Verloren

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Es war nicht einfach, zu akzeptieren, dass seine Töchter nun für, nun, vermutlich immer, weg sein würden. Allein ihre Abwesenheit brachte Lucius völlig aus dem Konzept. Er war den ganzen Tag schon neben der Spur gewesen.

Als am Vormittag eine Tonschüssel zu Bruch gegangen war und er hin geeilt war, war dies ihm unangenehm bewusst geworden. Er wusste ja, dass so etwas passieren konnte. Er wusste, dass seine Töchter nicht hier waren. Aber als er dann den jungen Sklaven auf dem Boden hatte knieen sehen, wie er die Scherben aufhob und keine protestierenden Mädchen daneben standen, hatte das sein Unterbewusstsein völlig aufgeschmissen. Wo waren die beiden? Hatten sie sich versteckt und standen kichernd hinter der Türe? Sie mussten doch langsam hervor kommen. Und der andere Teil von Lucius sagte, nein, sie sind auf dem Weg nach Hause.

Er hatte seine Briefe nicht schreiben können. Er hatte nicht mehr mitgezählt, wie oft er sich verschrieben hatte, wie oft er Worte unnötig zweimal wiederholt hatte, Hades, manchmal hatte er sogar ganze Sätze zwei Mal geschrieben. Und dann musste er wieder von vorne anfangen. Einen Vertrag, in dem er einem Käufer ein Pferd übereignen wollte, weil dieser das Geld gerade gezahlt hatte, hatte er ganze fünf Mal neu schreiben müssen. Was für eine Verschwendung von Papyrus. Und er kam nicht weiter. Keine Hilfe für seine Konzentration.

Ursprünglich hatte er wirklich erwartet, dass es nicht er sein würde, den es am härtesten traf. Um ganz ehrlich zu sein hatte er Lucia diese Rolle zugeschrieben und beim Abschied heute Morgen hatte er noch ernsthaft daran geglaubt, es hatte wirklich so ausgesehen. Er hatte gedacht, er tue seinen Töchtern einen simplen Gefallen, ließ sie gehen, wofür es doch ohnehin schon längst Zeit war. Wie er sich doch geirrt hatte.

Lucius war froh, dass er sein Gesicht behalten konnte. Wenn er eines in seiner Zeit als Heeresführer und Senator gelernt hatte, dann das. Er konnte schauspielern und obgleich er es früher niemals gemocht hatte, wie dankbar war er jetzt doch, dass er es konnte. In seinem Arbeitszimmer erlaubte er es sich, sich gehen zu lassen, vorausgesetzt, es war niemand anwesend. Sobald er aus der Türe trat, lief er Gefahr, seiner verweinten, aber dennoch gefassten Tochter entgegen zu treten, sowie seinem völlig überdrehten Sohn, der wohl nicht damit zurecht kam, dass es niemanden gab, mit dem er durchs Haus rennen konnte außer vielleicht den Hunden. Jedenfalls war das am Vormittag so, zu Mittag begann es abzuklingen und am Nachmittag hatte er den Status erreicht, in dem er nur noch Passiv in der Bibliothek saß und mit leeren Augen auf eine Schriftrolle starrte. Daneben Tiberius, dem die Tinte auf seinen Aufsatz tropfte.

Lucius konnte sich nicht erlauben zu zeigen, dass er vermutlich derjenige war, dem es am nächsten ging, wenn er derjenige war, der für sie Sorgen sollte. Er versuchte vorsichtig, ihnen zuzureden. Er konnte nicht viel tun, denn er traute seinem Mundwerk noch nicht ganz, dass es auch wirklich das richtig hinausbringen würde. Lieber passte er auf mit großen Worten und gab ihnen lieber ein paar kleine leichte, anstatt dass er mit großen schweren um sich warf und sie alle damit erschlug. Für große hatte er an einem anderen Tag auch noch Zeit und dann würden sie mehr helfen.

Stattdessen schauspielerte er und präsentierte in der heutigen Aufführung die Rolle des Felsens. Dem, was immer da war und an dem man sich festhalten konnte. Das schien ihm heute am sinnvollsten und es schien auch schon zu helfen.

Die harte Schale des Felsens wurde jedoch von genau zwei Dingen durchschaut. Erstens, sein Bruder. Antonius war nicht umsonst Lucius Bruder und Lucius nicht umsonst der von Antonius. Sie wussten beide genau, dass ihre Köpfe mittlerweile, zumindest in dieser Sache, gleich funktionierten. Sie wussten voneinander, dass sie genau dasselbe taten. Nicht heute vielleicht, heute war es nur Lucius, aber er wusste, dass Antonius es manchmal tat. Lucius war dankbar, dass Antonius keine Anstalten machte, die Schale zu durchbrechen.

Amor vincit omniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt