Kapitel 24

113 20 28
                                    

Shanes Lippen waren weich und bewegten sich im gleichen Takt wie meine. Er küsste fordernd, aber sanft. Leidenschaftlich, aber vorsichtig, fast als hätte er Angst, ich würde nicht dasselbe wollen.

Stattdessen fuhren meine Hände wie von selbst in seine Haare und zogen seinen Kopf näher an mich, ließen nicht den winzigsten Platz. Shane drückte mich gegen die Heizung, aber die Hitze kam nicht im geringsten gegen das Feuer an, das er zwischen uns entfacht hatte. Alles in mir schrie nach mehr und als würde Shane dasselbe fühlen, taumelte er einige Schritte zurück und drückte mich auf die Couch. Meine Hände fuhren über seine nackte Brust, über seine breiten Schultern und seinen starken Rücken, während ich meine Lippen nur zum Luft holen von Shanes Lippen löste.

Shanes Lippen.

Ich stockte. Das hier war Shane. Sallys Bruder. Ich küsste den Bruder meiner besten Freundin. Meiner toten besten Freundin.

Ohne, dass ich es verhindern konnte, blitzte ein Bild von Sally vor meinem inneren Auge auf. Ihr Gesicht war blass und tot. Sie lag in ihrem Sarg, ihre Haare waren spröde und ihre Lippen blau.

Ich drückte Shane von mir.

„Ich- das...das war ein Fehler.", keuchte ich und taumelte einige Schritte nach hinten, weg von Shane. Meine Lippen waren geschwollen und mein Herz pochte schneller denn je. Shanes überraschter Gesichtsausdruck wich Verletzung. Ich hatte ihn von mir gestoßen. Wie Jessica. Wie Sally. Wie sein Vater.

Aber darüber konnte ich mir in diesem Moment keine Gedanken machen. Alles was mir durch den Kopf spukte, war, dass Sally mich für immer gehasst hätte, wenn ich etwas mit Shane begonnen hätte.

Ich war viel zu verwirrt und jede Sekunde, die ich in Shanes Nähe verbrachte, verwirrte mich mehr.

„Ich...ich muss gehen.", sagte ich.

Shane antwortete nicht und als ich einen Blick über meine Schultern warf, drehte er sich weg, wandte seine Augen von mir ab, ließ seinen Blick überall durch den Raum streifen, solange er nicht mich ansehen musste. Und es schmerzte. Noch vor zehn Sekunden waren wir uns so nah gewesen, dass ich mich selbst in seinen Augen erkennen konnte, eine bessere Person, eine Version von mir, die ich vorher nicht einmal gekannt hatte. Und jetzt fürchteten wir uns vor einem weiteren Blick? Wie konnte das passieren?

„Es tut mir leid.", flüsterte ich und schluckte die Bitterkeit meiner Worte herunter. Sie mussten wie Salz in einer offenen Wunde schmerzen und das hatte Shane nicht verdient.

Noch auf dem Weg zum Eingang löste sich eine Träne aus meinem Augenwinkel. Ich wischte sie hektisch weg, schnappte mir Mütze und Jacke, die noch nass waren und zog sie mir über.

Die Kälte überraschte mich mit einer unvorhergesehenen Kraft und ich begann ich zu zittern. Ich öffnete die Tür und starrte nach draußen, überlegte einen Moment zu bleiben, zumindest bis der Regen nachgelassen hatte. Aber dann hörte ich Geräusche aus dem Gang und vergaß das Wetter. Ich trat nach draußen, stürzte zu meinem Fahrrad und hörte die Tür laut hinter mir zuschlagen.

Ich hasste mich dafür, dass ich das zugelassen hatte. Dass ich Shanes und meine Freundschaft für so etwas wie zeitweiliges Verlangen über Bord geworfen hatte. Dass ich ihn verletzt hatte mit den Dingen, die ihm am meisten wehtaten, weil ich wusste, dass er mich nur dann nicht aufhalten würde, wenn ich ihm dasselbe antat wie alle anderen Menschen. Könnte ich eine meiner Taten rückgängig machen, dann wäre es dieser verdammte Kuss. Er hatte alles ruiniert. Ich spürte noch immer Shanes Lippen auf meinen und sein Duft hüllte mich in eine Wolke aus Lavendel, und doch wusste ich, dass sich damit alles verändert hatte. Wieso zur Hölle hatte ich nichts dagegen getan?

lavendertea [beendet]Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon