Träume und Erinnerungen

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Dunkelheit umgab ihn. Egal, in welche Richtung er sich wendete, er konnte nichts erkennen. Doch er hörte sie deutlich, eine Stimme, die seinen Namen flüsterte.

„Apollo."

Dann flackerte in der Dunkelheit etwas auf. Ein Licht, erst klein, dann wurde es immer größer. Und schließlich konnte er etwas in dem Licht erkennen. Er sah einen Jungen. Er war vielleicht vier oder fünf Jahre alt. Der Junge hatte dunkle Locken, die ihm über die verschwitzte Stirn hingen. Er lag in einem Bett, sein Gesicht war gerötet und er sah sehr krank aus.

Das Bild vergrößerte sich. Apollo konnte den Raum erkennen, in dem das Bett stand. An dem Bett hockte eine Frau mit denselben braunen Locken, wie sie der Junge hatte. Neben ihr befand sich ein weiterer Junge, der aber älter als der im Bett war.

Apollo hörte sie beten. Sie beteten für die Gesundheit des Jungen. Sie beteten ihn an, er möge ihn heilen, seine Krankheit vertreiben. An einem Feuer opferten sie ihm eine Ziege. Dann gingen sie aus dem Raum, nachdem die Frau dem Jungen über den Kopf gestrichen hatte und seine Stirn geküsst hatte. Sie nahm den älteren Jungen an die Hand und zog ihn sanft hinter sich her, der Junge warf einen letzten Blick auf den Jüngeren, bevor sich die Türe schloss.

Es wurde langsam dunkel vor dem Fenster im Zimmer. Eine Sklavin kam herein und stellte dem Jungen Wasser und Trauben auf den Nachttisch neben dem Bett, doch sie weckte ihn nicht. Sie schlich wieder leise hinaus.

Dann sah Apollo nach einigen Minuten etwas anderes im Zimmer. Ein Licht blitzte kurz auf und er sah sich selbst neben dem Bett stehen. Auf seinem Kopf trug er, wie fast immer, einen Lorbeerkranz, seine Haare auf komplizierte Art und Weise zusammengeflochten.

Er beugte sich ein wenig über den Jungen, um ihn näher zu betrachten. „Da habe ich dich doch tatsächlich aus Versehen auch mit der Seuche erwischt. Das wollte ich nicht, tut mir leid", sagte er leise, während er durch die Locken des Jungen strich. „Mars wäre, glaube ich, auch sehr verärgert, wenn ich einen seiner Gesegneten verenden ließe."

Der Junge stöhnte und warf seinen Kopf gequält hin und her. Sein Atem ging rasselnd. „Ist ja gut. Ich erlöse dich", flüsterte Apollo. Er legte seine Hand auf das Herz des Jungen und ließ seine Energie durch ihn fließen. Sie beide leuchteten für eine kurze Zeit golden auf, Apollo spürte, wie die Krankheit aus dem Körper des Kleinen wich. Sein Gesicht nahm eine gesündere Farbe an, die Körpertemperatur sank wieder und seine Atmung normalisierte sich. Er lag nun ganz ruhig und friedlich in seinem Bett und Apollo betrachtete ihn eine Weile. „Ein süßer Junge", stellte er fest und wandte sich dann um, um wieder zurück zum Olymp zu kehren.

Doch er spürte ein Zupfen an seinem Umhang, das ihn dazu veranlasste, sich umzudrehen. Der Junge war aufgewacht und hockte nun auf der zurückgeschlagenen Decke. Er sah Apollo mit großen Augen an und fragte dann: „Wer seid ihr?" Seine Stimme zitterte ein wenig.

Apollo überlegte einen Moment, ob er einfach verschwinden, oder doch bleiben sollte. Doch dann drehte er sich vollständig zu dem Jungen um und setzte sich auf die Bettkante. Er lächelte den Kleinen sanft an und stellte die Gegenfrage: „Was würdest du denn denken?" Der Lockenkopf sah ihn mit schräg gelegtem Kopf an und schien zu überlegen. Er musterte Apollo von oben bis unten und meinte dann: „Du bist total hübsch. Hübscher als Mama. Ich glaube, du bist bestimmt ein Gott. Sonst ist nämlich keiner hübscher als Mama, weißt du?" Apollo musste glucksen und strich dem Kleinen wohlwollend über den Kopf. „Ja, da hast du recht. Ich bin wirklich ein Gott. Ich heiße Apollo."

Dem Jungen schien ein Licht aufzugehen, denn er stellte fest: „Stimmt. Du hast ja auch den Kranz auf dem Kopf. Hast du auch eine Leier? Mein großer Bruder hat mir davon erzählt." „Dein großer Bruder scheint ja ziemlich klug zu sein", bemerkte Apollo. Der Junge nickte eifrig. „Ja, stimmt. Er weiß alles." „Na, dann hat er ja etwas mit mir gemeinsam. Ich weiß auch alles. Ich sehe von dort oben nämlich ganz viel." Apollo deutete mit dem Finger nach oben. Der Junge sah ihn mit strahlenden Augen an, doch dann gähnte er herzhaft. Apollo strich ihm erneut durch die Haare. „Du bist wohl etwas müde, hmm? Wie wär's, ich sing dir ein Gute-Nacht-Lied und du schläfst dich ordentlich aus?", schlug er vor. Der Junge schien erst etwas erwidern zu wollen, doch dann überlegte er es sich anders und meinte: „In Ordnung. Mit der Leier?" Er kuschelte sich zurück in sein Kissen und sah Apollo abwartend, aber schläfrig an. „Ich habe meine Leier gerade nicht parat. Aber wie findest du die Kithara?" Er machte eine kurze Handbewegung und das Instrument erschien auf seinem Schoß. Der Kleine nickte nur müde.

Amor vincit omniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt