Dreiundzwanzig

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Für den Rest der Woche höre ich nichts mehr von Tom. Ich arbeite bis zur letzten Minute im Salon und mache jedes Mal hinterher besonders gründlich sauber, um nicht nach Hause zu müssen. Ich will es mir selbst gegenüber nicht zugeben, aber Tom fehlt mir. Sehr.

Das Wochenende ist am schlimmsten und so stehe ich am Samstagmorgen schon kurz nach sechs Uhr auf und verlasse fast fluchtartig meine Wohnung. An diesem Tag mache ich jede verfügbare Stadtrundfahrt New Yorks mit und ich bin hier verdammt noch mal geboren!

Doch all das hilft mir nicht, meine Gedanken von Tom wegzubekommen. Betty fragt nach, ob es bei Freitag bleibt und ich erfinde immer wieder neue Ausflüchte, um ihr nicht antworten zu müssen. Am Mittwoch scheint ihr mein Katz-und-Maus-Spiel zu reichen und sie ruft mich entnervt an.

„Was ist los, Blake?" meckert sie.
„Nichts," lüge ich.
„Komm' mir nicht so. Ich wusste schon, dass du lügst, als du mit fünf einen fucking Legostein in deiner Nase stecken hattest und dich nicht getraut hast, deinen Eltern davon zu erzählen!" weist sie mich zurecht.
Ich seufze und fahre mit meiner Hand über mein Gesicht. „Es ist vorbei," sage ich schlicht und mein Brustkorb zieht sich schmerzhaft zusammen, als ich die Worte laut ausspreche.

„Was ist vorbei?" fragt Betty, doch ich kann nicht antworten. Der Kloß in meinem Hals ist zu groß und ich beiße mir stattdessen auf meine dumme zitternde Unterlippe.
„Oh nein, Jaz," wird es Betty auf einmal von selbst klar. „Aber.. warum? Es war doch alles so schön!"
Ich zucke nur mit den Schultern, obwohl sie es nicht sehen kann.

Dann räuspere ich mich einmal laut, damit der blöde Kloß verschwindet, blinzele ganz viel, denn ich habe scheinbar was im Auge und sage dann: „Naja, es war wohl nicht genug. Aber ich komme alleine, wenn das okay ist. Ich werd nicht lange bleiben, aber zum Anstoßen bin ich da."
„Soll ich vorbeikommen?" fragt Betty besorgt.
Ich schüttele wild den Kopf und ärgere mich, dass plötzlich ein Tropfen auf meinem Handrücken landet. „Nein, alles gut, Cookie," winke ich ab und meine Stimme klingt dabei merkwürdig belegt. „Ich wollte sowieso früh ins Bett. Wir sehen uns Freitag."

Bevor Betty protestieren oder noch etwas sagen kann, habe ich aufgelegt und starre einfach nur vor mich hin. Ich versuche, ruhig zu atmen und nicht an Tom zu denken oder wenn, dann nur als ‚Das Arschloch', aber es will mir nicht gelingen.

•••

Viel zu schnell ist auf einmal Freitag und ich stehe mit meinem Geschenk für Carl - einer Flasche des besten und teuersten Gins und der größten Packung Kondome, die ich finden konnte - vor Carls und Toms Wohnungstür. Ich habe mir mit meinem Outfit besondere Mühe gegeben, denn ich möchte mir nicht die Blöße geben und Tom zeigen, wie nahe es mir geht, dass das Undefinierte, was zwischen uns war, vorbei ist.

Ich schließe meine Augen, atme zweimal tief durch und klingele dann an der Tür.
Betty öffnet mir strahlend, doch ihr Lächeln erstirbt, als sie mich sieht. „Hey, Jaz," sagt sie nur und zieht mich in eine feste Umarmung. „Wie geht es dir?"
„Wenn du mich nicht so ansehen würdest, als hätte gerade jemand meinen Welpen eingeschläfert, wird es sicherlich gehen," knurre ich und streichele über ihre Haare. „Hübsch siehst du aus," lenke ich ab.
„Danke, du aber auch," lächelt sie. „Komm rein, die anderen sind schon da."
Ich zwinge mir ein Lächeln auf mein Gesicht und folge ihr ins Wohnzimmer.
Er ist hier?

Ich ignoriere das Brennen in meiner Brust und sehe überall hin, nur nicht in die Richtung, in der ich Tom vermute. Carl kommt mir grinsend entgegen und ich umarme ihn brüderlich. „Alles Gute, Carl," sage ich ehrlich und drücke ihm mein Geschenk in die Hand. „Ich denke, du kannst es brauchen."
„Danke, Mann," bedankt sich Carl und wird etwas rot, als er erkennt, was Teil meines Geschenks ist. „Komm, willst du was trinken? Ich hab auch Gin da," lacht er.

„Gern, aber ich bleibe nicht lang," erwidere ich höflich und wage es nun doch, meinen Blick durch den Raum schweifen zu lassen. Es sind noch einige Freunde von Carl da, die ich nicht kenne und dann sehe ich Tom am Fenster. Er starrt mich direkt an und für einen Moment starre ich zurück. Er trägt ein dunkles Hemd und eine enge, dunkelblaue Jeans und neben ihm steht ein hübsches Mädchen mit wuscheligen Locken und einem netten Lächeln, die ihm irgendetwas erzählt, während ihre Hand auf seinem Unterarm ruht.
Jasper.

Zumindest kann er sich noch an meinen Namen erinnern, denke ich bitter und drehe mich weg, um das mir angebotene Glas von Carl entgegen zu nehmen. „Betty hat erzählt, dass das mit dem Typen doch nichts geworden ist?" fragt Carl direkt. Ich lächele mein unechtes Lächeln und zucke mit den Schultern. „Ja, war wohl nichts," sage ich nur und fahre gleich fort, um vom Thema abzulenken. „Aber bei euch ist alles gut?"

„Ja," schwafelt Carl los. „Total gut, Betty ist echt toll. Ich kann dir gar nicht genug danken, dass du mir damals ihre Nummer gegeben hast."
Du fehlst mir.

Ich schließe kurz meine Augen, um die Stimme aus meinem Kopf zu verdrängen. Wird das jetzt immer so sein? „Das freut mich," sage ich abgelenkt.
„Hey, kennst du schon Jenny?" fragt Carl mich nun.
„Wen?"
„Jenny, Toms Freundin," sagt er und zeigt auf das hübsche Mädchen neben Tom. „Sie ist total lieb und ich habe keine Ahnung, wie sie es mit ihm aushält."
„Nein, kenne ich nicht," erwidere ich gedankenverloren.
„Ich glaube, gerade hat sie ihre Tage oder so," murmelt Carl geheimnisvoll und ich sehe ihn entsetzt an und frage mich, warum er so direkt mit mir spricht.
„Was?"

„Tom war die ganze Woche zu Hause und so schlecht drauf, das war nicht auszuhalten. Betty und ich hatten schon Sorge, dass sie Schluss gemacht haben, aber dann ist sie heute plötzlich hier aufgetaucht," brabbelt Carl weiter. „Sie sieht ganz anders aus als auf ihrem Profil, aber solange sie Tom gefällt, kann uns das ja egal sein."
„Das stimmt," murmele ich und entschuldige mich.
Ich stelle mein Glas auf dem Tisch ab und höre wieder die Stimme in meinem Kopf.
Er geht?

Schnell flüchte ich ins Badezimmer und schließe die Tür hinter mir ab. Ich versuche, ruhig zu atmen und überlege, ob es wohl sehr unhöflich ist, wenn ich schon nach zehn Minuten wieder gehe.
Auf einmal klopft es an der Badezimmertür.
„Besetzt!" rufe ich mit erstickter Stimme.
Jasper, bitte lass mich rein.

Ich kneife meine Augen zusammen und versuche, ihn zu ignorieren, doch es ist das erste Mal, dass er seine Gedanken auch ausspricht.
„Jasper," ruft er leise. „Bitte lass mich rein."

Stimmengewirr | ✓Where stories live. Discover now