43 Kapitel

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Samantha P.o.V.

"Samantha. Jetzt warte doch", brüllte Lucas. Ich ging sofort einen Schritt schneller. Eigentlich wollte ich nach diesem vergeigten Schultag nur einen ruhigen Spaziergang durch den Park machen, doch selbst das wurde mir wohl nicht gegönnt. "Ich muss mit dir reden. Bleib stehen, bitte", flehte er. Er konnte mich eh in weniger als einer Sekunde einholen. Trotzdem begann ich nun zu rennen. Ich floh. Ich konnte schon meinem Vater nie entkommen, vielleicht hatte ich ja jetzt mal Glück. Die Bäume flogen an mir vorbei, meine Umgebung verschwamm vor meinen Augen. Ich flog dahin. Und dieser Flug wurde je unterbrochen, als jemand meine Hand packte und mich zurück riss.

Mein Körper wurde herumgewirbelt und ich knallte gegen eine harte Brust, Lucas. "Warum rennst du denn weg", fragte er verwirrt und lockerte seinen Griff, doch er ließ mich nicht los. "Warum verfolgst du mich", fragte ich leise. Auf Keramik musterte ich seine angespannte Kinnpartie. "Ich wollte nur mit dir reden." Stille. "Ist alles in Ordnung bei dir? Du warst heute so komisch", setzte er dann an und musterte mich. Ich war ja nur vor allem durchgehend beleidigt worden.
Natürlich geht es mir da super.
"Mir geht es gut", sagte ich steif und starrte irgendwohin. "Das sehe ich", sein Spott war nicht zu überhören. "Ist es wegen gestern? Hast du Angst, dass ich dich verurteile, nur weil dein Vater alkoholsüchtig ist? Ich bin nicht so oberflächlich. Ich meine, wieso sollte ich das tun? Du kannst doch nichts dafür!" Verzweifelt begann er sich um Kopf und Kragen zu reden. Nun sah ich ihn an. "Sam", murmelte er sanft und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. Seine Trennung von heute hatte er erstaunlich gut weggesteckt. "Niemand kann etwas dafür, wenn andere handeln wie sie handeln. Auch du nicht." Er erwiderte meinen Blick offen und ehrlich.
"Ehrlich. Wenn dein Vater sich im Alkohol ertränkt, dann ist es seine Entscheidung. Du hast damit nichts zu tun. Er ist erwachsen. Du bist nicht seine Mutter. Er sollte auf dich aufpassen und nicht du auf ihn. Und vor allem brauchst du dich nicht für seine Handlungen zu schämen, verstanden?" Er packte mich an beiden Schulter und musterte mich eindringlich. Von seinen Worten berührt begann meine Unterlippe zu zittern. Meine Sicht begann zu verschwimmen, mein Blick wurde glasig. Ich wollte nicht weinen, doch die Tränen wollten raus. Immer mehr Tränen bahnten sich ihren Weg raus an die Freiheit und glitten meine Wangen runter. "Ach Sam.", seufzte er und drückte mich an ihn.
Solange hatte ich mir jemanden wie ihn gewünscht.
Jemand, der immer für mich da war. Jemand, der mein Fels in der Brandung war.
Jemand, der mein Halt im Sturm war.
Jemand, der mich vor dem Ertrinken rettete.
Das Lucas dieser jemand war, überraschte mich. Allerdings musste man eins sagen: Es war zu spät. Ich war schon längst ertrunken. Der Sturm hatte mich umgerissen. Die Brandung hatte mich zerfetzt. Ich war zu lange alleine gewesen.

Unkontrolliert kullerten die Tränen aus meinen Augen und durchtränkten sein Shirt mit Salzwasser. Ich schluchzte auf. Meine Arme hingen schlaff an meinem Körper. Mein ganzer Körper hatte seine Kraft verloren. "Es wird alles wieder gut. Du wirst sehen, irgendwann kommt auch dein Vater vom Alkohol weg", beruhigend strich er mir über die Schulterblätter. Abrupt wich ich zurück. "Es wird alles wieder gut", schluchzte ich und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Wie ein kleines Kind zog ich die Nase hoch und versuchte den Rotz in mir drin zu behalten. "Es wird alles wieder gut", meine Stimme gewann an Stärke. Zornig schaute ich ihn an. "Sam..." "Wie kannst du sowas sagen? Du kennst mich nicht! Du kennst mein Leben nicht. Du weißt gar nichts über mich. Du hast absolut keine Ahnung!" Ich steigerte mich immer weiter rein. Wütend stampfte ich auf den Boden auf, woraufhin er einen Schritt zurück ging. "Mein Leben ist nicht so wie deins. Wahrscheinlich denkst du, ich heule rum wenn ein Nagel abbricht und das es für mich ein Weltuntergang wäre, würde es mein Shampoo mal nicht mehr geben! Verdammt. Ich wünschte, ich hätte diese Probleme. Fakt ist, ich habe sie nicht. Du lebst vielleicht ein tolles Leben, wo sich jedes Problem mit einem Finger schnipsen lösen lässt. Ich aber nicht! Bei mir wird nicht alles wieder gut."

Entsetzt starrte er mich an. Er sah meine Tränen, welche wie Sturzbäche meine Wangen runter liefen. "Weißt du, du weißt nichts. Die Wahrheit ist...."
....mein Vater schlägt mich. Er trinkt, säuft und misshandelt mich. Er ist ein Arsch. Ein Haufen Müll. Ein Monster!
In Gedanken war es leicht alles auszusprechen, doch ich konnte es nicht in Worte fassen. "Ja", fragte er vorsichtig und kam auf mich zu, doch ich wich zurück. "Die Wahrheit ist: Lass mich endlich in Ruhe. Wir haben uns nie gemocht, wieso sollten wir es jetzt tun?" Die Worte verließen zu schnell meine Lippen. Geschockt über meine Worte, wirbelte ich herum und rannte nach zurück zur Schule um mein Auto zu holen. Ich musste hier weg. Nirgendwo hatte ich meine Ruhe und jeder weitere Konflikt trieb mich in den Wahnsinn. Ihn ging mein Leben nichts an und dabei würde es auch bleiben.

I'm not living, I'm just survivingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt