Eins

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„Einmal den Chickenburger mit Pommes Frites und einmal den Quinoa-Brokkoli-Burger mit Süßkartoffelwedges," kündigt die Kellnerin an und stellt die Teller, die mit dem Essen beladen sind, vor meiner Freundin Betty und mir ab.
Ich beäuge ihren Teller skeptisch und stibitze mir einen der Wedges.

„Warum isst du sowas jetzt nochmal freiwillig?" frage ich kauend und verziehe mein Gesicht. „Warum heißt das Kartoffel? Das ist Vortäuschung falscher Tatsachen!" beschwere ich mich.
Betty lacht ihr glockenhelles Lachen und schüttelt den Kopf, dass ihre roten Locken hin und her fliegen. „Weil es lecker ist. Und gesund. Und im Gegensatz zu dir muss ich heute Nacht kein schlechtes Gewissen haben, weil wegen mir ein armes Hühnchen getötet wurde," antwortet sie.
„Nur zu deiner Information," flüstere ich geheimnisvoll und nehme meinen saftigen Burger in beide Hände. „Das Huhn war schon tot, bevor wir diesen Laden betreten haben. Ich habe seinem
Tod mit meiner Bestellung zumindest einen Sinn gegeben."

Herzhaft beiße ich in das Brötchen mit dem Fleisch und rolle genussvoll meine Augen. Betty kichert und schüttelt erneut den Kopf.
„Diese Diskussion werden wir jetzt nicht wieder führen, Jaz," lacht sie und beißt selbst in ihren Burger. „Du isst deins und ich meins," nuschelt sie mit vollem Mund.

Mit vollem Bauch und vollkommen gesättigt lehne ich mich zurück und seufze. Das Joe's ist mittlerweile bis auf den letzten Tisch gefüllt und es klingt wie in einem Bienenstock. Freitagabend ist es immer so voll, aber seit Betty am Empfang einer Werbeagentur arbeitet und ich endlich meinen eigenen Friseursalon eröffnet habe, finden wir nicht mehr so viel Zeit wie früher für unsere gemeinsamen Treffen.

„Also, Cookie," beginne ich. „Was macht die Liebe?"
Betty und ich kennen uns seit der Grundschule und waren schon immer unzertrennlich. Ich bin wie der große Bruder, den sie nie hatte. Doch, sie hat einen, aber Gil ist ein arrogantes Arschloch und lebt jetzt zum Glück in Paris. Ich bin also der große Bruder, den sie sich immer gewünscht hat. Ihre Mutter Elsa liebt mich wie ihr eigenes Kind und ich habe in meiner Jugend vermutlich mehr Zeit bei den Dohertys verbracht als in meinem eigenen Haus.

Betty rollt theatralisch mit den Augen und winkt ab. „Vergiss es, Jaz. Eine Katastrophe jagt die Nächste. Und selbst?"
Ich lache leise. „Nun, sagen wir es mal so. Mein Date mit Corin lief anders als geplant."
„Wie meinst du das? Habt ihr nicht letztes Mal schon im Auto rumgemacht und du hast ihn nur vertröstet, weil du mir versprochen hattest, nicht gleich am ersten Abend mit ihm ins Bett zu gehen?" fragt mich meine beste Freundin verblüfft.
„Das ist so vollkommen richtig, liebste Miss Doherty," antworte ich. „Und ich werde dir für immer dankbar dafür sein."
„Warum?"
„Er wohnt noch bei seiner Mutter."
„Oh, okay," überlegt mein liebster Rotschopf. „Das tue ich auch. Weil es günstiger ist und sie kocht super."
„Im Keller."
Ihre Augen werden größer.
„Mit Star Wars Postern."
Betty verkneift sich ein Grinsen.
„Und Bettwäsche mit Darth Vader."
Das Grinsen kommt trotz Verkneifen durch.
„Er hat einen Wecker in Form von Darth Vaders Helm. Und seine Nachttischlampe ist ein Laserschwert," erkläre ich sachlich.

Bettys Grinsen ist nun ein lautes Prusten und auch ich lache, obwohl mir eher nach Heulen ist.
„Das tut mir wirklich leid, Jaz," lacht sie.
„Tut es nicht. Es amüsiert dich," antworte ich beleidigt.
„Ein bisschen vielleicht. Aber ich würde dir auch mal wieder eine heiße Nacht wünschen."
Ich stütze mein Kinn auf meine Hand und seufze. „Ich mir auch."
Wenn ich noch einmal das Wort Follower oder Like höre, nehme ich diese Gabel und ramme sie mir in meine Hand.

„Was hast du gesagt?" frage ich Betty.
Sie schüttelt den Kopf. „Nichts. Aber ich gehe mal meine Rhabarberschorle wegbringen," erklärt sie mit einem Zwinkern und steht auf, um zur Toilette zu gehen. Verwirrt drehe ich mich um und versuche, herauszufinden, wer eben gesprochen hat. Alle Tische um uns herum sind besetzt, aber ich kann immer nur einzelne Gesprächsfetzen wahrnehmen.
Dieses Doppeldate werde ich dir nie verzeihen, Alter. Sobald wir hier raus sind, kriegst du den Anschiss deines Lebens.

Wer zum Teufel ist das? Erneut sehe ich mich um, doch sehe niemanden in meiner unmittelbaren Nähe, der das eben gesagt haben könnte. Drehe ich langsam durch?
Ich sehe Betty von der Toilette wiederkommen und atme erleichtert auf. Gerade geht sie an einem Tisch vorbei, an dem vier Personen sitzen, von denen die beiden blonden Frauen sich angeregt miteinander unterhalten. Einer der Männer schaut extrem gelangweilt, während der andere zumindest den Anschein vermittelt, der Unterhaltung der Frauen zu folgen.

Ein Kellner kommt Betty entgegen und sie weicht ihm lächelnd aus, verliert dabei jedoch das Gleichgewicht und fällt direkt auf den Schoß des aufmerksamen Zuhörers am Tisch. Ich muss lachen, denn sowas kann nur meiner besten Freundin passieren.
Alle am Tisch starren sie an, der Kellner entschuldigt sich überschwänglich und die beiden Frauen beäugen Betty überaus misstrauisch. Die Blondine neben dem Typen, auf dessen Schoß Betty sitzt, legt sofort ihre Hand auf seinen Arm, um zu signalisieren, dass er ihr gehört.
Zum Glück halten sie zumindest mal für eine Sekunde ihre Klappe.

Ich zucke erneut zusammen. Wer ist das? Ich beobachte, wie Betty den Typen unter sich charmant anlächelt und ohne sein Gesicht gesehen zu haben, erkenne ich an ihrem Ausdruck, dass er ihr gefällt. Sie steht langsam auf und ist sichtlich verlegen und auch seine Hand hält ihre etwas länger als es in dieser Situation vermutlich erforderlich wäre.

Als Betty sich wieder mir gegenüber setzt, ist ihr Gesicht fast so rot wie ihre Haare und ich grinse breit.
„Was war das denn für ein Auftritt?" frage ich lachend.
„Hör auf, Jaz," zischt sie. „Das war voll peinlich!"
„Oh, das siehst nur du so. Die Alte neben ihm ging direkt auf bitch mode als sie dich gesehen hat," grinse ich.
„Können wir dann?" versucht sie abzulenken.
„Hast du mal in deine Taschen gefasst? Vielleicht hat er dir seine Nummer zugesteckt," stichele ich weiter und sie haut mir auf den Oberarm, während ich sie auslache.

Als ich hinter sie blicke, sehe ich, dass der blonde Typ, auf dessen Schoß sie bis eben noch saß, sich zu uns umdreht. Die blonden Schnepfen sind gerade offenbar in guter Manier zu zweit auf dem Klo verschwunden. Als er mich sieht und unsere Blicke sich treffen, sieht er enttäuscht aus und dreht sich zurück zu seinem mürrischen Kumpel.
„Hmm," mache ich.
„Was ist hmm?" fragt Betty.
„Guck lieber doch mal nach, ob du nicht seine Nummer irgendwo hast."
„Jasper!"
„Sorry," sage ich und hebe entschuldigend meine Hände. „Aber so wie er gerade hierher geschaut hat, könnte ich mir vorstellen, dass er mehr auf Ginger als auf blond steht."
„Jetzt werd nicht albern."
Ich zucke nur mit den Schultern und bezahle die Rechnung.

Als wir zum Ausgang gehen, vermeidet Betty es natürlich, in die Richtung des Tisches zu sehen. Ich hingegen starre den Blonden an, der uns interessiert hinterherschaut und die Tussis neben sich überhaupt nicht beachtet. Erst als ich ihm zuzwinkere, dreht er sich mit einem grimmigen Blick weg.

Stimmengewirr | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt