Kapitel 28

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„Was machst du da?"

Meine Mutter stand in ihrem Blau gepunkteten Schlafanzug im Türrahmen und rieb sich über die müden Augen.

„Und wie spät ist es überhaupt?"

Ich ließ meinen Blick über das Chaos in meinem Zimmer schweifen und suchte unter den Kleidern, Bildern und allem anderen, was ich von Sally herausgekramt hatte, mein Handy. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie schlimm es hier wirklich aussah und war von mir selbst überrascht, als meine Mutter mich aus meinem Wahn riss und ich mit einigem Abstand auf die Unordnung herabschauen konnte. Mein Kopf qualmte und ich war mir sicher, dass bald Rauch aus meinen Ohren kommen würde.

„3.04 Uhr.", sagte ich, als ich das Handy auf meinem Schreibtisch gefunden hatte. Ich holte aus einer meiner Schubladen einen großen Müllsack und begann, die Kleidung in den Sack zu stopfen.

„Mara, was um Himmels Willen ist denn in dich gefahren?", fragte meine Mutter und nahm mir den Müllsack aus den Händen.

Mit einem Seufzen ließ ich die Kleider fallen und zeigte auf das Chaos.

„Wenn ich mit Sallys Tod abschließen will, dann kann dieses ganze Zeug nicht hierbleiben.", sprach ich das Offensichtliche aus.

Das Gespräch mit Leeroy vorhin hatte mir vor Augen geführt, dass es so nicht weitergehen konnte. Seit Monaten drehte sich meine Welt nur noch um die beiden Connor Geschwister und wenn ich abschließen wollte, dann musste ich diesen Teil von mir gehen lassen.

Meine Mutter schüttelte den Kopf. Ihre Haarsträhnen fielen ihr in ihr müdes Gesicht und ich wartete auf die Standpauke, dass ich das nicht mitten in der Nacht machen sollte oder es bestimmt auch andere Wege gab. Notfalls wieder eine Therapie. Das könnte sie aber gleich abhaken! Noch einmal ließ ich mich nicht mit Medikamenten vollpumpen.

Doch statt einer Standpauke schenkte sie mir ein tiefes Seufzen und einen verständnisvollen Blick.

„Ich bin mit meinem Latein am Ende. Wenn du glaubst, dass du das machen musst, dann tu es. Du bist alt genug."

Überrascht blinzelte ich sie an. Kein Meckern, kein Handyverbot, nichts? War das wirklich meine Mutter vor mir? Ich zuckte mit den Schultern, bevor sie es sich anders überlegen konnte und nahm ihr den Müllsack wieder aus  der Hand.

Meine Mutter, die die Lippen in Verzweiflung schürzte, drehte sich um und blieb noch einmal in meinem Türrahmen stehen.

„Aber Mara?", fragte sie und ich seufzte. Ich wusste, dass da noch etwas kommen würde.

„Wenn du doch lieber reden willst, egal über was, dann sind dein Vater und ich da, das weißt du, oder?"

Ich nickte. „Danke, Mum. Hab' dich lieb."

Meinte Mutter lächelte sanft, dann drehte sie sich um und ging aus meinem Zimmer. Die Tür zog sie hinter sich zu und ich blieb allein mit meinem Chaos zurück.

Also gut, dachte ich und begann die Kleider weiter in den Müllsack zu stopfen. Ich würde den Sack am Ende einfach Jessica geben, damit sie entscheiden konnte, was sie damit machen wollte. Ihre Kleidung behalten, sie spenden - wie auch immer. Ich jedenfalls fühlte mich, als würde eine Tote mit mir in diesem Zimmer leben und das hielt ich nicht länger aus.

Eine halbe Stunde brauchte ich für alle Kleider und während ich meinen Kleiderschrank durchforstete, fand ich Oberteile, die mir schon mit zwölf nicht mehr gepasst hatten.

Als Nächstes sortierte ich die Bilder. Ich wollte sie nicht wegwerfen, nur abhängen, damit ich sie nicht jeden Tag vor der Nase hatte und Sallys und Shanes Gesichter das erste waren, das ich sah, wenn ich aufwachte. Ich sammelte sie einfach alle in einem alten Schulhefter und verstaute den Hefter dann in meiner Schreibtischschublade. In einigen Jahren würde ich sie vielleicht meinem Verlobten zeigen und Shane und Sally wären nichts weiter als die Namen der Kinder von nebenan. Ein Überbleibsel aus meiner Kindheit, das man nicht recht vergessen konnte.

lavendertea [beendet]Tempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang