4 Kapitel

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Samantha P.o.V.

"Schwörst du bei deinem Leben, dass du pünktlich bei mir erscheinen wirst? Ich verspreche dir, dass wenn du nur eine Minute zu spät kommst, du sowas von tot bist", sagte Hannah und sah mich warnend an. Ihr Tonfall und auch ihr zorniger Blick ließen keine Widerrede zu. "Jaja. Ich werde pünktlich bei dir sein. Ich verstehe echt nicht, warum du so einen Wirbel um diese Party machst. Ich dachte, du willst da nicht hin", fragte ich sie genervt und verwarf ihre Warnung mit einer Handbewegung. "Also erstens brauche ich meine Zeit um mich zurecht zu machen und zweitens: Ich will es ihm heimzahlen", erklärte sie und sah mich funkelnden Augen an. Anscheinend hatte sie sich über den Tag hinweg so einige Rachegedanken überlegt und ich arme Seele musste diese mit ihr ausleben.
Gott stehe uns bei.
"Lass mich raten, du gehst mit einem seiner Kumpels ins Bett?" "Du kennst mich einfach zu gut Schätzchen", gab sie zurück und zwinkerte. Und sie wunderte sich, warum sie den Ruf einer Schlampe hatte. Sie stieg doch mit jedem ins Bett, der nicht bei drei auf dem Baum war. Meiner Meinung nach, war das fast schon zwanghaft. "Ich finde damit schadest du nur dir selbst aber was soll es. Bis später." Ich stieg aus, knallte die Autotür zu und stapfte zu meinem sogenannten Zuhause. Sie rief mir noch irgendwas hinterher, aber ich ignorierte es gekonnt. Sollte sie nur meckern. Ich warnte sie nur vor möglichen Fehlern. Hannah meinte immer, unsere Villa sei das geilste Gebäude hier in der Stadt. Zugegeben, sie war groß, modern und absolut gigantisch. Nicht zu vergessen, wie teuer das Ding war. Allerdings fand ich, dass sie einfach nur kalt und bedrohlich da oben auf dem kleinen Hügel wirkte. Wie ein kleines Schloss, indem ein grausamer Herrscher lebte und über seine Untertanen mit Gewalt und Hass regierte.

Wenig motiviert schritt ich in die Eingangshalle. Die Schuhe zog ich nicht aus, da der Boden erstmal wieder geputzt werden müsste. Prinzipiell war dies meine Aufgabe, aber ich hatte weiß Gott besseres zu tun. Als erstes räumte ich den Müll auf, den mein Vater hinterlassen hatte. Halbleere und kaputte Alkoholflaschen, Kotze, Scherben und umgekippte Möbel. Es war das übliche Programm nach einer harten Woche. Es erinnerte mich immer ein bisschen an einen Tornado, welcher durch die Bude gewüstet war und alles kurz und klein schlagen wollte, was ihm in den Weg kam. Er wütete so lange, bis nichts mehr zum zerstören da war oder bis die Koordination es nicht mehr zu ließ. Meistens klappte er dann einfach an Ort und Stelle zusammen. Und anstatt die Sauerei wegzumachen, ging er zur Arbeit und tat, als sei nie was passiert. Stattdessen durfte ich die ganze Arbeit erledigen, da ich auch nicht auf einer Müllkippe leben wollte. Als ich fertig war, ging ich erstmal duschen. Verzweifelt versuchte ich den Dreck seiner Taten wegzuwaschen, doch es gelang mir nicht. Es tat mir weh, meinen eigenen Körper zu berühren, da dieser ein Flickenteppich aus Narben und blauen Flecken war. Wenn mir die Berührung nicht physischen Schmerz verursachte, dann definitiv psychischen.

Nach einer ausgiebigen Dusche, begab ich mich in mein Zimmer und ließ mich, im Bademantel gekleidet, auf mein riesiges Bett fallen. Die Gedanken an den Tag überrollten mich. Wieso um alles in der Welt, schmissen die Jungs eine Party? Sie hatten doch letzte Woche erst eine veranstaltet.
Ich bereute es total, dass ich zugesagt hatte. Ich und Party? Das ging nie gut aus. Das letzte Mal als ich mit Alkohol in Kontakt kam, hatte ich viel zu viel getrunken und war am nächsten Morgen im Straßengraben aufgewacht. Mein Standort war irgendwo zwischen Party und Heimathaus gewesen, weshalb ich vermutete, dass ich nach Hause laufen wollte und kläglich gescheitert war. Ab da hatte ich die Finger von Alkohol gelassen. Zugegeben, die Party war erst drei Monate her gewesen. Dementsprechend hatte ich drei Monate die Finger von jeglichen Alkohol gelassen. Leider ahnte ich, dass ich es heute Abend nicht klappen würde. Obwohl ich eine Zeit lang versucht hatte durch Alkohol alles zu vergessen, war es mir nie gelungen. Schon so manche Male war ich dann bei Hannah aufgewacht. Das einzige was ich vergessen hatte, waren die Abstürze selbst. Leider blieben die Erinnerungen wie Parasiten in meinem Gedächtnis verankert. Sie war echt eine gute Freundin. Trotzdem wusste sie nur das mein Vater trank. Mehr nicht. Auch nicht das ich mich mal geritzt hatte.
Oder das er mich schlug.
Oder das ich vergessen wollte.
Oder das ich nur ihr halbwegs traute.
Sie wusste nur das eine.

Ich strich über die zarten Narben an meinen Unterarmen und versank in meiner Gedankenwelt. Die Narben erinnerten mich an vergangene Fehler.
Fehler, die mich einiges gekostet haben.
Fehler, die durch meine eigene Dummheit hervorgerufen wurden.
Die Schnitte hatten mich ablenken sollen, von all dem Schmerz und Leid. Sie hatten mir ein Gefühl der Kontrolle gegeben, da nicht er sondern ich mich selbst verletzte. Es war meine eigene Hand, die mir das antat und nicht seinem schmutzigen Pranken. Aus einem anfänglichen Versuch hatte sich eine Sicht entwickelt. Immer wenn ich das Gefühl des Kontrollverlustes hatte, griff ich zur Klinge. Es war berauschend. Ich fühlte mich in diesen Momenten schwerelos und frei. Doch dann kam der Schmerz und ich fiel aus meinem hohen Flug zurück auf den Boden der Tatsachen. Es half nur kurz und ich brauchte keine kurzen Lösungen. Ich brauchte andauernde Rettung, doch die konnte mir keine Wunde dieser Welt verschaffen.

I'm not living, I'm just survivingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt