Fünfzehn

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"Thomas," mache ich überrascht, als ich die Tür aufreiße und ein sichtlich aufgelöster Tom vor mir steht. Er zuckt kurz zusammen, weil er vermutlich nicht damit gerechnet hat, dass ich direkt hinter der Tür stehe. Tom mustert mich von oben bis unten.
Oh!

"Ich.. sorry, ich störe offenbar.." stammelt er und dreht sich wieder um, um zu gehen.
"Was?" rufe ich. "Nein, ich wollte gerade-"
Doch er hebt nur seine Hand, als wolle er nicht hören, was ich zu sagen habe.
Was. Für. Ein. Arschloch.

Ich laufe ihm nach und packe gerade noch am Treppenabsatz seinen Arm.
"Was zur Hölle stimmt nicht mit dir?" fauche ich. Er weicht meinem Blick aus und scheint nach den richtigen Worten zu suchen.
"Nichts, schon gut," murmelt er und versucht, seinen Arm aus meinem Griff zu befreien. "Du hattest anscheinend was vor. Ich wollte nicht-"
"Ach, halt die Klappe," pampe ich und zerre ihn mit zu meiner Wohnung.
"Was soll das?" meckert er.
"Wir werden das sicher nicht im Hausflur vor meinen neugierigen Nachbarn klären," erkläre ich und schließe die Tür hinter uns. "Was willst du hier?"
Ich weiß es nicht.

Er starrt mich einfach nur an und ich seufze entnervt. Nicht mal sein Kopf weiß es. Ganz hervorragend. Und gerade wollte ich los und ihn mir aus dem-
Vollkommen unerwartet packt er den Kragen meines schwarzen Mantels und zieht mich an sich. Seine Lippen treffen auf meine und ich schnappe überrascht nach Luft.
Oh Gott, ich brauchte das.

Toms Zunge streicht über meine Lippen und natürlich öffne ich meinen Mund, um sie mit meiner eigenen Zunge zu begrüßen.
Fuck, er kann aber auch gut küssen.
Bevor sich mein Schwanz wieder die Kontrolle erobert, drücke ich Tom vehement von mir weg und halte seine Schultern fest, damit er mir nicht wieder zu nahe kommt. Wir beide atmen laut und schwer und wieder starrt er mich nur an.

"Das geht so nicht," keuche ich. "Du kannst nicht nachts hier auftauchen und über mich herfallen."
Tom atmet tief durch und tritt einen Schritt zurück, so dass meine Hände von seinen Schultern rutschen. "Okay, ja.. verstehe.. tut mir leid.. kommt nicht wieder vor.." murmelt er und will die Tür öffnen.
"Nein, verdammt!" schreie ich ihn an und drücke mich gegen die Tür. "Rede doch mit mir, Thomas! Bin ich dir so zuwider, dass du nicht mal mit mir sprechen kannst?"

Seine Hände vergraben sich in seinen dichten Haaren und ziehen daran. "Fuck," schreit er nun. "Du bist mir nicht zuwider! Ich kriege dich nicht aus meinem Kopf! Ich weiß nicht, was los ist mit mir!"
Ich sehe ihn einfach nur an. "Das weiß ich auch nicht," flüstere ich. "Aber ich bin nicht gern der Notnagel von irgendjemandem."
Seine Augen weiten sich vor Entsetzen. "Das bist du nicht," widerspricht er.

"Ach nein?" Ich drehe mich um, gehe in mein Wohnzimmer und höre, wie er mir kommentarlos folgt. "Du redest kaum ein Wort mit mir, aber um deinen Schwanz zu lutschen oder dich zu ficken, bin ich gut genug."
Aber so ist es nicht! Ich weiß nur nie, was ich sagen soll!

Ich stöhne entnervt auf. "Vielleicht gehst du lieber," sage ich, ohne ihn anzusehen.
"Tut mir leid," murmelt er. "Ich hätte nicht kommen sollen." Seine Schritte entfernen sich wieder und ich höre, wie er meine Wohnungstür öffnet.
"Du bist kein Notnagel für mich und es tut mir leid, wenn ich dir das Gefühl gegeben habe."
"Warum tust du dann nichts dagegen?" schreie ich nun fast.
"Ich weiß doch nicht, was!" schreit er zurück.
Wütend drehe ich mich um und funkele ihn an. "Bist du so dumm oder tust du nur so?" zische ich.
Was soll ich tun? Sag es mir. Bitte.

Ich balle meine Hände zu Fäusten. Dieser Mann macht mich wahnsinnig. Ich weiß, ich sollte ihn wegschicken. Ich sollte ihm sagen, dass er ein für alle Mal aus meinem Leben verschwinden soll.
"Vielleicht redest du einfach mal mit mir," schlage ich vor.
"Was soll ich denn sagen?" fragt er leise und klingt dabei fast schon verzweifelt.
"Keine Ahnung. Irgendwas. Was ist deine Lieblingsfarbe? Oder wie hast du Carl kennengelernt? Warum bist du so ein Arschloch?"

"Wieso interessiert dich das?" fragt er überrascht.
"Wieso interessiert dich das nicht?"
"Das habe ich nicht gesagt."
Ich will am liebsten schreien. Das kann doch nicht sein Ernst sein! Ich starre ihn nur wütend an. Ich glaube, das macht alles keinen Sinn. Als er nichts sagt, schüttele ich nur meinen Kopf und lasse mich auf mein Sofa fallen. Ich bin so erschöpft, ich kann das nicht mehr.

"Schwarz," sagt er leise. "Carl und ich sind Freunde seit dem Kindergarten. Auf die letzte Frage habe ich leider keine Antwort."
"Aha," mache ich nur. Ich höre seine Schritte näher kommen und dann setzt er sich neben mich, ohne mich anzusehen.
"Und du?" fragt er schüchtern.
"Violett. Ich kenne Carl seit Betty auf seinem Schoß gelandet ist. Ich bin kein Arschloch," antworte ich knapp.
Ein glucksendes Geräusch verrät mir, dass Tom sich ein Lachen verkneift. Aus dem Augenwinkel sehe ich ihn prüfend an. "Warum lachst du so selten?"
Er zuckt mit den Schultern. "Ich hab nicht oft Grund dazu."
"Im Ernst?"
Er nickt.
"Das ist ganz schön traurig."
"Findest du?" fragt er.
"Ja," antworte ich ehrlich. "Du siehst fantastisch aus, wenn du lachst."

Verblüfft sieht er mich an.
"Was ist?" frage ich. "Hat dir das noch nie jemand gesagt?"
Als Antwort bekomme ich nur ein Kopfschütteln.
"Könnte daran liegen, dass es vor mir noch nie jemand gesehen hat."
Jetzt lacht er. Laut. Und er sieht wirklich fantastisch dabei aus. Scheiße.
"Damit könntest du Recht haben," gibt er zu.
"Warum weiß Carl nicht, dass du auf Männer stehst?" frage ich nun.

Augenblicklich wird sein Gesicht wieder ernst.
Wenn er jetzt wieder wegrennt, raste ich aus. Doch stattdessen holt er Luft und beginnt zu reden: "Wir kennen uns seit dem Kindergarten und als wir in die Pubertät kamen und er begann, sich für Mädchen zu interessieren, stellte ich schnell fest, dass ich mich nur für ihn interessierte. Ich konnte es ihm nicht sagen. Das hätte alles zerstört. Und so habe ich.. es verschwiegen."

"Und interessierst du dich immer noch für ihn?" frage ich leise.
Tom schüttelt den Kopf. "Nein, schon lange nicht mehr. Als er seine ersten Beziehungen hatte, habe ich meine Erfahrungen.. heimlich gesammelt. Über diverse Internetseiten. So konnte ich zumindest mitreden, wenn es um Sex ging und Carl ist sehr ichbezogen, so dass es ihm nie auffiel, dass nur immer er derjenige war, der Mädchen mit nach Hause brachte, aber ich nie."
"Muss ich mir Sorgen um Betty machen?" frage ich überrascht.
"Was? Nein! Mit Betty ist er anders. Er ist über beide Ohren verliebt in sie. So habe ich ihn noch nie erlebt. Er redet von nichts anderem. Es ist furchtbar," erklärt Tom genervt.
Ich lache erleichtert. "Oh ja, ich weiß, was du meinst. Die beiden sind wirklich ekelhaft."

"Und jetzt meint er es nur gut und will mich auch verkuppeln. Er meint, es ist Zeit, mir etwas Festes zu suchen und nicht nur meine Hörner abzustoßen," seufzt Tom.
"Darum haben sie dir dieses Date organisiert," vervollständige ich seine Aussage.
"Du wusstest davon?"
"Betty hat es mir heute früh erzählt."
"Warum hast du mich nicht gewarnt? Es war schrecklich! Sie haben mit diesem Mädchen tagelang Nachrichten in meinem Namen geschrieben, sie wusste so viel über mich und rückte mir gleich auf die Pelle!" erzählt er angewidert.
"Wie hätte ich dich warnen sollen? Ich habe nicht mal deine Nummer!" meckere ich. "Außerdem fand ich nicht, dass es mich etwas angeht."

"Oh.." macht er. "Verstehe." Langsam steht er auf.
"Wo willst du hin?" frage ich überrascht.
"Ich gehe," sagt er knapp.
"Warum?"
Es war dir egal, ob ich auf ein Date gehe.

"Nein!" rufe ich, obwohl er mir nicht laut geantwortet hat. "Es war mir nicht egal!"
Fragend sieht er mich an. "Ich habe nichts gesagt."
"Ich.. ich weiß, aber.." stammele ich und stehe ebenfalls auf. "Es war mir nicht egal."
"Okay.." sagt er zögerlich. "Und jetzt?"
Ich zucke mit den Schultern und gehe einen Schritt auf ihn zu. "Gehst du mit mir auf ein Date?" frage ich leise.

Stimmengewirr | ✓Where stories live. Discover now