8 Kapitel

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Samantha P.o.V.

Langsam drehte ich mich und sah mit großen  Entsetzen wie mein Vater aufwachte. Als er mich sah, blinzelte er ein paar mal, dann lachte er höhnisch auf. "Na du kleine Mistkröte! Bist du auch mal wieder hier?" Ich sah ihn mit großen, panischen Augen an. Wie ein Reh im Scheinwerferlicht stand ich da und war unfähig, auch nur einen Muskel zu bewegen.
Es war ein Fehler hierher zu kommen.
Es war ein Fehler seinem Raum zu betreten.
Es war ein Fehler noch an ihn zu glauben.
Es war ein Fehler stillzustehen.
Alles war ein Fehler und doch tat ich es.

Keine Ahnung wie lange er da schon lag, aber das konnte nicht so lange sein, da er immer noch besoffen zu sein schien. "Dad, ich bin es", sagte ich ruhig. Verzweifelt versuchte ich die aufkommende Panik herunterzuschlucken. Ich zwang meine Lippen zu einem Lächeln und schaute ich flehend an. Er stand wankend auf und kam ein paar Schritte auf mich zu. Ein paar Meter vor mir blieb er stehen. In seinen Augen loderte das pure Böse. Schon seit Jahren versuchte ich meinen alten Vater irgendwo dadrin zu finden, doch der Wahnsinn wurde zunehmend präsenter. "Wie nennst du mich? Dad!? Ich habe keine Tochter", lallte er und legte den Kopf schief, woraufhin er leicht schwankte.
Ok, das tat weh!
"Doch, ich bin's: Samantha", versuchte ich ihn zu erinnern. "Deine Tochter!" Eine Träne rollte über meine Wange. Wenn er sich nicht einmal mehr an mich erinnern wollte, hatte ich niemanden mehr. Dann hätte ich nicht einmal mehr einen wahnsinnigen Vater. Ich wäre dann alleine. "Wenn ich eine Tochter hätte, dann nicht so eine Heulsuse wie du es bist! Ich habe einen Sohn. Einen starken Sohn, welcher es im Leben weit bringen wird. Und keine Flenntochter", schrie er jetzt.  Wie so oft war er innerhalb von wenigen Sekunden auf hundertachtzig und ließ sich oft von diesen Emotionen leiten. In solchen Situationen war ich im ausgeliefert. Jedes Wort war falsch, genau wie jede Bewegung. Sein Arm begann zu zucken und bevor ich mich versah, holte er aus. Ich könnte ausweichen, aus dem Zimmer rennen und abhauen. Doch ich war wie erstarrt. Wieder einmal konnte ich an nichts anderes denken, als dass das alles nur ein schlechter Traum sei. Ich kniff die Augen zusammen und schluchzte auf. Er schaffte es jedes Mal wieder, mich zu verletzen. Physisch und Psychisch.

Wie in Zeitlupe bekam ich mit, wie mein Vater mir eine Ohrfeige verpasste. Es knallte, ein heftiger Schmerz durchfuhr mich, dann lachte mein Vater. "Du weinst ja gar nicht? War dir das etwa zu sanft?" Wie gerne hätte ich jetzt was erwidert, doch meine Zunge war gelähmt. Mich durchfuhr der tückische Gedanke, dass ich nur einmal in meinem Leben den Stolz meines Vaters haben wollte.
Nicht weinen, bloß nicht weinen. Weinen ist etwas für Feiglinge.
Ich bohrte meine Fingernägel in meine Handfläche und versuchte mich von dem Schmerz in meiner Wange abzulenken.  Vielleicht würde er meine Tapferkeit anerkennen und irgendwann mal Stolz auf mich sein. Vielleicht würde er irgendwann wieder der liebende Vater aus meiner Kindheit sein. Vielleicht.
Lauf, hau endlich ab du Feigling!
Doch ich konnte mich einfach nicht bewegen. Die Kopfschmerzen, die ich eh schon vom Feiern hatte, wurden gerade um einiges schlimmer. Meine Muskeln waren wie erstarrt. Mit hektischem Atem beobachtete ich den keuchenden Mann vor mir. Seine Alkoholfahne drang zu mir rüber und ließ mich würgen.
Ich hasse ihn, ich hasse ihn!
Es war ja nichts neues, dass er mich schlug, und trotzdem tat es jedes Mal mehr weh. Jeder Schlag beseitigte meine Hoffnung an meinen normalen Vater und vertrieb somit die positiven Gedanken an die Vergangenheit. Gerade holte er wieder aus und rammte mir seine Faust ins Gesicht. Ich war für ihn sowas wie für normale Menschen ein Boxsack; er ließ an mir seinen Frust aus. Aus den Jahren der Schläge wusste ich, dass er mit zunehmenden Alter meinerseits, immer mehr meine Mutter in mir sah. Je nach Tagesform war dies schlecht oder sehr schlecht. Ich krümmte mich und hustete heftig, Blut ran an meinem Kinn runter. Verstört fasste ich mir an die aufgeplatzte Lippe. "Vater, lass mich bitte gehen", murmelte ich, doch ich kriegte als Antwort nur einen Schlag in den Magen. Er hasste Worte. Stöhnend ging ich zu Boden und rollte mich zusammen. Ich wusste, er würde jetzt wieder zuschlagen. Ich wusste, er würde mich jetzt treten. Vielleicht würde er mich auch wieder sexuell ausnutzen. Es würde alles machen, nur damit ich litt. Leider glaubte ich, dass er mein Leiden gar nicht wahrnahm. Er wollte lediglich seinen Frust ablassen und das tat er.

Doch heute kam nichts. Blinzelnd sah ich hoch und sah wie mein Vater torkelnd zu seinem Bett ging und sich auf dieses fallen ließ. Anscheinend hatte er heute einiges mehr gesoffen als sonst. Normalerweise kam er nach den ersten Schlägen erst recht in Fahrt, doch heute schien sein Akku leer zusein. "Hau einfach ab, du Miststück", lallte er noch, dann schlief er tief und fest. Das musste er mir nicht zweimal sein. Hastig erhob ich mich und wankte raus. Mein Kopf fühlte sich an, als ob er jeden Moment platzen würde und mein Magen, naja sagen wir es so: hätte ich was gegessen. würde ich jetzt kotzend irgendwo hängen, so schlecht war mir.
Erbärmlich.
Wie von Sinnen ging ich aus dem Haus raus und lief mit gesenktem Kopf durch die Straßen. Ich wollte einfach möglichst weit weg von diesen Mann. Je größer der Abstand zwischen uns, desto besser war es. Kein Mensch war zusehen. Wahrscheinlich, weil die meisten noch im Bett lagen und schliefen, was jeder normale Mensch an einem Samstagmorgen machen sollte. Ziellos ging ich durch den Park. Die warme Sommerluft umhüllte mich, doch selbst sie schaffte es nicht meine Schmerzen zu vertreiben. Plötzlich krampfte sich mein Magen zusammen. Ich brach zusammen und würgte. Das einzige, was ich schmeckte, war Galle. Krampfartig zuckte ich zusammen.
Erbärmliches Kind.
Mit jedem Würgen kam mehr Galle hervor und tropfte über meine kaputten Lippen auf den Boden. Nachdem ich nichts, rein gar nichts, mehr im Magen hatte, stand ich auf. Mir war schlecht und schwindelig. Schwankend ging ich einige Meter weiter. Ich ließ mich auf eine Bank fallen und zog die Knie an. Ich betete mein Kopf vorsichtig auf diese und hoffte, dass die Schmerzen endlich weg gehen würden. Vielleicht würde End,ich mal alles gut werden. Nach einer Weile hörte ich, wie sich jemand näherte und sich neben mich setze. "Alles ok bei dir", fragte eine bekannte Stimme. Gott, der hatte mir gerade noch gefehlt.

I'm not living, I'm just survivingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt