34 Kapitel

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Samantha P.o.V.

Die Reportage war langweilig. Das Kamerateam war blöd, mein Vater führte sich wie ein aufgeblasener Gockel auf und Basti benahm sich wie ein schlechter Klon seines alten Ichs. Ich stand wie eine Puppe da und lächelte stumm vor mich hin. Gerade saß ich auf meinem Bett und schaute mir für die Kamera alte Bilder an. Das war schon nicht so meins, aber schlimmer geht ja bekanntlich immer. Neben mir saß mein Vater und schaute gespielt aufmerksam auf die Bilder in meiner Hand. Die ganzen Fotos, die gemacht wurden, waren fake. Nichts stimmte. Die Moment, wo wir uns umarmten, wo wir zusammen am Tisch saßen und aßen, einfach nichts stimmte. Es war alles erlogen und betrogen.

Aber da ich eine liebe nette Tochte sein wollte, benahm ich mich vorbildlich. Beim Interview sagte ich nichts. Gut, als sie mich alleine befragten, antwortete ich lieb und nett auf alles. Aber auch nur vage und knapp. Und nun saß ich hier neben meinen Vater. Es dauerte gefühlt ein ganzes Jahrtausend, bis das perfekte Foto im Kasten war. Die Nähe zu meinem Vater war mir unheimlich. Ich spürte die Anspannung, die von ihm ausging und hatte Angst auch nur einen falschen Atemzug zu tätigen. Ich hatte Angst vor ihm.
Peinlich.
Sobald der Kameraheini nickte, sprang mein Vater auf und klopfte sich das Hemd glatt. Für ihn war es wohl genauso schlimm gewesen. Charmant. Quatschend gingen er und die Reporter runter, mein Bruder blieb auf dem Schreibtischstuhl sitzen. Hastig räumte ich die Fotos unter mein Bett und griff nach meinem Handy. Ich vermied es Basti anzuschauen, weil ich dann mit ihm hätte reden müssen. Auf WhatsApp wartete eine Nachricht auf mich.
"Hey Prinzessin. Lust heute Abend mein Spiel anzuschauen?"
Ich schüttelte den Kopf. Was wollte Lucas denn nun schon wieder von mir? Der Typ war in letzter Zeit echt anhänglich. Dennoch antworte ich.
"Uhrzeit?"
"Mit wem schreibst du", neugierig beugte Basti sich vor. Finster schaute ich ihn an. Das Geschwistergehabe konnte er sich sonst wohin stecken, "Wer sagt, dass ich mit jemandem schreibe?" "Dein Blick. Und die Tatsache, dass du auf deinem Handy tippst", er grinste leicht. "Wow, bist du schlau", feixte ich spöttisch.
Bevor er antworten konnte, gab mein Handy einen kläglichen Laut von sich. Allmählich brauchte ich wohl wirklich einen neuen Klingelton.
"In einer Stunde...also um 18:30 Uhr ;)"
"Ein Junge?" Seufztend sah ich ihn an. "Ja. Lucas. Aus der Schule", gestand ich. Irgendwo war er doch noch mein Bruder. Ich konnte ihn nicht belügen. Außerdem fehlte er mir. Irgendwo, irgendwie. "Das ist doch super. Und was will er?" "Du nervst...", zischte ich. Soweit waren wir dann doch noch nicht. Lachend erhob er sich und setzte sich vorsichtig neben mich. "Zerknitter dir bloß nicht deine Sachen.", giftete ich und rutschte weg. Nähe war mir nicht geheuer. "Wollt ihr euch treffen?" "Du bist so neugierig...", moserte ich, dann gab ich mich geschlagen. "Er fragt, ob ich sein Spiel anschauen will. Ich weiß nicht mal. was für ein Spiel. Aber ich weiß nicht, ob Vater mich gehen lässt." "Wieso sollte er dich nicht gehen lassen? Du bist doch alt genug!" Ja du Genie, dass wusste ich auch.

Gedanken verloren spielte ich mit einer Haarsträhne. "Weißt du was, ich fahre dich. Und wenn ich dich abholen soll, ruf an! Für meine Schwester tu ich doch alles", er schlang einen Arm um mich herum und küsste mich auf die Stirn. Welche Pillen hatte er bitte zu sich genommen?
Woher kriege ich die?
"Ich hab dich lieb", nuschelte er in meine Haare. "Ich glaube, dass habe ich dir zu selten gesagt." Ich hasste diese Wörter. Vater, das Monster, sagte sie immer. Bevorzugt betrunken und den grausamen Nächten, wo ich sein Opfer war.
"Danke...", erwiderte ich verzögert und schlang zögerlich die Arme um seine Schultern. "Dann aber hopp. Ich glaube allerdings, du musst dich noch umziehen", grinste er und löste sich von mir. Erleichtert atmete ich aus. Hastig sprang ich auf. Gute Idee. Schnell rannte ich in mein Badezimmer. Grob wusch ich mir einen Teil des Make-Ups aus dem Gesicht, kämmte meine Haare und zog ein einfaches Top und meine Jeansjacke an. Nach einigem Suchen fand ich meine Kontaktlinsen und eine geeignete Jeans. Hüpfend sprang ich durch mein Zimmer und quetschte meine Beine in die Hose. Schnell noch in meine Nikes schlüpfen, Handtasche mit allen wichtigen Sachen packen und mitnehmen und schon rannte ich die Treppe runter. So aufgeregt war ich ewig nicht gewesen.

Unten wartete Basti. Lässig lehnte er am Treppengeländer und schleuderte den Autoschlüssel hin und her. "Können wir?" Als ich nickte, schrie er laut Richtung Wohnzimmer. "Wir sind dann mal weg, Dad!" Sekunden später kam dieser rausgeschossen. "Wohin fahrt ihr?" Sofort packte ich das Treppengeländer fester und starrte ihn leicht panisch an. Seine toten Augen fixierten mich. Langsam trat Basti neben mich. "Wir machen einen Bruder Schwester Ausflug. Schließlich haue ich ja bald wieder ab." Mein Vater hielt inne. Kurz schien er was sagen zu wollen, doch dann nickte er. "Jaja, haut nur ab. Aber ich möchte wissen, wo ihr hin wollt." Und wieder kam Basti mir zuvor. Er legte schützend einen Arm um mich. "Das wissen wir noch nicht so genau. Vielleicht gehen wir in die Stadt. Oder ins Schwimmbad. Wir lassen uns vom Schicksal leiten", er zwinkerte einmal und schlenderte mit mir raus. Ins Schwimmbad. Abends? Gott, lügen musste er echt noch lernen.

Geschickt lenkte Basti seinen Audi durch die Straßen. "Wo ist das Spiel überhaupt", durchbrach seine raue Stimme die Stille. Das Radio war aus und so herrschte eine sehr peinliche Atmosphäre im Auto. "Ähm...ähm...joa. Ich denke mal bei der Schule. Also auf dem Sportplatz", nuschelte ich und rutschte peinlich berührt noch tiefer in den weichen Ledersitz hinein. "Okay." Stille. Um Punkt viertel nach sechs fuhren wir auf den Parkplatz. "Na dann. Ich treffe mich mit ein paar alten Freunden. Ruf an, falls ich dich abholen soll. Aber wer weiß, vielleicht bringt dich dein Freund ja auch nach Hause." "Bastian", wütend schmiss ich die Autotür hinter mir zu. Grinsend haute er noch einige Male auf die Hupe, dann verschwand er. Unsicher klammerte ich mich an meine Handtasche. Ich war noch nie auf einem Spiel gewesen. Ich wusste nicht einmal, was Lucas und Leon überhaupt spielten. Wahrscheinlich Football oder Basketball. Das war bei uns hier ja am beliebtesten.

"Sam? Ich wusste gar nicht, dass du dir Fußball anschaust", durchbrach jemand meine Gedankenwelt. Elli kam vergnügt in rot gekleidet angehüpft. Sehr knapp in rot gekleidet. "Ist das ein Cheerleaderkostüm", stieß ich verwirrt aus. "Du nennst das ehrlich Kostüm", lachte sie und warf sich in meine Arme. Wie sollte ich diesen Stofffetzen sonst nennen? "Aber ja, ich bin bei den Cheerleadern. Ist voll cool." Ich sollte echt mal anfangen ihr zuzuhören. Vergnügt harkte sie sich bei mir unter. "Also, seit wann magst du Fußball?" "Fußball? Die spielen ernsthaft Fußball?" "Ja, frag nicht. Leon und Lucas haben wohl eine Wette verloren." Als sie meinen Blick sah, schüttelte sie ihren Kopf und lachte. "Ehrlich Sam, wie lange gehst du schon auf die Schule? Du weißt ja rein gar nichts über deine Mitschüler!" "Hat sich halt nie ergeben", nuschelte ich vor mich hin. "Naja, ich muss jetzt los Süße. Das Team wartet", lächelte sie und schon war sie weg.
Leicht angepisst näherte ich mich der Tribüne und setzte mich mit großem Abstand zum Rest der Welt hin: in die letzte und somit höchste Reihe. Ich bereute es inzwischen hier zu sein.

I'm not living, I'm just survivingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt