um die Schulter gehängt, genauso den Köcher. In meiner Jacke befanden sich zwei kleine Messer, um mich verteidigen zu können und um die Tiere zu häuten und auszunehmen.

Aufmerksam wanderten meine Augen über die Landschaft und nahmen jede Kleinigkeit auf. Meine Ohren vernahmen das kleinste Geräusch und tief einatmend nahm ich den Duft des Waldes auf. Seit Stunden hatte ich kein einziges Anzeichen gefunden, was darauf hinwies, dass es hier im Wald eine Herde Rehe gab. Langsam machte sich der Zweifel in mir breit und ich hatte schon angefangen, zu überlegen, ob es nicht doch besser war, wieder umzudrehen. Plötzlich erklang ein Knacken in der Nähe. Sofort ging ich in die Knie und schlich so leise wie möglich in die Richtung. Vorsichtig versteckte ich mich hinter einem Baumstamm und spähte um diesen herum. Meine Augen begannen vor Freude zu funkeln, als ich sah, was sich vor meinen Augen befand. Ein großer Hirsch und zwei weiteren Rehen suchten wohl angestrengt nach Futter. Grinsend musterte ich die drei Prachtstücke, während ich langsam einen Pfeil aus meinem Köcher zog. Ruhig legte ich den ersten Pfeil an und zielte auf den Hirsch, doch bevor ich den Pfeil abschoss, merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Was ich aber nicht wusste war, dass etwas Gefährliches auch ein Auge auf die drei Tiere geworfen hatte.

Rising Dark - Das ErwachenWhere stories live. Discover now