12 Kapitel

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Samantha P.o.V.

Und da war wieder das tolle Geräusch meines geliebten Weckers! Es gab doch nichts schöneres auf dieser Welt, oder? Montagmorgen, Schule, ein Wecker. Mehr brauchte ich nicht, um glücklich zu sein. Würde mein Vater jetzt noch erscheine, wäre mein Glück absolut perfekt. Nicht. Ich blieb noch kurz liegen, dann stand ich auf und watschelte ins Badezimmer. Morgens war ich echt zu nichts zu gebrauchen.
Wobei, laut meinem Vater war ich auch sonst nutzlos.
Ich schaute kurz in den Spiegel und verzog das Gesicht. Meine Lippe hatte inzwischen eine hässliche Hornhaut gebildet und auch sonst sah ich aus, wie ein Boxer nach einem folgenschweren Kampf. Also absolut wunderschön. Ich beschloss also mich nicht über zu schminken und ging unter die Dusche. Das kalte Wasser vertrieb auch den Rest meiner Müdigkeit und kühlte gleichzeitig meinen misshandelten Körper. Schwerfällig stieg ich aus der Dusche und wickelte mich in ein Handtuch. Danach putze ich meine Zähne und zog mir einfach irgendwas an, was nicht nach Schlafanzug aussah. Wahrscheinlich ähnelte ich eher einem Zombie als einem lebendigen Menschen.
Mit meiner fertig gepackten Schultasche schlich ich die Treppe runter und ging raus. Sorgfältig richtete ich die Brille auf meiner Nase und schaute der strahlenden Sonne entgegen. Ich setze mich auf die Treppenstufen vor unserer Haustür und schaute auf mein Handy. 7:07 Uhr. Hannah würde also gleich hier antanzten. Und tatsächlich brauste zwei Minuten später eine gut gelaunte Hannah unsere Einfahrt hoch und legte gekonnt eine Vollbremsung vor mir hin. Im Herzen war sie einfach eine Rennfahrerin. Missmutig stieg ich ein und sah sie grimmig an. "Kein Wort oder du bist tot!"

Sie zog nur die Luft ein und startete den Wagen. Ich sah ihr an, dass sie am Liebsten reden wollte, doch noch schwieg sie. Innerlich wappnete ich mich auf ihre Fragen. Nach ein paar Minuten schweigen, sagte sie leise: "Leon meinte schon, dass du verletzt seist. Aber das es so schlimm ist, hat er nicht gesagt." Ich wirbelte geschockt herum und funkelte sie wütend an. Wusste etwa jeder über mich Bescheid? War ich der neuste Schulklatsch oder was?  "Lucas hat es ihm erzählt", erklärte sie verschmitzt grinsend. Anscheinend interessierte sie eher die Story zwischen Lucas und mir. "Konzentriere dich aufs fahren", murmelte ich nur und ließ mich entkräftet auf den Sitz zurückfallen. "Wir kriegen eine neue Schülerin, weißt du." "Wie kommst du jetzt darauf", fragte ich leicht fassungslos. Sie lachte ihr berühmtes glockenhelles Lachen.  "Vielleicht, weil wir einen Themenwechsel brauchten?" Ich musste leicht lächeln. Alles war besser, als über mich zu reden. "Das stimmt. Aber woher weißt du das eigentlich?" "Leon hat es mir erzählt." Ich schnaubte verächtlich. Der Typ hatte das Mädchen vermutlich eh schon längst flachgelegt. Sie warf mir einen wütenden Blick zu und legte an der nächsten roten Amsel eine Vollbremsung hin. "Nur weil du was gegen ihn hast, musst du es nicht jedes Mal zeigen. Und nur zur Info, es ist seine Cousine!" Also doch nicht mit ihr gefickt.
Panisch klammerte ich mich an den Gurt fest und sah sie erbost an. "Also wird sie eine schöne und arrogante Ziege sein." Wow, ich war richtig erstaunt über meine Wortwahl heute. So positiv kannte ich mich ja gar nicht.
"Willst du damit sagen, dass Leon arrogant ist?", keifte sie sofort und trat brutal aus Gaspedal. Was Leon anging, verstand sie keinen Spaß. Der Typ hätte einen Mord begehen können und sie hätte ihn verteidigt.
So wie du deinen Vater.
Quietschend schoss das Auto vorwärts. Mit aufgerissenen Augen starrte ich auf die Straße. Solche Gespräche am Morgen sollte man definitiv nicht in einem Auto mit zu viel PS führen. Oder man sollte sie generell vermeiden."Hannah, bitte fahr langsamer", flehte ich. Als Antwort beschleunigte sie den Wagen nochmals und lenkte ihn brutal um die Kurve. "Erst beantwortest du meine Frage", zischte sie mit zusammen gebissenen Zähnen. O Gott ey. Sie wusste eindeutig, wie man Verhandlungen führte.

"Ja, ich finde ihn arrogant. Ist das so schlimm", schrie ich fast. Hoffentlich war ihr klar, dass im Falle eines Unfalls, sie mit draufgehend würde. Vielleicht sollte ich sie mal daran erinnern, dass ihr schicker Minirock oder die unechten Nägel Schaden nehmen könnten. "Du magst ihn nur nicht, weil er Lucas Freund ist", schrie sie zurück und lenkte den Wagen so scharf um die Kurve, dass er sich schlitternd einmal fast um sich selbst drehte, bevor sie auf den Schulparkplatz raste. Die Schüler auf diesen wichen panisch aus. "Nein, ja, ich weiß es nicht", antwortete ich wahrheitsgemäß. "Aber bitte fahr langsamer." Ich flehte sie richtig an. Sie legte eine so heftige Vollbremsung hin, dass jeder Stuntfahrer neidisch geworden wäre. Vermutlich musste das Auto jetzt erstmal in die Werkstatt. "Gut. Wenn du es nicht weißt, dann sei einfach still. Klar soweit?" Sie strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht und sah mich schwach lächelnd an. "Ja, ihr seid ja wieder zusammen. Da sollte ich euch wohl lieber unterstützen als ihn schlecht zu reden, was", ich grinste schief und strich mir ebenfalls eine Strähne aus dem Gesicht. Die Vollbremsung hatte meine Frisur komplett zerstört. "Du bist die beste Freundin der Welt." Ich nickte bloß. Sollte sie nur denken, was sie wollte. Wir stiegen aus und sie lief erstmal freudestrahlend zu Leon. Genervt verdrehte ich die Augen. Mit gesenktem Kopf schlich ich an allen vorbei ins Schulgebäude, wobei ich Lucas Blick auf mir spürte. Schüler steckten die Köpfe zusammen und schauten mich immer wieder an. Wahrscheinlich überlegten sie gerade, was mir wohl passiert war.

Plötzlich knallte ich mit voller Wucht gegen jemanden. "Autsch", fluchte die Person. Verlegen schaute ich hoch und sah ihn das Gesicht eines blondhaarigen Mädchens. Immerhin wirkte sie nicht böse. Noch mehr Stress hätte mir gerade noch gefehlt. "Tschuldige", nuschelte ich. "Nicht schlimm. Jetzt kann ich wenigstens jemanden fragen, wo der Raum 547 ist", sie grinste mich freundlich und mit leuchtenden Augen an. Erleichtert atmete ich aus. "Die anderen hier schauen mich zwar alle an, aber mit mir reden tut niemand. Und ich hasse es neue Leute anzusprechen", erklärte sie auf meinen fragenden Blick. Anscheinend war sie also Leons Cousine. "Ach so, ja das tun sie immer." Ich war froh, dass sie mich nicht auf mein Gesicht ansprach. Verlegen rückte ich meine Brille zurecht und beantwortete dann ihre Frage: "Raum 547 ist dort hinten. Wenn du willst kann ich ihn dir zeigen, ich hab da jetzt auch Unterricht." "Ja, das wäre echt super. Ich bin übrigens Elisabeth. Sag aber bitte Elli zu mir! Und wer bist du", fragte sie und tänzelte neben mir her. O Gott hatte dieses Mädel viel Energie. Ob sie wohl auch stillstehen und schweigen konnte?
"Samantha", antwortete ich knapp. Kurz vor der Tür blieb ich stehen und sah sie durch eindringlich an. "Hör zu, wenn du willst, dass die anderen dich mögen, dann pass lieber auf, das dich niemand mit mir sieht!" Fragend legte sie den Kopf schief: "Warum denn das? Du bist doch nett." Ich verdrehte die Augen. Nur weil man einmal nett war, hieß das noch lange nicht, dass man mit den Idioten einer Schule klarkam.  "Du bist vielleicht Leon's Cousine, dadurch werden sie dich eh mögen. Aber mich mag keiner und ich will nicht deinen Ruf schaden!" Je schneller ich sie los werden würde, desto eher hatte ich wieder meine Ruhe. Doch leider lachte sie jetzt schallend los, was zur Folge hatte das uns alle anstarrten. "Ich pfeife auf Leon! Er ist ein arroganter Mistkerl." Ok, also mit Hannah wird sie sich schonmal nicht verstehen.

I'm not living, I'm just survivingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt