Sechzig

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„Au!", jammerte ich, als die Friseurin mit der Haarnadel in meine Kopfhaut stach.

„Entschuldigung.", nuschelte sie, wandte den Blick aber nicht von meinen Haaren ab. Ungeduldig saß ich auf meinem Stuhl und wippte nervös mit den Beinen. Sie brauchte wirklich lange für diese Frisur und sie hatte mir nicht erlaubt, zwischendurch in den Spiegel zu sehen, weshalb ich ehrlich gesagt etwas nervös war, was sie da mit meinen Haaren anstellte. Ich hatte anfangs zu ihr gesagt, dass ich noch keine genauen Vorstellungen von einer Frisur habe, weshalb sie nur meinte „Okay, dann probier ich mal etwas aus und du lässt dich überraschen.". Jetzt bereute ich es allerdings, dass ich zugestimmt habe, denn so eine Fünfzigerjahre Rockabilly-Frisur wie sie wollte ich definitiv nicht haben. Sie hatte ihre schwarzen Haare stark toupiert und mit einem knallroten Haarband nach hinten gebunden, abgesehen von einer dicken Strähne, die sie über ihre Stirn zu einer Locke geformt hatte. Wobei so eine Frisur mit meinen schulterlangen Haaren eh nicht gehen würde, dafür waren sie viel zu kurz, ich bekam sie ja noch nicht einmal alle zusammen in einen Zopf. Die Friseurin drückte mir ein Gesichtsschutz in die Hand und begann eine Haarsprayflasche zu schütteln. „Ähm... ich denke, ich brauch kein Haarspray.". Ich wollte ihr den Schutz zurück geben, doch sie schüttelte energisch den Kopf, sodass die schwarze Locke über ihrer Stirn wild hin und her wackelte. Oh Gott, bitte lass mich nicht auch so aussehen... „Ohne Haarspray hält es nicht. Glaub mir, für meine Frisur hab ich auch fast eine ganze Flasche gebraucht.". Ich lächelte gezwungen und hielt mir schließlich doch das Schild vors Gesicht, während sie anfing, meine Haare einzusprühen. Ich war kein großer Fan von Haarspray. Die Haare wurden davon immer so fest und klebrig. Aber der Friseurin war das ganz offensichtlich egal. „Ach, wundervoll.", schwärmte sie, als sie die Flasche wieder abstellte. „Wirklich, ganz entzückend.".

Na hoffentlich nicht so entzückend wie ihre Frisur.

Ich warf einen Blick zu Mom, die etwas weiter weg in einem Sessel saß und eine Zeitschrift las. Eigentlich wollte ich gar nicht extra zu einem Friseur, ich fand das ziemlich übertrieben für einen Abschlussball, aber Mom hatte darauf bestanden und mich hier her gefahren. Ich hatte das Gefühl, sie war aufgeregter als ich, immerhin sprach sie seit einer Woche nur noch vom Ball. Und heute Abend war es nun endlich soweit. Wir bekommen unsere Zeugnisse und haben dann ganz offiziell unseren Abschluss.

„Absolut perfekt.", schwärmte die Friseurin, machte eine Geste wie ein Fünfsternekoch nach dem Abschmecken einer Suppe und drehte meinen Stuhl dann so, dass ich mich im Spiegel sehen konnte.

Halleluja, keine Rockabilly-Frisur. Nun blickte endlich auch Mom von ihrer Zeitschrift hoch, sah zu mir und pfiff: „Wow, nicht schlecht.".

Da hatte sie recht. Es war wirklich nicht schlecht. Die Friseurin hatte meine vorderen Haare nach hinten geflochten und mit glitzernden Spangen befestigt. Die restlichen Haare fielen in leichten Wellen über meinen Rücken. Es war festlich, aber trotzdem recht schlicht und nicht so übertrieben, wie ich befürchtet hatte.

„Gefällt es dir?", fragte die Friseurin und sah mich stolz an.

Ich nickte: „Ja, es ist wunderschön. Danke.".

„Gern geschehen. Dann wünsche ich dir einen wundervollen Abend.", sie tätschelte meine Schulter und ging dann zur Kasse, wo meine Mom bezahlte und dann mit mir zusammen mit dem Auto wieder nach Hause fuhr.

Es war inzwischen dreizehn Uhr und so langsam mussten wir uns beeilen, denn fünfzehn Uhr mussten wir beim Ball sein. Eigentlich wollte Mom auch noch, dass ich nach dem Friseur zur Kosmetik gehe, um geschminkt zu werden, aber wenigstens das konnte ich ihr ausreden. Ich konnte mich selber schminken, außerdem wollte ich kein übertriebenes Full-Face-MakeUp. Okay, zugegeben, das konnte ich auch gar nicht, denn ich bin echt nicht besonders gut im Schminken. Aber am Ende war ich vollkommen zufrieden mit dem Ergebnis und als ich dann auch noch das wunderschöne Kleid anzog und die Kette mit dem Sonnenanhänger anlegte, die ich von Zayn bekommen habe, fühlte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben wie eine Prinzessin. Ich weiß nicht, wie lange ich vor dem Spiegel stand und mich immer wieder im Kreis drehte, aber ich zuckte heftig zusammen, als es an der Haustür klingelte. Zayn. Warum war ich plötzlich so nervös? Das bin ich doch sonst nicht. Es musste an diesem Kleid liegen. Und an der Frisur und der Schminke. So hat er mich noch nie gesehen. Was ist, wenn er es übertrieben fand? Oder untertrieben, denn ich wusste genau, dass sich viele unserer Mitschülerinnen viel mehr herausgeputzt haben. Ich hörte, wie mein Dad die Tür aufmachte und Zayn begrüßte. Nervös lief ich ins Bad und wusch meine Hände, die auf einmal ganz schwitzig waren. Oh Mannomann, was ist denn jetzt nur los mit mir? Es klopfte an der Badezimmertür und Mom kam herein. „Oh, Schatz, du siehst bezaubernd aus.".

SunriseWhere stories live. Discover now