Vier

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„Süße, kann ich jetzt bitte auflegen?" jammere ich. Betty und ich telefonieren seit fast einer halben Stunde und außer einem gelegentlichen „Hmm", „Wirklich?" oder „Nicht dein Ernst" habe ich noch nicht viel gesagt. Sie redet ununterbrochen von Carl.
Ich freue mich für sie. Das tue ich wirklich. Ich gönne ihr nur das Beste und er scheint sie richtig glücklich zu machen. Aber manchmal, wenn man selbst gerade vielleicht allein ist, kann man die Liebesbekundungen seiner besten Freundin eben nur bedingt ertragen.

Zudem ist heute der einzige Tag, an dem ich auch mal dazu komme, ins Fitnessstudio zu gehen. Wenn denn mein liebster Rotschopf endlich auflegen würde.
„Kommst du denn nächste Woche mit?" fragt sie mich nun.
„Wohin?"
„Zu dieser Party bei Diana."
„Wer ist Diana?"
„Die Schwester von Tom."
„Wem?"
„Tom. Carls bester Freund. Du kennst ihn."
„Ach, das Arschloch. Nein, danke," wehre ich ab.
„Jasper! Du kennst ihn doch gar nicht!" meckert Betty mit mir.
„Will ich auch nicht. Das, was ich von ihm kennengelernt habe, reicht mir, um zu wissen, dass er ein Arschloch ist."

„Du hast dich ihm gegenüber auch nicht gerade von deiner besten Seite gezeigt, mein Freund," weist sie mich zurecht.
„Wie bitte? Ich habe dich verteidigt!"
„Er hat mir doch gar nichts getan!"
„Du hast es nur nicht gehört!"
„Jetzt fang nicht wieder damit an, Jaz," stöhnt sie entnervt.
„Du glaubst mir nicht, danke," zicke ich.
„Kannst du mir den Gefallen nicht tun?" lenkt sie nun vom Thema ab.
„Warum willst du da nicht alleine hingehen?"
„Weil ich da niemanden kenne, Jaz. Du bist mein Anker," bettelt sie.
„Du kennst Carl. Und das Arschloch."
„Sein Name ist Tom."
„Sind beides treffende Bezeichnungen. Ich bin mir sicher, er bemerkt keinen Unterschied," schnaube ich.

„Ich zahle auch das Taxi," bietet Betty nun an. „Bitte, Jaz. Bitte, bitte, bitte!"
„Wenn es mir zu dumm wird, gehe ich," schmolle ich und rolle mit den Augen.
„Das darfst du auch," bestätigt sie und ich höre ihr triumphierendes Lächeln.
„Und du zahlst das nächste Abendessen."
„Okay, Jaz."
„Und die Drinks."
„Zwei."
„Drei."
„Übertreib es nicht, Jaz!" lacht sie. „Ich hab dich lieb."
„Ich dich auch, Cookie. Ich hab keine Ahnung wieso."
Lachend lege ich auf und betrete endlich das Fitnessstudio.

Abends an einem Wochentag ist hier glücklicherweise nie so viel los, wenn man nicht gerade zum Pilates, Zumba oder anderen peinlichen Kursangeboten gehen will. Ich ziehe mich rasch um und gehe dann mit meinem iPod zum Crosstrainer, um mich aufzuwärmen. Der Podcast über Sterne und das Universum, den ich höre, berieselt mich, wirkt zum Glück aber nicht einschläfernd. Ich bilde mich gern weiter und das hier ist die perfekte Möglichkeit dafür.
Ausgerechnet.

Ich runzele die Stirn. Was war das jetzt? Das passte gar nicht in die Erklärungen des Professors. Ich drücke auf Pause und schaue mich um.
Gott, es ist wie mit Bloody Mary. Sag dreimal ihren Namen und sie erscheint. Dummerweise sehe ich nur keine mordende Alte, sondern das Arschloch. Er steht am Empfang und ignoriert mich, das sehe ich an der Art, wie er ganz absichtlich nicht in meine Richtung sieht. Gut so. Der soll sich lieber fern von mir halten. Ich drücke wieder auf Play und setze mein Training fort.

Zwanzig Minuten später bin ich ordentlich aufgewärmt und verausgabe mich nun an den Geräten. Schwitzend ziehe ich meine letzten drei Klimmzüge durch.
Fuck, ich würde gern die Schweißperlen in diesem Nacken ablecken.

Erschrocken rutsche ich mit den Fingern an der Stange ab und komme unsanft auf dem Boden auf. Ich drehe mich um, kann aber niemanden außer Carls Lieblingsgriesgram sehen und der schaut aus dem Fenster. Was zur-?

„Hast du was gesagt?" frage ich ihn direkt.
Er tut so, als wäre er überrascht, als er mich ansieht. Kann er mal was anderes schauspielern?
„Wie bitte?" fragt er unschuldig.
„Hier sind nur wir beide und ich hab gehört, dass du was gesagt hast," erkläre ich mit grimmigem Blick.
Er hebt seine Augenbrauen verwundert und pampt: „Nun, ich habe nichts gesagt. Vielleicht solltest du doch mal zum Arzt wegen den Stimmen in deinem Kopf?"

Ich balle meine Hand zur Faust. So ein verdammter-
„Alles okay bei euch?" fragt die kleine blonde Aushilfe vom Empfang.
„Alles bestens," knirsche ich und wende meinen Blick nicht von ihm. Ich mache kehrt und beschließe, das Training für heute abzubrechen. Die Gesellschaft passt mir nicht.

In der Umkleide werfe ich meine schmutzigen Sachen in meine Sporttasche und suche meine Handtücher heraus. Dann schlinge ich mir ein Handtuch um meine Hüften und gehe in die Sauna, in der Hoffnung, zumindest hier meine Ruhe zu haben. Ich setze mich auf die heiße Bank, lehne meinen Kopf zurück und schließe meine Augen.
Kurze Zeit später spüre ich einen kühlen Windzug, als die Tür geöffnet und dann wieder geschlossen wird.
Natürlich.

Ich brauche meine Augen gar nicht zu öffnen, um zu wissen, wer gerade hereingekommen ist. Also lasse ich sie zu und beschließe, ihn zu ignorieren.
Ich höre das Quietschen der Holzbalken, lautes, entspanntes Ausatmen und dann wird es still. Offenbar hat er sich hingesetzt.
Ich öffne eins meiner Augen ganz leicht und schiele heimlich in seine Richtung. Seine Position gleicht meiner. Seine Augen sind geschlossen, sein Kopf ist hinter sich an die Wand gelehnt.

Unter anderen Umständen fände ich ihn äußerst ansprechend. Sein Gesicht ist bildhübsch, seine dunklen Haare durcheinander und an den Seiten leicht feucht. Sein Oberkörper ist wohldefiniert und obwohl ich sonst nicht darauf stehe, finde ich seine dunkle Brustbehaarung sehr attraktiv. Leider wird sein Schritt von einem Handtuch bedeckt. Ich reiße meine Gedanken los von ihm und schließe mein Auge wieder. Er ist ein Arschloch, er hasst mich, er ist frauenverachtend, ein Lügner und er ist scharf auf die neue Freundin seines besten Freundes, die zufällig meine beste Freundin ist.
Gott, dieser Körper unter meinem. Wenn er sich unter mir windet und nach mehr bettelt.

Was in Gottes Namen? Ich öffne meine Augen, doch er sitzt noch immer nur da und entspannt sich. Drehe ich langsam durch? Ich räuspere mich laut, doch er reagiert nicht. Verwirrt schüttele ich meinen Kopf und schließe wieder meine Augen.
Könnte dieses Handtuch jetzt nicht verschwinden? Ich wette, es verdeckt den schönsten Schwanz, den die Welt je gesehen hat.

Das kann doch nicht wahr sein. Höre ich wirklich langsam Stimmen? Ich öffne mein Auge erneut und sehe in seine Richtung. Höre ich etwa, was er denkt? Pfft! Genau, Jasper. Ganz bestimmt. Und er ist auch schwul und du hast alles falsch verstanden und eigentlich ist er scharf auf dich, denke ich bei mir.

Aus irgendeinem kindischen Impuls heraus beschließe ich, meine Theorie zu testen. Ich stehe kurz auf, gieße noch etwas von dem Aufguss auf die heißen Steine und wedele mit meinem Handtuch, um augenscheinlich die heiße Luft zu verteilen. In Wahrheit brauche ich nur einen Grund, mein Handtuch loszuwerden. Ich stehe mit dem Rücken zu ihm und warte..
Nichts.

Okay, das war mal richtig lächerlich, Jasper. Ich setze mich wieder an meinen Platz, dieses Mal allerdings auf mein Handtuch und ohne mich zu bedecken. Ich komme mir unsagbar albern vor und-
Fuck, fuck, fuck! Dieses Prachtstück in meinem Mund und ich könnte glücklich sterben.

Ich öffne meine Augen und sehe den Typen mir gegenüber direkt an. Seine Augen starren gebannt auf meinen Schritt und er hat noch gar nicht bemerkt, dass ich ihn beobachte.

Stimmengewirr | ✓Where stories live. Discover now