Epilog

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Für Gladiolenschein

Die blauen Lichter des Krankenwagens tanzten in meinen Augen und blendeten mich. Die Sirenen dröhnten in meinen Ohren, wurden lauter und lauter. Ich blinzelte.

Der Krankenwagen zog an mir vorbei und ich wurde gedanklich wieder einige Wochen zurückgeworfen, zurück zu dem Tag, an dem mein Leben hätte ein Ende nehmen können. Zurück zu dem Tag, an dem eine Kugel sich aus der Waffe gelöst und in Jessicas Oberschenkel gebohrt hatte. An dem Shane umgekippt war und ich mit einem Schluchzen und blutigen Händen die Polizei gerufen hatte, die mit lauten Sirenen und zwei Krankenwagen als Verstärkung angerückt waren.

Als ich jetzt den Krankenwagen sah, der unser Auto überholt hatte, kamen diese Erinnerungen mir wie ein Traum vor. Unwirklich und weit entfernt.

„Woran denkst du?", fragte Shane und lächelte mich an. Ich sah zu ihm und grinste.

„Ist ein Geheimnis."

„Noch eins?", fragte er, wechselte auf die Überholspur und zog an einem LKW vorbei. „Wenn du mir schon nicht verrätst, wohin wir fahren, dann kannst du mir wenigstens sagen, was du denkst. Verrate mir deine Gedanken, Mara Amesbury.", säuselte er verschwörerisch und schenkte mir dabei ein spitzbübisches Grinsen bei dem sich seine Grübchen zeigten.

Ich seufzte und lehnte meinen Kopf gegen die Fensterscheibe. Der Frühling war langsam im Anmarsch und draußen begannen die ersten Blumen zu blühen, die sich in der milden Frühjahrssonne wie Tänzer räkelten.

„Ich habe an Jessica gedacht.", sagte ich. Ich wusste, dass das kein gutes Thema war, erst recht nicht zu Shanes Geburtstag, aber er hatte es ja unbedingt wissen wollen.

„An Jessica?", fragte Shane und runzelte die Stirn. Er hatte wohl schon seit einigen Wochen nicht mehr an sie gedacht, aber spätestens wenn der Gerichtstermin anstand, musste er ihr wieder gegenübertreten.

„Ja.", antwortete ich also nachdenklich und sah zu Shane. Sein braunes Haar hing ihm in Strähnen ins Gesicht und überdeckte die Stelle seiner Stirn, an der Jessica ihm eine mit einer Vase übergezogen hatte. Die Wunde hatte genäht werden müssen und Shane hatte eine üble Gehirnprellung davongetragen, die böse hätte enden können. Doch er hatte Glück gehabt und alles war wieder einigermaßen zusammengewachsen und verheilt. Nur eine kleine Narbe würde ihn für immer daran erinnern, was an diesem Abend passiert war.

„Ich frage mich, ob es für ihre Krankheit eine Heilung gibt."

Ich würde Jessica vielleicht niemals vergeben können, aber sie tat mir trotzdem leid. Sie hatte sich nicht ausgesucht, so zu werden und ganz bestimmt wäre sie mit anderen Genen und einer anderen Familie zu einem besseren Menschen herangewachsen. Sie hatte mit der Zeit alles verloren, das sie geliebt hatte, doch sich selbst hatte sie zu allererst verloren.

„Wir sind da", sagte ich, als wir vor dem breiten Tor hielten.

„Ab hier müssen wir zu Fuß weiter." Ich reichte Shane mit einem Grinsen eine Augenbinde, die er mit einem Augenrollen über sein Gesicht legte. Ich zog es am Hinterkopf kräftig zu und hauchte Shane einen federleichten Kuss auf die Lippen.

Es kam mir immer noch wie ein Traum vor, wenn ich meine Lippen auf Shanes legte, wenn er mich in seinen Armen hielt und mir irgendwelche Komplimente ins Ohr flüsterte, bei denen ich immer noch rot anlief wie eine Tomate. Ich hätte niemals gedacht, dass so etwas je passieren würde, dass mir so etwas je passieren würde. Ich hatte Liebe immer für ein Märchen gehalten, an das ich verzweifelt glauben wollte, doch es aus irgendeinen Grund nie konnte. Ich hatte bloß nicht gewusst, dass ich sie selbst erst spüren musste, damit ich an sie glaubte. Und das tat ich jetzt.

lavendertea [beendet]Where stories live. Discover now