13 Kapitel

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Samantha P.o.V.

Okay, hätte ich gewusst, dass ich Elli nicht mehr los werden würde, wäre ich niemals in sie rein gerannt. Gut, im Grunde konnte ich ja nichts dafür, aber trotzdem! Elli war sowas von anstrengend. Sie redete die ganze Zeit, sogar im Unterricht. Den Lehrern war das irgendwie nicht aufgefallen, obwohl sie die ganze Zeit zu uns geschaut hatten. Der Grund dafür war aber eher mein Gesicht. Sobald jemand zu uns geschaut hatte, hatte er meine Gesicht erblickt. Kurz war die Person dann erstarrt und dann hatte sie sich schnell wegdreht.

Und jetzt wo ich eigentlich mal wieder meine Pause alleine verbringen wollte, da Hannah wahrscheinlich wieder bei den Jungs war, folgte mir Elli gut gelaunt und meinte, wir könnten doch die Pause zusammen verbringen. Versteht mich nicht falsch, sie war total nett, aber ich liebte meine Einsamkeit irgendwie und sie hatte auch zu viel Energie für mich. Ich konnte einfach nicht mit Menschen umgehen, welche eine Energie wie ein ganzes Atomkraftwerk ausstrahlten. Oder mit Menschen generell. Die Leute auf dem Flur sahen uns alle belustigt an. Wir gaben schon ein komisches Bild ab: die komische Samantha, die ewige Außenseiterin, die heute wie ein Boxer nach dem Kampf aussah. Und dann noch die überdrehte sonnengebräunte Neue, die sich wie ein Kleinkind benahm. Elli konnte kein Gespräch ohne wilde Gesten machen oder zwei Meter gehen ohne dabei irgendwie herumzutänzeln. In der Cafeteria angekommen, wurde es sofort still und alle schauten uns an. Verlegen senkte ich den Blick und hastete zu meinem Tisch. Anscheinend hatte mein Wochenenderlebnis schon die Runde gemacht. Verwundert folgte Elli mir. Ausnahmsweise hielt Blondi mal ihre werte Klappe. Als alle uns weiter anschauten, drehte sie sich um, stemmte die Hände in die Seite und killte jeden mit ihrem durchdinglichsten Blick. Sie war eine richtige Serienmörderin. Jeder Schüler starb sicherlich innerlich gerade einige Tode. Den Killerblick konnte sie echt gut. "Habt ihr nichts besseres zu tun", fing sie jetzt an zu meckern. O Gott, wehe die hielt jetzt hier und jetzt eine Predigt. Wenn man gerade denkt, es kann nicht noch peinlicher werden, muss irgendjemand es ja immer toppen. Sie öffnete erneut den Mund und ich stöhnte genervt auf. Se hielt jetzt wirklich eine Predigt. Boden tue dich auf. Sofort! "Starrt doch lieber euer Essen oder eure hässlichen Sitznachbarn an! Ich meine, was ist so spannend, wenn zwei schöne Mädchen in die Cafeteria kommen? Wir sind auch nur Menschen. Nur für euch halt unerreichbar. Also schließt jetzt sofort eure netten Münder und esst brav euer Essen auf!"

Zufrieden setzte sie sich neben mich und beobachtete grinsend, wie die anderen nach dem ersten Schock sofort die Gespräche wieder Aufnahmen, nur diesmal mit einem neuen Thema: die Neue und die Außenseiterin! Mit knallrotem Gesicht schaute ich den wandelnden Albtraum vor mir an. "Das hast du gerade nicht wirklich gemacht, oder", stöhnte ich und kramte einen Apfel aus meiner Tasche. "Doch, und ich fand, ich war ziemlich gut", sie lächelte selig und schaute verträumt nach oben. Na immerhin war eine mit diesem peinlichen Auftritt zufrieden. "O Gott, eingebildet bist du ja gar nicht", grinste ich jetzt. Allmählich erholte ich mich von diesem Schock. "Wer, ich? Nein, ich doch nicht", lachte sie und kramte Geld aus ihrer Jacke. "Ich hol mir mal was zu essen. Wehe du haust ab" Verdammt, sie konnte Gedanken lesen. Genau das hatte ich eigentlich vorgehabt. Sie lächelte mich vielsagend an und verschwand. Kopfschüttelnd schaute ich auf den Apfel. Hunger hatte ich nicht wirklich. Der Stuhl neben mir quietschte und jemand setzte sich hin. Hannah. Kaum war die eine Nervensäge weg, kam die nächste. "Na, wie ist sie so", fragte sie aufgeregt und spielte wie wild mit ihren endlos langen Haaren herum. "Wer", fragte ich genervt und biss in meinen roten Apfel.
Pass auf das er nicht vergiftet ist!
Arg. Meine innere Stimme kannte echt zu viele Märchen. Wobei...durch das Gift würde ich sterben und dann wäre ich meinen Vater los. Alles hatte wohl seine Vor- und Nachteile. "Du weißt schon. Die Neue", meinte Hannah ungeduldig. Anscheinend hatte sie beschlossen, dass Elli keinen Namen hatte. Ich seufzte und sah sie aus den Augenwinkeln an. Ihrem Aussehen nach, hatte sie wieder ihre Bitchphase. Das mir das heute morgen nicht aufgefallen war. Aber gut, da waren wir auch eher mit anschreien beschäftigt gewesen. "Wo hast du denn deine Klamotten gelassen", schoss es aus mir heraus.

Empört schnappte sie nach Luft. Aber ich fand schon, dass meine Frage berechtigt war. Ich meine, ein bauchfreies Top mit einem Monsterausschnitt, sodass fast ihre Brüste rausfielen, konnte man jetzt nicht als richtiges Kleidungsstück ansehen. Ich würde sogar Wetten, dass ihr Hintern in einem viel zu knappen Minirock steckte. Und damit hatten wir auch die Erklärung, warum ich Leon nicht leiden konnte: immer wenn Hannah mit ihm zusammen war, meinte sie, sie müsste sich verändern, damit er sie liebt. Andauernd pushte sie ihr Aussehen weiter auf und erinnerte mehr an ein Model oder an eine billige Nutte, als an eine achtzehn jährige Schülerin.

Jetzt sprang sie beleidigt auf und warf ihre Haare nach hinten. Jip, ich hatte Recht gehabt: knapper Minirock. Und woho, sogar schwarze Stiefel mit Absätzen. Man, die schmiss sich ja für Leon in Schale. Ob sie wusste, dass wir in einer normalen Schule waren? "Ich weiß nicht, was heute mit dir los ist, aber ich hoffe, dass das nicht deine Standard Laune jetzt ist", giftete sie und verzog ihre vollen Lippen zu einem Schmollmund. Traurig sah ich sie an. Hannah war meine einzige und beste Freundin, und Leon verwandelte sie in eine hirnlose Schlampe. Alle Monate wieder wurde sie zu einem unausstehlichen Highschoolflittchen. "Hey, du. Du stehst mir im Weg", ertönte Ellis Stimme wenig begeistert. "Pech", fauchte Hannah. Knallend stellte Elli ihr Tablett auf den Tisch und baute sich vor Hannah auf. Obwohl Hannah sie um einiges überragte, starrte Elli sie erbost an und zuckte nicht mal mit der Wimper. Ein bisschen erinnerten mich die beiden an David und Goliath. Und schon damals hatte der Zwerg den Riesen besiegt. "Hör mal gut zu, Bitch! Ich habe null Bock mich am ersten Tag gleich mit jedem anzulegen, doch du stehst mir im Weg. Und niemand redet in diesem Ton mit mir, wie du es gerade getan hast. Also du hörst mir jetzt mal gut zu: Du kleines Flittchen hast jetzt genau zehn Sekunden um von hier zu verschwinden oder es wird ungemütlich für dich!" Ich erhob mich langsam und lächelte Hannah emotionslos an: "Hannah, darf ich vorstellen, Elisabeth! Leons Cousine. Elli, das ist Hannah. Leons Freundin." Elli riss kurz die Augen auf, dann legte sie richtig los. Denn auf den Namen Leon war sie gar nicht gut zu sprechen. Das hatte ich jetzt schon ein paar mal bemerkt und das musste ich jetzt einfach ausnutzen. Mit einem kleinen süffisanten Lächeln lehnte ich mich an den Tisch.

"Soso, du bist also Leons Freundin. Hm, passen tust du ja zu seinem Beuteschema. Zu viel Make-Up, keine richtige Klamotten und wahrscheinlich auch kein Schamgefühl. So sehen sie alle aus. Kleine Schlampen, die nur Aufmerksamkeit wollen. Wahrscheinlich ist dein IQ auch noch unter null, deshalb werde ich jetzt mal alles deutlich sagen, damit du es ja verstehst: du...gehst...jetzt...sofort...hier...Weg....oder...es...gibt...Ärger! Großen...Ärger!" Den letzten Teil redete sie so, als würde sie mit einem Kleinkind reden. Angestrengt versuchte ich ein Lachen zu unterdrücken. Zwar hatten Hannah und ich viel erlebt, aber das interessierte mich gerade nicht. Normalerweise ging ich ihr in solchen Phasen gekonnt aus dem Weg, aber so hatte ich natürlich einen Kampfzwerg an meiner Seite, der begeistert diesen Kampf zu kämpfen schien, "Sowas lasse ich mir nicht bieten. Viel Spaß mit der Irren hier", schnappte Hannah beleidigt nach Luft und rauschte davon. Faszinierend wie sie ihren Hintern schwingen konnte. "Was für eine Schlampe", stöhnte Elli und setzte sich hin, nur um sofort herzhaft in ihr Sandwich zu beißen. Ich dagegen ließ mich eher auf meinen Platz fallen und vergrub mein Gesicht in meinen Händen, so gut es eben mit Brille und Verletzungen ging. "Sie war meine beste Freundin", murmelte ich jetzt. Die ganze Energie wich aus meinem Körper. "Oh", war die entsetzte Antwort.

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