Die Neronia seien eröffnet!

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Am Tag der Eröffnungsfeier wurde Lucius besonders früh von den Sklaven geweckt. Seine Toga mit dem Purpurstreifen* für heute war am Tag zuvor schon gewaschen und mit verschiedenen Düften versetzt worden, sodass sie heute nur noch angelegt werden musste. Die guten Sandalen waren extra für heute angefertigt worden. Nach dem Ankleiden ging die Sonne gerade im Osten auf.

Lucius ging noch einmal kurz in die Küche, wo ein Brot und ein wenig Käse mit einem Apfel für ihn gereicht wurden. Er dankte der Sklavin, dann nahm er die Sachen mit auf den Hof. Auf dem Weg dorthin kam er an den Zimmern der Kinder vorbei und Lucia kam, noch sehr verschlafen, aus ihrer Türe heraus. Sie gähnte herzhaft. „Guten Morgen, Vater", murmelte sie. „Viel Glück." Lucius schloss sie lächelnd in seine Arme, so gut es mit dem Essen in seinen Händen ging. „Dankeschön. Ihr kommt dann später nach?" Lucia nickte. „Gut. Dann geh doch noch mal ein wenig schlafen, du siehst aus, als würdest du es vertragen können." Lucia gähnte noch einmal, dann trottete sie in ihr Zimmer zurück.

Lucius setzte seinen Weg fort. Auf dem Hof stand schon der Wagen bereit, er war angespannt worden, während er angekleidet worden war. Rechts von der Türe stand schon Corvus, der die nötigen Dokumente für den Tag dabei hatte. Die Tür wurde ihm aufgehalten und Lucius stieg ein, gefolgt von seinem Sklaven. Der Wagen fuhr an und begann seinen Weg über die Landstraße.

In Rom angekommen herrschte schon helle Aufregung. Die Eröffnungsfeier fand draußen in den Gärten des Mons Vaticanus statt. Dort war ein riesiges Bankett aufgebaut worden, mit Essen aus den erdenklichsten Teilen des römischen Reiches. Riesige Truthähne, gefülltes Schwein, Fische, die Teilweise erst am Tisch getötet wurden, große Rinderbraten, kleinere Häppchen, wie Hasen, Siebenschläfer oder Kapaunen. Natürlich gab es auch leichtere Vorspeisen, überwiegend Fladen, aber auch sehr vielfältige andere Backwaren, eine Fülle an Früchten, Äpfel, Aprikosen, Orangen, Granatäpfel und andere Sachen, die manche Bürger aus Rom vielleicht noch nie gesehen hatten.

Die meisten Speisen waren allerdings noch nicht fertig, denn das Bankett begann erst am Mittag. Sie alle lagen dann zusammen auf dem großen Tisch und konnten von Sklaven angereicht werden. Die Gäste lagen in Grüppchen an jeweils eigenen Mensae**, die im Garten verteilt waren.

Am Vormittag wurde zuerst der Kaiser empfangen, der zunächst eine Rede hielt und dann wurde den Göttern geopfert. Lucius begab sich deshalb schon einmal an den großen Platz, wo der Kaiser ankommen würde und wo schon der große Scheiterhaufen für das Feuer aufgebaut war. Dort standen schon die Sklaven mit den Körben voller Rosenblätter bereit und die Taubenkäfige waren auch schon auf ihrer Position.

Lucius wandte sich an Corvus, der gerade neben ihn getreten war. „Ist alles so weit vorbereitet?" Corvus nickte. „Ja, ich habe bisher nichts gesehen, was fehlt. Es läuft alles nach Plan." „Und die wichtigen Gäste haben auch alle zugesagt, richtig? Die Wagenlenker haben nicht spontan abgesagt?" „Nein, sie sollen kommen." „Gut. Pass du dann doch bitte hier auf und ich gehe noch einmal und kontrolliere die Posten der Wachen." Corvus nickte. „Wie Ihr wünscht." Lucius nickte ihm zu, dann begab er sich zu den Rändern des Festgeschehens, wo die Soldaten in einigen Schritten Abstand voneinander postiert waren. Ihm waren zwei Zenturien aus der vierten Kohorte zur Verfügung gestellt worden und er sprach kurz mit den beiden Zenturionen. Dann ging er wieder zurück, denn der Stand der Sonne sagte ihm, dass es langsam Zeit wurde.

Langsam trudelten die ersten Gäste ein. Corvus war schon damit beschäftigt, die Gäste auf der Liste abzuhaken. Es waren wichtige Gäste, von nah und fern, alles aus dem Adelsstand oder mindestens aus dem Ritterstand. Einige mit Sklaven, einige mit Kindern, man sah selten jemanden alleine. Schließlich entdeckte Lucius seine Kinder. Sie kamen ohne Tiberius, dieser würde getrennt mit seinen Eltern kommen.

Lucius winkte sie zu sich heran. Die Mädchen sahen wundervoll aus. Lucia hatte sich für ein blau gefärbtes Kleid entschieden und trug darüber ein wollenes Tuch gewickelt. Siofra trug ein recht traditionelles weißes Kleid der Oberschicht, bei dem man das Tuch gerne weglassen konnte, damit es nicht zu warm wurde. Es war mit einigen grünen Streifen versehen. Frija trug ein ebenfalls blaues Kleid, hatte sich dazu aber ein gelbes Tuch über den linken Arm gelegt. Spurius war bei der üblichen Tunika geblieben, dieses Mal statt dem groben weißen Stoff aber ein edlerer grüner.

„Hallo, Vater", begrüßte ihn Siofra, die ihn zuerst gesehen hatte. „Da sind meine Lieben ja", lächelte Lucius. „Die Ecke, die für euch, meine Eltern und die Familie eures Onkels vorgesehen ist, ist hier entlang und bei der dritten Abzweigung rechts. Ich selbst werde beim Kaiser speisen. Ich werde aber wohl mal bei euch vorbei kommen können." Die Mundwinkel der vier waren bei den Worten ‚meine Eltern' einmal ein Stockwerk nach unten gerutscht. Leider hatte Lucius gleich die nächste schlechte Nachricht für sie, die er ihnen etwas leiser mitteilte: „Der Kaiser ist übrigens daran interessiert, euch Mädchen ebenfalls kennen zu lernen. Meinetwegen entscheidet, welches das kleinere Übel ist, aber wenn ihr dem Kaiser absagt, tut mir den Gefallen und spielt wenigstens vor, dass ihr zu viel getrunken habt und euch schlecht ist... oder so." Er schaute sie eindringlich an. „Sagt bitte auf keinen Fall unbegründet nein, das könnte einige Probleme geben, die ihr und auch ich vermeiden wollen. Vertraut mir." Die Vier nickten gehorsam. Sie verstanden schon, was Probleme mit dem Kaiser bedeuteten.

Lucius trat wieder einen Schritt zurück und sagte in einer normalen Tonlage: „Ihr könntet natürlich gleich zu euren Plätzen gehen, allerdings lohnt sich das nicht unbedingt. Der Kaiser dürfte in einer nicht allzu langen Weile eintreffen, dann solltet ihr hier sein."

Die Kinder blieben auf dem Platz. Frija hatte eine Freundin entdeckt, genauer gesagt Julia, von der Lucius auch schon gehört hatte, jedoch von ihrem Vater Julius. Wenn sie sich manchmal nach den Senatssitzungen unterhielten, waren auch ihre Kinder manchmal Thema gewesen. Jedoch hatte Lucius Julia noch nie persönlich getroffen.

Lucius war damit beschäftigt, die Gäste zu empfangen, auf den Listen abzuhaken und ihnen ihre Plätze für später zuzuweisen, und er war froh, dass er Hilfe von Corvus und zwei anderen Aedilen hatte. Doch früh genug traf der Kaiser ein, begleitet von seiner Frau Octavia und seinem Berater Seneca, allesamt getragen in einer Sänfte. Die Tauben wurden losgelassen und mitsamt dem restlichen Hofstaat, der Nero begleitete, den umherfliegenden Blüten und der majestätischen Erscheinung des Kaisers selbst, gekleidet in Schichten von Purpur und in golden Schmuck, war es ein wahrlich festlicher Anblick.

Die engeren Bekannten begrüßte Nero persönlich, Lucius vermutlich aus Höflichkeit, da er niemals ungewöhnlich vielen persönlichen Kontakt mit ihm oder seiner Familie gehabt hatte. Bei der Rede, die er hielt, ging es in erster Linie um Neros eigene Persönlichkeit und wie sehr er sich freute, diese Spiele zu stiften. Zudem kündigte er groß seinen eigenen Auftritt zum Ende der Festlichkeiten an.

Lucius meinte zu wissen, dass dies sein erster vor einem größeren Publikum war. Sonst waren es wohl kleinere Theater gewesen, nicht vergleichbar mit denen in Rom.

Am Ende empfing der Kaiser tosenden Applaus, wie es der hoheitlichen Manier entsprach. Manchmal fand Lucius es schon faszinierend: keiner im Publikum schien das Ende einer Rede zu verpassen, auch wenn Lucius hätte schwören können, dass der Großteil nur mit halbem Ohr zuhörte. Er meinte sogar gesehen zu haben, wie ein paar Leute den Platz verlassen hatten. Jetzt waren sie pünktlich wieder da. Ähnelten sich die Reden etwa so sehr, oder woran lag es?

Jedenfalls schien jeder froh zu sein, endlich zum Essen zu kommen. Lucius erhaschte nun auch einen Blick auf seinen Bruder, der mit Lucia und Tiberius angekommen sein musste, als Lucius es nicht mitbekommen hatte. Er verabschiedete sich knapp von seinen eigenen Kindern und folgte dann dem Kaiser zum großen Pavillon, wo er speisen würde. Lucius sah auch Julius und seine Tochter in diese Richtung gehen, denn er und Nero waren irgendwie verwandt. Cousins mütterlicherseits? Lucius wusste, eigentlich sollte er da besser Bescheid wissen, aber mit der ganzen Verwandtschaft und Adoption in der Adelsschicht kam er manchmal doch durcheinander. Jedenfalls hatte der Kaiser den Wunsch geäußert, ihn bei sich zu platzieren.

Angekommen beim Pavillon ließ sich der Kaiser zufrieden auf seinem Lectus nieder, rechts von ihm Octavia. Hinter ihm einige Sklaven, die ihm Luft zufächelten oder bereit standen, um ihm Essen und Trinken zu reichen. Auf dem Lectus, das rechts ums Eck stand, waren die Plätze für Seneca, und zwei der Senatoren. Lucius hatte sich selbst mit Julius und einem Feldherrn aus Asia*** das Lectus ums linke Eck zugeteilt, er fand es so ganz angemessen. Er hatte sich gerade zurecht gelegt, als er eine unerwartete Präsenz neben sich spürte. "Was tust du denn hier?"



*Purpurstreifen an der Toga: Zeichen des Senatorenstandes

**Mensa: ein niedriger Tisch, an dem die Lecti standen

***Die Provinz Asia: Die heutige Türkei

Amor vincit omniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt