Sorge

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Der Zug der Sklaven kam bei der Villa am Meer an. Dabei sparten sie es sich, sich noch einmal auf dem Hof zu versammeln, sondern gingen gleich zum Strand, wo schon der Anfang eines Lagers zu erkennen war. Lucius hatte schon eine Feuerstelle errichten lassen, ein paar Körbe mit Brot und Früchten standen auf Decken und ein paar Strohlager waren auch schon aufgeschlagen worden.

Die Sklaven machten sich alle selbstständig daran, das Lager weiter aufzubauen. Sie nahmen das Stroh, das sie mitgenommen hatten und polsterten sich Schlafplätze aus, außerdem hatten ein paar von ihnen kleinere Schemel mitgenommen, damit die Älteren bequem an der Feuerstelle sitzen konnten und sich nicht auf den Boden quälen mussten. Für den Rest wurden noch mehr Decken und teilweise Leder auf den Boden um die Feuerstelle gelegt, dann breiteten sie darauf Essen, Geschirr und Besteck aus.

Die Kinder waren währenddessen lieber ans Meer zum Spielen gegangen und Lucius hatte, wie auch einige Mütter oder Großmütter, ein Auge auf ihnen behalten. Viele von ihnen konnten nämlich nicht schwimmen und man wollte ja nicht, dass noch eines von der Strömung mitgerissen wurde und ertrank.

Außerdem schauten viele von ihnen mit mehr oder minder besorgtem Blick auf die dunklen Wolken, die sich am Horizont auftürmten. Sie grollten immer noch, aber wesentlich leiser und man konnte nur selten einen Blitz sehen. Das ließ die meisten Sklaven ein wenig aufatmen. Dennoch war Lucius der Anblick nicht geheuer, denn er glaubte gut zu wissen, dass schon wieder Streit auf dem Olymp ausgebrochen war. Und am Ende traf ihn vielleicht doch noch ein Blitz, zutrauen würde er es Jupiter, falls der ihn beseitigen wollte. Wenn ja, dann wollte er wenigstens so vorbereitet darauf sein, wie man eben vorbereitet sein könnte.

Seine Eltern hatten sich ins Haus begeben. Lucius hatte Corvus aufgetragen, sich um sie zu kümmern, also ihnen ihre Zimmer zuzuweisen und gegebenenfalls mit anderen Sklaven ihren Befehlen zu folgen, falls sie sich mit ihren paar mitgebrachten Möbeln noch anders einrichten wollten.

Die Kinder waren noch da, sie hatten anstandsmäßig ihre Großeltern begrüßt. Dann waren sie wieder in ihre Zimmer verschwunden, um möglichst schnell ihre Sachen für den Besuch bei Antonius fertig zu packen. Lucius Vater war das egal gewesen, seine Mutter war ein wenig enttäuscht, sagte aber nichts.

Den Kindern tat es auch leid, hatten sie behauptet, aber da ihr Großvater ohnehin nur jedes Mal etwas an ihnen auszusetzen hatte, sei es unterschwellig oder ganz offensichtlich, hatten sie keine große Lust so lange mit ihm auf einem Raum zu hocken. Vor allem die Zwillinge litten darunter, da sie Gaius' Meinung nach viel zu viele Freiheiten besaßen. Er kritisierte sie häufig, vor allem den Fakt, dass sie noch nicht verheiratet waren. Danach ging er meistens zu Lucius über, der die Mädchen dann nicht gut genug erzogen hatte und daran schuld war, dass er niemanden für sie fand.

Keiner traute sich dem zu widersprechen, obwohl fast alle wussten, dass die beiden Schönheiten trotz ihres Alters sehr begehrt waren. Doch ihre germanische Mentalität schien genau hier durchzuschlagen und sie schossen alle Verehrer in den Wind. Als Lucius sie einmal darauf angesprochen hatte, hatten sie sich für die Schwierigkeiten, die sie ihm machten, entschuldigt, aber keiner der Männer war auch nur freundlich und ehrlich gewesen. Darauf konnten sie verzichten.

Lucius verübelte es ihnen nicht. Er kannte schließlich die römische Oberschicht und deren Verhalten. Lucia hätte es nicht gewagt, ihm zu widersprechen, wenn er einen Heiratswunsch geäußert hätte, sie hatte eine durch und durch römische Erziehung genossen, doch Siofra und Frija hatten, trotz der eigentlich kurzen Zeit in Germanien, ein ganz anderes Temperament als sie, wenn es um ihren Willen ging. Und wenn Lucius ehrlich war, wollte er sich damit nicht anlegen.

So waren die beiden noch nicht verheiratet und würden es vielleicht auch nie sein. Dafür bemühten sie sich immer, irgendwo zu helfen oder Geld zu verdienen, um Lucius nicht zu sehr mit ihrer Anwesenheit zu belasten. Auch wenn es ja eigentlich kein Problem darstellte, wollten sie wenigstens ein wenig Geld für sich verdienen, sodass ihr Vater nicht vollständig verantwortlich für sie sein musste. Denn wenn sie heiraten würden, würden sie ihrem Vater nicht mehr ins Geld fallen, sie versuchten irgendwie einen Ausgleich zu schaffen.

Manchmal halfen sie im Haushalt und kochten etwas oder waren im Garten beschäftigt. Dort suchten sie die verwelkten Blüten heraus und schnitten sie ab. Sie hätten auch durchaus schwerere Arbeit gemacht, aber als sie einmal die schweren Vorhänge abhängen wollten, um sie zu waschen, hatten sich gleich alle Sklaven Sorgen gemacht, ob sie sich denn keinen Muskel gezerrt hatten oder vielleicht vom Stuhl gefallen waren. Die beiden konnten darüber nur den Kopf schütteln, ließen so etwas dann aber.

Um Geld zu verdienen, hatten sie eine Weile lang in einer Bibliothek in der Stadt ausgeholfen. Dort hatten sie Schriften sortiert und auch an Kunden verkauft. Da sie so hübsch und freundlich waren, wurden sie jedoch häufiger mal von Männern angegraben, irgendwann kamen sie tatsächlich nur noch dafür und nicht für die Schriften, weil sich die Anwesenheit der Mädchen herumgesprochen hatte. Meistens schlugen die beiden zurück, indem sie den Männern dann Schriften andrehten, die sie eigentlich nicht haben wollten, aber auf Dauer war es ihnen dann doch zu anstrengend gewesen.

Lächelnd in diese Erinnerungen versunken kehrte Lucius am Abend in sein Zimmer zurück. Die Sklaven hatten ihr Lager schnell aufgeschlagen und nun übernachtete der Großteil am Strand, vor allem für die Kinder der Sklaven war es besonders aufregend, das erste Mal richtig draußen zu schlafen, und die Älteren beider Haushalte waren in der Schlafkammer. Lucius' Kinder waren am Nachmittag abgereist, der Fahrer von Antonius hatte sie abgeholt.

Lucius musste morgen auch noch dringend nach Rom, denn in zwei Tagen fingen die Neronia an, was man auch schon vom Stadtbild her merkte, denn sie war deutlich voller und auch bunter, da er den Auftrag gegeben hatte, Girlanden aufzuhängen und auch einige der Bürger hatten sich angeschlossen und ließen ihre bunten Tücher, manchmal auch Kleider, aus den Fenstern der Insulae* hängen. Also musste Lucius ebenfalls hin, um den Künstlern unter anderem Bescheid zu geben, wann sie wo sein sollten, er musste kontrollieren, ob die Eröffnungsfeier so stattfinden konnte, wie geplant, man wusste ja nie, was manchmal für Unglücke geschahen. Und sei es nur, dass die Tauben für den Beginn ausgeflogen waren, dann musste er nun mal noch schnell neue besorgen lassen.

Lucius gab am Strand die letzten Befehle an die Sklaven. „Hier muss noch ein Zelt aufgebaut werden! Da drüben ist noch Platz für ein paar Lager, dort, links von dem kleinen Feuer!" Es war bereits dunkel und der Strand wurde von kleinen Lagerfeuern, um die jeweils Zelte und Schlaflager über den Tag errichtet worden waren, erhellt. Von der kleinen Erhöhung aus, die aus den vielen Felsen, die überall lagen, bestand, sah es wirklich hübsch aus, überall diese kleinen Lichter, Menschen, die langsam zur Ruhe kamen und ihr Abendessen einnahmen.

Doch Lucius, der endlich mit allem fertig war, nachdem sich alle Sklaven organisiert hatten, konnte den Anblick nicht wirklich genießen. Er war den ganzen Tag besorgt gewesen, je mehr er nachgedacht hatte, je mehr Blicke er zu den dunklen Wolken geworfen hatte, desto schlimmer war es geworden. Ihm war schlecht und das bisschen von der Cena, das er gegessen hatte, hatte er nur schwer bei sich behalten können. Vor einigen Stunden hätte er so etwas noch als unvorstellbar abgestempelt, aber nun, da er sich solche Sorgen machte und zudem keine Ahnung hatte, was dort heute Morgen los gewesen war und dazu auch noch nicht damit rechnete, dass irgendwer außer Apollo ihm über jegliche Vorkommnisse auf dem Olymp berichten würde, hatte er solche Angst. Der plötzliche Knall war ihm am Ende mehr unter die Haut gegangen, als er erwartet hatte. Und als er sich endlich in seine Gemächer begeben konnte, hoffte er so sehr auf die Anwesenheit seines Geliebten.


*Insula: Vielstöckiges Mehrfamilienhaus mit kleinen Wohnungen. Ist in ganz Rom üblich und bildet das klassische Stadtbild der Republik und der Kaiserzeit.

Amor vincit omniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt