Leben auf einer weißen Wand

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Apollo stand vor der weißen Wand, bewaffnet mit den verschiedensten Pinseln und den besten Farben, die man auf der Welt bekommen konnte. Er hatte den alten Putz mit der alten Farbe abgeklopft, dann ganz frisch neuen Putz aufgetragen und nun schrie die Wand förmlich danach, neu bemalt zu werden. Blitzschnell griff er nach einem großen Pinsel und fing mit großen, groben Strichen an. Die Grundierung sollte dunkelgrün werden, oben etwas heller. Er wusste, Lucius liebte die Natur, besonders den Wasserfall, an dem sie früher gewesen waren. Daran wollte er sich nun orientieren, hier in das Lesezimmer kam eine Quelle im Wald hin, mit einem See und ein paar Waldtieren. Die Tiere wollte er so verstecken, dass man sie nicht gleich fand, genau wie es auch in der Natur war. Später wollte er noch seine Schwester zur Rate ziehen, sie sollte doch bitte einen Zauber auf das Gemälde legen, sodass es so aussah, als würde manchmal der Wind durch die Blätter fahren, wenn man nicht richtig hinsah.

Mit jedem Pinselstrich entstand mehr und mehr eine schöne Landschaft. Es bildeten sich Bäume, Sträucher, das Wasser begann über runde Steine in den See zu fließen, die Tiere versammelten sich, um das kühle Nass zu genießen, oder sich beinahe ungesehen im Schatten zu verstecken. Durch das dichte Blätterdach fiel nur ein wenig Licht und es warf lustige Flecke auf den Boden.

Ehe der Gott sich versah, war es Nachmittag geworden, er war gerade fertig. Apollo trat ein paar Schritte zurück und betrachtete sein Werk. Er fand es nicht schlecht, aber er hoffte vor allem, dass es Lucius gefiel. Wo er gerade so darüber nachdachte, Lucius musste mittlerweile eigentlich auch da sein. Er hatte Apollo heute Morgen im Haus gelassen und gesagt, er solle sich austoben, wie er wollte. Er sollte nur später auch seinen Schmutz wieder wegräumen.

Jetzt, als Apollo so um sich blickte, wurde ihm erst das übliche Chaos bewusst, dass er eigentlich ohnehin immer beim malen verursachte. Der ganze alte Putz, den er zu Beginn abgeklopft hatte, lag noch auf dem Boden, überall lagen schale mit Farben und benutzte Pinsel verteilt und einzelne Flecke waren auch noch auf den Fliesen. Aber er hatte gerade keine Lust, alles aufzuräumen, deshalb schnipste er einfach mit den Fingern, ließ den Müll damit verschwinden, säuberte Pinsel und Schalen und ließ sie mit der Farbe auf dem Olymp in seinen Räumlichkeiten wieder auftauchen.

Als er sicher war, dass alles wieder ordentlich aussah, trat er aus dem Zimmer heraus und lief die Treppe hinunter. Sein Gefühl sagte ihm, dass Lucius in den Stallungen war, und sein Gefühl hatte Apollo selten getäuscht. Eher im Gegenteil, manchmal sagte es ihm sogar zu viel Richtiges. Je nach Situation nicht immer eine schöne Gegebenheit.

Auch nun lag Apollo wieder richtig, er fand Lucius bei dem jungen Fohlen und seiner Mutter. Bis auf ihn war niemand im Stall, die meisten Sklaven waren schließlich in der Villa am Meer und diejenigen, die da waren, waren vor der Hitze in die Keller oder den Garten geflüchtet, oder sie waren auf den Wachposten, die aufgrund der mangelnden Personenanzahl und somit der wenigen Übersicht im Haus aufgestellt worden waren. Apollo war sich aber ziemlich sicher, dass ihn niemand gesehen hatte.

Da der Stall im Moment verlassen war, machte Apollo sich nicht die Mühe seine Sklaventarnung aufzulegen, und spazierte einfach so hinein. Es war vielleicht ein merkwürdiger Anblick, ein junger Mann im Chiton* mit blonden langen Haaren, praktisch zusammengebunden, und Farbklecksen an den Händen zwischen Heu und Stroh im Pferdestall, aber das war ihm egal. Ihn sah ja nur Lucius.

Der Anblick, der ihn erwartete, brachte Apollo zu einem liebevollen Lächeln. Lucius schmuste hemmungslos mit dem kleinen Fohlen, verständlich, sie hatten doch immer ein so furchtbar kuscheliges Fell. Das Fohlen selbst hatte seine ganz eigene Freude daran gefunden, an Lucius Haaren zu nuckeln und ihm durchs Gesicht zu schnüffeln, was diesen sehr zum Lachen brachte. Die Mutter des Fohlens machte sich absolut keine Sorgen, sie stand einfach daneben, mampfte ihr Heu auf dem Boden und war die Ruhe selbst. Sie hob nur kurz den Kopf, als Apollo vor die niedrige Tür trat, um zu sehen, wer dort stand.

Amor vincit omniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt