Zwei

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Ich hasse einkaufen. Also, ich liebe Shopping und ich tue nichts lieber als mit meiner besten Freundin Betty durch sämtliche Klamottenläden dieser Stadt zu schlendern, aber Lebensmittel? In einem Supermarkt? An einem Samstagvormittag? Lieber würde ich mich erhängen.

Aber mir bleibt nichts anderes übrig, denn leider bin ich die ganze Woche nicht dazu gekommen und wenn ich am Wochenende nicht ausschließlich von Reis und einer halben Zucchini leben möchte, muss ich das jetzt wohl oder übel erledigen. Betty könnte mit meinem Vorrat sicherlich noch eine Woche problemlos auskommen, denke ich grinsend. Ich liebe es einfach, sie auf Grund ihrer frei gewählten Ernährung aufzuziehen.

Ich schiebe den Einkaufswagen entnervt hinter einer dicken, alten Frau hinterher und suche verzweifelt den Magerquark, der unter anderem auf meinem Einkaufszettel steht.
Wenn du dich noch langsamer bewegst, reist du in der Zeit zurück.
„Ich kann nichts dafür," meckere ich und drehe mich um, um dem Menschen, der mich beleidigt, klarzumachen, dass ich auch nur so schnell gehen kann wie die fette Person vor mir.

Dumm schaue ich mich um. Hinter mir ist niemand.
„Können Sie vielleicht mal aufpassen, Sie Rüpel?" werde ich stattdessen von vorn beschimpft, denn ich bin der dicken Frau mit dem Wagen in ihre speckigen Hacken gefahren.
„Oh, sorry," sage ich.
„Gucken Sie mal lieber, wo Sie hingehen und nicht immer nur in den Spiegel," zetert die Alte weiter.
War das gerade ein Kompliment?

Nein, nicht angucken. Nein, ich arbeite hier nicht. Nein, ich will dir nicht helfen!
Wer zum Teufel redet hier ständig? Verwirrt sehe ich mich um. Am Ende des Ganges wird ein Typ, etwa in meinem Alter, von einem älteren Mann angeredet und er sieht alles andere als begeistert aus. Plötzlich kommt ihm ein blonder Mann zu Hilfe und zieht ihn einfach von dem alten Mann weg.

Moment mal, der blonde Typ ist der, auf dessen Schoß Betty gelandet ist. Mit einem teuflischen Grinsen manövriere ich meinen Einkaufswagen an der dicken Alten vor mir vorbei und nehme die Verfolgung auf. Ich schließe zu den beiden auf und kann ihre Unterhaltung belauschen, während der Blonde Chips und Bier in ihren Einkaufswagen lädt.

„Vergiss es, Alter," sagt der, der eben noch von dem Opa angesprochen wurde.
„Komm' schon, Tom," versucht der Blonde ihn zu überzeugen. „Hailey war sowas von scharf auf dich, da ist überhaupt keine Mühe von deiner Seite erforderlich."
Angewidert verzieht der Große sein Gesicht. „Die nimmt aber auch alles, was bei drei nicht auf den Bäumen ist. Die ist noch billiger als Brot von gestern im Angebot."
„Und du wunderst dich, warum du Single bist?"
Eigentlich nicht.

Der Blonde antwortet nicht, sondern sucht Wodka und Tequila aus dem Regal.
„Nur noch heute Abend, okay?" fragt er den Mürrischen nun.
„Wieso überhaupt? Letzte Woche hast du Cynthia kaum noch angesehen, nachdem die kleine Rothaarige auf deinem Schoß gelandet ist."
Ich spitze interessiert die Ohren. Es geht um Betty.
„Musst du jetzt wieder damit anfangen?"
„Ja."
„Mann, Tom. Sie hatte einen Freund. Und sie hat sich nicht mal mehr umgedreht, als sie ging. Ende der Geschichte." Noch mehr Alkohol landet in seinem Einkaufswagen und ich frage mich, ob Blondie wohl ein Trinker ist.

„Und darum gibst du dich jetzt weiter mit Billigware ab?"
Ich beschließe, einzuschreiten.
„Ähm.. hey, sorry," mische ich mich ein und beide blicken mich finster an. Ich bemerke, dass der Blonde noch finsterer schaut, offenbar hat er mich erkannt.
„Ich wollte nicht lauschen," fange ich an.
Aber hast du trotzdem.
Verwirrt sehe ich beide an und sage: „Ja, entschuldigt bitte. Aber es ging um meine Freundin."

„Hey, sie ist auf meinen Schoß gefallen. Ich konnte nichts dafür," verteidigt sich der Blonde.
„Alles gut," versichere ich ihm. „Ich bin übrigens Jasper."
Und?
Beide sehen mich fragend an.
„Ich.. äh.. bin der beste Freund von Betty."
Und?
„Kannst du mal damit aufhören?" herrsche ich den Großen an, denn offenbar scheint er nur dumme Fragen zu stellen.
„Äh.. Entschuldigung, womit genau? Mit Atmen? Hier stehen?" mault er entsetzt.

Ich rolle mit den Augen und wende mich wieder seinem Kumpel zu.
„Betty ist die kleine Rothaarige. Und ich kann dir ihre Nummer geben, wenn du magst," biete ich ihm an. Sofort erhellt sich sein Gesicht und er strahlt über beide Ohren. „Echt jetzt? Wie geil ist das denn? Mann, das ist voll nett von dir. Ich bin übrigens Carl," lacht er und schüttelt begeistert meine Hand.
Wenn die auch so billig ist wie alle anderen, die er immer anschleppt, wandere ich aus.

„Die Nutten in Frankreich sollen sehr teuer sein," murmele ich, während ich Bettys Nummer in Carls Handy einspeichere.
„Was?" fragt Carl, doch ich ignoriere ihn und werfe einen finsteren Blick zu seinem Kumpel. Der jedoch beachtet uns gar nicht, sondern liest in einer Autozeitschrift.
„Schon gut," winke ich ab. „Ruf sie an, sie freut sich bestimmt."
„Mach ich. Und danke, Jasper."
Danke, Jasper. Du bist so nett, Jasper. Schlepp mir doch noch mehr billige Schlampen an, die Tom auf den Sack gehen, Jasper.

Ich knirsche mit den Zähnen und gehe zu dem Großen, der immer noch in der Zeitung liest.
„Nenn' sie nochmal billig und du hast ein Problem," knurre ich.
Verwirrt sieht er mich an. Zum ersten Mal nehme ich sein Gesicht richtig wahr und unter anderen Umständen fände ich ihn äußerst attraktiv. Groß, schlank, dunkle wuschelige Haare, volle Lippen, große, blaue Augen. Aber er hat in den letzten fünf Minuten so oft meine beste Freundin beleidigt, was ihn für mich schlagartig in die Arschlochschublade befördert.

„Wen jetzt? Die neue Corvette? Find ich nicht. Oder hast du das Geld für ein Einfamilienhaus locker?" fragt er verwundert.
„Denk nicht, ich hab dich nicht gehört," murmele ich.
„Okay, ich hab keine Ahnung, was du von mir willst, aber ich habe weder gesprochen, noch gefurzt. Also vielleicht sprichst du weiter mit den Stimmen in deinem Kopf, Jasper," zischt er und betont meinen Namen dabei besonders sarkastisch.

Gerade will ich ihm eine verpassen, als Carl ihn lautstark durch den ganzen Laden ruft.
„Tom! Komm jetzt, Alter! Wir brauchen noch Schokolade!"
„Nimm' am besten Kinderschokolade. Die passt zu deinem Verhalten," pampe ich und schiebe meinen Einkaufswagen schwungvoll an ihm vorbei.
Hast du ein Glück, dass ich die sogar am liebsten esse, Arschloch.

Ich schnappe entsetzt nach Luft und drehe mich um, doch er ist schon im hinteren Teil des Supermarktes und ich frage mich verwirrt, wie er seine Bemerkung loswerden und so schnell dorthin kommen konnte. Ich atme tief durch, beschließe, der Erwachsene in dieser Situation zu sein und gehe zur Kasse, um meinen Einkauf zu bezahlen.

Erst draußen auf dem Parkplatz fällt mir auf, dass ich nicht einmal die Hälfte der Dinge auf meinem Einkaufszettel besorgt habe. Fuck!

Stimmengewirr | ✓Where stories live. Discover now