Kapitel 21

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Ich hatte überreagiert.

Ich hatte Oliver sitzen lassen und eine Szene im Kino veranstaltet und das alles, weil Shane mich in den Wahnsinn trieb. Ich konnte nichts dafür, er brachte einfach das Schlimmste in mir zum Vorschein. 

Ich war den ganzen Weg zurück nach Hause gelaufen. Es hatte zwar eine knappe Dreiviertelstunde gedauert, aber zumindest musste ich weder Shane noch Oliver sehen. Ohne ein Wort zu meinen Eltern war ich auf mein Zimmer gegangen, hatte die Tür hinter mir zugeschmissen und mich mit dem Gesicht voran in meine Kissen fallen lassen. Ein frustriertes Seufzen war mir entwischt, obwohl ich versucht hatte, weitere Verzweiflungsgeräusche zu vermeiden. Am besten für den Rest meines Lebens.

Sonderlich lange hatte ich ja nicht durchgehalten.

Ich seufzte ein weiteres tiefes Mal, einfach, weil ich meine Regel jetzt sowieso schon gebrochen hatte und ignorierte mein Handy, das unaufhörlich in meiner Hosentasche vibrierte. Lästige Menschen. Warum konnte ich nicht alleine auf dieser Welt leben? Es war sowieso nicht genug Platz für alle hier.

Ich warf einen wehleidigen Blick auf meinen Schreibtisch, auf dem sich meine Hausaufgaben der ganzen letzten Wochen stapelten und stöhnte. Jetzt, wo ich nicht im Kino war, hatte ich keine Ausrede mehr, meine Hausaufgaben nicht zu erledigen. Sally hätte jetzt gesagt „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen." aber mittlerweile war mir eigentlich egal, ob ich als Strafe extra Arbeit erledigen sollte.

Schließlich machte ich die ja auch nicht.

„Du stürzt a-haaab.", hörte ich Sallys Singsang in meinem Kopf. Wie eine garstige Fliege, die einfach nicht aufhören wollte, an meinem Ohr zu summen. Sally sollte aufhören sich überall und immer einzumischen, das tat sie offensichtlich selbst aus ihrem Grab heraus.

„Wenn du mich schon nicht in Ruhe lassen kannst, kannst du mir dann wenigstens sagen, warum du mich mit diesem Scheiß Stapel an Hausaufgaben alleine gelassen hast?", fragte ich in den leeren Raum hinein und drehte mich dabei mit einem Ächzen auf den Rücken, um aus dem Fenster sehen zu können.

Dass ich mit mir selbst sprach, war mir auch klar. Ich wusste nur nicht, was ich sonst tun sollte.

„Hausaufgaben vielleicht?", flötete Sally als Antwort.

Ich warf ein Kissen nach meinem Schreibtischstuhl, auf dem dieses Hirngespinst meines maroden Verstandes saß, doch es flog durch Sally hindurch und knallte gegen den Stapel meiner Bücher, die über die Platte rutschten, zwischen Schreibtisch und Heizung hindurch fielen und mit einem Krachen auf dem Boden landeten.

„Ach halt doch die Klappe.", rief ich beleidigt.

„Der Streit mit Shane geht dir ja ganz schön nahe.", fuhr sie unbeirrt fort. Ich kniff wütend die Augen zusammen und durchlöcherte Sally mit meinen Blicken.

„Streit geht mir immer nahe, aber was weißt du schon?", fragte ich, nicht ohne eine Brise Bitterkeit in der Stimme. Sally kicherte und drehte sich eine Runde auf meinem Schreibtischstuhl, bevor sie aufstand und sich neben mich aufs Bett setzte.

„Ich würde sagen ich weiß mehr über dich, als du über mich."

Ich schnaubte wütend.

„Und wessen Schuld ist das? Meine sicherlich nicht.", entgegnete ich trotzig. Sally lächelte selig vor sich hin und schaukelte mit ihren Füßen, die sie über den Bettrand hängen hatte. Es war komisch, das mitanzusehen, weil sie keinen Laut von sich gab und ich wusste, dass sie nicht wirklich dort saß, aber ich hatte sie zu sehr vermisst, als dass ich sie jetzt aus meinen Gedanken vertreiben könnte.

„Nein, vermutlich nicht. Aber wenn es dich beruhigt, du wusstest immer noch mehr als die meisten anderen."

Meine Augenbrauen schossen überrascht in die Höhe.

lavendertea [beendet]Where stories live. Discover now