Erleichterung und drei gute Gründe

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Lucius stellte langsam die Schüssel zur Seite auf den kleinen Hocker, der neben seinem Bett stand. Es waren nur noch wenige kleine Reste von den Kräutern übrig, alles andere der Suppe war sehr lecker gewesen. Ob Apollo selbst gekocht hatte? Oder war es so, dass er das Essen heraufbeschwor und es war automatisch gut und kam auch nirgendwo her? Früher hatte Lucius darüber häufig nachgedacht, aber es dann aufgegeben. Eigentlich war es ja egal, außerdem bestimmt zu kompliziert und irgendwann würde er halt Apollo fragen.

Doch nicht jetzt, denn gerade war es wichtiger, Apollo mit seinem dämlichen Lächeln am Kragen zu packen und ausgiebig zu schütteln. Das Lächeln verschwand sehr schnell und wich der Verwirrung, als Lucius auf seinem Schoß saß und am laufenden Band „Stolide, stolide, stolide, stolide, stolide*!", rief. Und durchgeschüttelt zu werden war auch nicht unbedingt eine von Apollos liebsten Freizeitbeschäftigungen. Er hatte die Arme schnell ergeben erhoben, denn er wusste schließlich, wie gruselig Lucius manchmal sein konnte, wenn er wütend war.

Irgendwann war Lucius offensichtlich fertig und ließ seine Stirn gegen Apollos Brust sinken. Apollo versuchte sein Gesicht auf dieselbe Höhe zu kriegen, natürlich den Umständen entsprechend, und fragte mit schief gelegtem Kopf: „Ähm... Was... genau ist los?" Lucius hob ruckartig den Kopf und beinahe wäre Kopf an Kopf geknallt. Gaia segne die göttlichen Reflexe. „Was los ist? Du fragst mich ernsthaft was los ist!? Den ganzen Tag mache ich mir Sorgen um dich, ich habe beinahe mein Leben schon für deines hergegeben und du kommst mir mit so etwas?"

Apollo musste, wenn auch nicht ganz beabsichtigt, glucksen. „Tut mir wirklich leid. Vater war eben ein ganz kleines bisschen beleidigt, da sieht das schon mal sehr aggressiv da oben aus." Lucius verengte seine Augen. „Lach nicht so. Nimm mich ernst!", entrüstete er sich und Apollo konnte es nicht mehr an sich halten. Er prustete los und in den Momenten, in denen er gerade genug Luft bekam, presste er heraus: „Tut mir leid, Lucius. Aber du bist so niedlich, wenn du schmollst, was soll ich denn machen?"

Lucius verdrehte seine Augen, der war ein hoffnungsloser Fall. Er ließ sich wieder gegen die Brust seines Liebsten sinken, eigentlich hatte er für das alles schon keine Nerven mehr. Ein herzhaftes Gähnen entwich ihm, worauf Apollo, der sich wieder beruhigt hatte, schmunzelte: „Na, du bist ja wirklich hinüber." Lucius schloss seine Augen und grummelte: „Natürlich. Was erwartest du denn nach einem Tag voller Organisation und Nervenfolter?" Apollo rückte sich in den Kissen zurecht. „Das werde ich wohl heute nicht mehr los, nicht wahr Melilla?", murmelte er in Lucius Locken. „Natürlich nicht." „Na schön. Aber schau mal, wir haben jetzt dich tatsächlich Juno auf unserer Seite. Gut, das klingt jetzt so hart, aber unserer Hochzeit steht nun wirklich nichts mehr im Wege, mit dem Gott der Hochzeit und der Göttin der Ehe."

Auf einmal war Lucius wieder hellwach. Er schoss nach oben und krabbelte blitzschnell rückwärts ein paar Fuß von Apollo weg. Dabei fiel er auch noch über die Bettkante. Der Schmerz schien aber entweder nicht da zu sein oder nicht wahrgenommen zu werden, zumindest als Apollo schnell nachsah, stotterte er nur: „H- H- Ho- Hochzeit? Wie? Was? Wie jetzt, unsere? Jetzt?"

Apollo musste schon wieder lachen. „Natürlich nicht jetzt, Dummerchen. Ich habe noch keinen Ring oder sonst etwas. Ich muss das alles auch noch mit Hymen durchgehen und du hast ja selber erst mal gut zu tun. Und Lucia heiratet ja auch noch." Als er Lucius wieder aufhalf und zu sich zog fügte er noch an: „Ich würde dich nur wirklich gerne heiraten." Lucius verbarg sein Gesicht wieder in Apollos Chiton und murmelte: „Das solltest du aber noch mal überdenken. Ich bin doch ein Sterblicher. Und das ist ein bisschen plötzlich und so ganz ohne offiziellen Antrag... Lass uns später noch mal darüber reden, aber nicht jetzt, ja?" „Ist gut." Die beiden kuschelten sich unter die Decke, wie es ihnen schon so wohl vertraut war, und Lucius war bald weggeschlummert. Apollo brauchte etwas länger, denn etwas in seiner Brust zerrte die ganze Zeit schmerzhaft. Warum sagte Lucius denn bloß dasselbe wie sein Vater?


Am Abend ging es in der Villa des Antonius sehr lebhaft zu. Damit hatte er beinahe schon gerechnet, er kannte die Kinder seines Bruders schließlich gut und die Cenae mit ihnen waren jedes Mal entsprechend laut und voll von Gerüchten, nicht wirklich ernst gemeinten Verschwörungstheorien und so viele Ideen für Streiche, dass sie für ein paar Äonen reichen würden. Antonius Frau amüsierte das jedes Mal sehr und sie hatte die eingefleischte Gruppe schon vor Ewigkeiten in ihr Herz geschlossen. Antonius war jedes Mal fasziniert von der Kreativität, die bei diesen Themen ausgelebt wurde. Die abwegigsten Sachen wurden bei solchen Diskussionen auseinander genommen und auf einmal waren sie plausibel, wenn auch nicht ernst zu nehmen. Außerdem fragte er sich wirklich, woher sie alle das hatten. Da er sich keinen Einfluss von sich selbst oder Lucius vorstellen konnte, musste er es, so leid es ihm tat, auf die beiden germanischen Mädchen schieben. Sie waren so oder so ein Fall für sich, aber irgendwie konnte Antonius ihnen niemals böse sein.

Natürlich gab es auch heute wieder eifrige Diskussionen, doch mit dem Thema hätte Antonius tatsächlich nicht gerechnet. Es war sein Bruder.

„Nein, nein, das hast du doch auch gesehen. Er verheimlicht bestimmt etwas, das ganze Abgeschließe und Verschwinden spricht doch für sich selbst." „Natürlich, das ist ja schon klar, aber das bestätigt doch nicht gleich deinen Verdacht. Es zeigt nur, dass er etwas verheimlicht, sonst gibt es keine klaren Fakten." „Ich sage dir, ich werde meine Tabula fressen, wenn das keine neue Frau ist." „Aber wer sagt denn, dass das etwas Ernstes ist und nicht nur eine kleine Affäre?" „Ist dir denn nicht aufgefallen, dass Vater in letzter Zeit viel mehr lächelt. Und manchmal ist er so verträumt, dass die Sklaven ihn drei Mal ansprechen müssen, bis sie eine Antwort bekommen. Das sagt doch alles." „Ja, schon... Aber wer sagt denn, dass das nicht einseitig ist? Wer sagt denn, dass er nicht noch unglücklicher wird?" Betretenes Schweigen herrschte zwischen den Jugendlichen nach Frijas vorsichtiger Aussage.

Nach ein paar Augenblicken ergriff jedoch Antonius das Wort: „Wollt ihr mir erklären, worum genau es geht? Vielleicht kann ich euch ja weiterhelfen, ich kenne meinen Bruder schließlich schon etwas länger als ihr."

Eine Menge Gesichter hellten sich vor ihm auf und ein detaillierter Bericht mit eingefügten Schlussfolgerungen und Vermutungen folgte. Nach Abschluss runzelte Antonius die Stirn, während er nachdachte. Dann äußerte er: „Ich kann euch nicht sagen, ob eure Vermutungen über eine neue Frau stimmen. Es könnte durchaus etwas anderes sein, theoretisch gesehen könnte es so gut wie alles sein. Da hat man viel Platz für Kreativität. Andererseits sprechen durchaus einige Punkte dafür und es ist auch nicht unmöglich, ganz sicher nicht. Falls es aber tatsächlich so sein wird, dass er eine Frau zu Besuch hatte, dann wird das nichts sein, womit er sich nur die Zeit totschlägt. Ich kenne ihn gut genug um mindestens drei, bestimmt auch mehr Gründe dafür aufzuzählen, dass jede Beziehung, die er eingeht, ernst gemeint ist." Antonius hatte seine Worte vorsichtig gewählt, aber er hatte schließlich auch eine Leidenschaft für Rhetorik, da war es nicht allzu schwer, genau das auszudrücken, was er wollte. Spurius fragte interessiert: „Welche Gründe denn?" „Oh ja, sag' es bitte. Ist es wegen Mutter?", bettelte auch Siofra.

„Also, ich will nicht sagen, dass euch das nichts angeht, aber das ist seine Sache. Wenn mein Bruder nicht mit euch darüber reden möchte, dann lasst ihn bitte und sprecht es auch nicht an. Das ist leider so etwas bei ihm, etwas sehr Ernstes, und ich denke nicht, dass ich das Recht dazu habe, diese einfach auszuplaudern." Antonius lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Sein letztes Wort zu dem Thema war gesprochen.

Auch, wenn Lucius ihm niemals gesagt hatte, was er für Stirrius vor all den Jahren empfunden hatte, Antonius hatte es spätestens nach seinem Tod so deutlich wie nie gesehen. Lucius hatte sich verrückt gemacht, fast jede Nacht, wenn er nicht zur Wache oder anderen Diensten eingeteilt war, wanderte er über das Schlachtfeld und suchte verzweifelt nach Stirrius' Leiche. Damals hatte sein Freund, Quintus, wenn sich Antonius recht entsandte, versucht ihn zu beruhigen. Er hatte gesagt, dass Stirrius vermutlich von seinen eigenen Landsleuten mitgenommen wurde, weil sie ihn selbst beerdigen wollten. Daraufhin war Lucius ausgerastet und hatte ihn angeschrien, er wolle Stirrius wieder haben, er war sein Eigentum und er habe ein Recht darauf und wenn Quintus ihn damals nicht weggezogen hätte, wäre das alles nicht passiert und er hätte ihn selbst bestatten können.

Niemals hatte Antonius seinen Bruder so reden hören und auch als er sich später bei seinem Freund entschuldigte, wirkte es, als ob sie nicht mehr so nah beieinander standen, wie vorher.

Die vier Kinder warfen sich fragende Blicke zu, dann wandten sich alle Gesichter zu dem, der ihn schon am längsten von ihnen kannte, doch auch Tiberius hob die Schultern und schüttelte mit dem Kopf.

*stolide: eigentlich der Vokativ des Verbs stolidus, was dumm bedeutet, kann aber auch gerne mit Dummkopf oder Idiot übersetzt werden ;)

Amor vincit omniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt