Achtunddreißig

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„Ach, Samira.". Ich zuckte zusammen, als hinter mit eine Stimme ertönte und hätte fast geschrien, als ich mich umdrehte und die Großmutter sah. In ihrem weißen, bodenlangen Nachthemd und der weißen Haube auf dem Kopf sah sie aus, wie ein Geist.

„Warum weinst du denn, Samira?". Erst jetzt bemerkte ich, dass sie recht hatte und dass mir Tränen die Wangen runter liefen. Na ganz toll. Ich übernachte das erste Mal bei meinem Freund und sitze mitten in der Nacht heulend auf der Treppe und belausche seine Eltern. Wirklich, ganz toll. Außerdem fragte ich mich, wie viele Namen die Großmutter noch für mich hatte. Sodelia, Sonja, Sofia, Samira.

„Stefan! Jetzt stell den Rum weg, du hattest wirklich genug!", hörte ich Melanie rufen.

„Jetzt bekommt er auch noch ein Alkoholproblem, genau wie sein Vater.", grummelte die Großmutter nicht gerade leise. Ich sprang auf und legte den Finger auf meine Lippen: „Pssst! Nicht so laut!".

Sie fing an zu kichern. Warum zum Teufel kicherte sie denn jetzt? Ich hätte vermutlich einfach schnell in Zayns Zimmer rennen sollen, doch stattdessen, hielt ich der Großmutter den Mund zu, was sie irgendwie nur noch mehr zum Kichern brachte.

Hinter uns ging eine Tür auf und Zac trat zu uns. Er sah verwirrt in mein verheultes Gesicht, dann auf seine Großmutter und auf meine Hand, die noch immer auf ihrem Mund lag. Ähm, ja... Zugegeben, das war sicherlich ein schräger Anblick.

„Ich glaub, ich träume. Was macht ihr beide-", murmelte er, hielt jedoch inne, als er seinen Vater von unten schreien hörte. „Und hast du mal seinen Arm angesehen? Er hat sich allen Ernstes ein Tattoo stechen lassen! Ist dir klar, dass das seine Chancen, einen vernünftigen Job zu finden, enorm verschlechtert?".

„Aber es ist doch nicht auf der Stirn, sondern nur auf dem Arm! Damit kann man sehr wohl einen guten Job finden, Stefan! Heutzutage hat doch fast jeder ein Tattoo.".

„Noch! Noch, Melanie! Das ist nur der Anfang! Aber siehst du, was ich meine?! Er verbaut sich seine Zukunft! Und schuld daran ist dieses verdammte Mädchen!".

„Ach, Sol...", flüsterte Zac leise und sah mich mitfühlend an.

„Ich wette, sie hat ihn dazu gezwungen!", rief Mister Walthers aufgebracht „Und Zayn benimmt sich wie ein dummer Esel und macht alles, was sie will.".

„Komm mit, Granny.", Zac nahm meine Hand von ihrem Mund und schob seine Großmutter zurück in das Gästezimmer. „Du musst wieder ins Bett.".

„Du bist so ein guter Junge, Zac-Schatz.", sie tätschelte ihrem Enkel die Wange und drehte sich zu mir um „Gute Nacht, Samantha!".

„Gute Nacht.", murmelte ich und ignorierte es, dass sie mich schon wieder mit einem neuen Namen ansprach. Es war mir egal. Sie mochte mich wenigstens.

„Dieses Mädchen ruiniert ihn. Und uns. Unsere Familie kann jemanden wie sie nicht gebrauchen.".

Das reicht. Ich hätte das alles nicht hören sollen. Ich ließ das Treppengeländer los und lief zurück zu Zayns Zimmer, da trat Zac wieder raus in den Flur und hielt mich am Arm fest: „Hey, Sol. Es... tut mir leid, was mein Vater gesagt hat. Geht es dir gut?".

Ich zuckte mit den Schultern: „Ja, alles okay. Ich bin selber schuld, ich hätte nicht lauschen sollen. Das war nicht für meine Ohren bestimmt.".

„Mein Vater meint das nicht so, er ist nur...", er hielt inne und schien nach den richtigen Worten zu suchen. Beziehungsweise nach einer geeigneten Ausrede. Aber ich hob abwehrend die Hände, ehe er sich irgendetwas ausdenken konnte: „Nein, ist schon okay. Du musst ihn nicht rechtfertigen. Er kann mich nicht ausstehen und das kann ich nicht ändern. Das ist okay für mich, es ist nur gemein, dass...".

„Was ist gemein?", fragte er, als ich meinen Satz nicht weitersprach.

Ich seufzte: „Es ist gemein, dass er Zayn noch mehr runter macht, nur weil er mit mir zusammen ist.".

„So darfst du das nicht sehen, Sol. Er...", Zac hielt inne, als sich Schritte von unten näherten. Schnell packte er mich am Arm und zog mich in sein Zimmer, welches direkt neben Zayns lag. Er schloss die Tür hinter uns und meine Augen benötigten einige Sekunden, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Hier war es viel dunkler, draußen im Flur vor der Treppe schien das Licht von unten bis nach oben.

Zac legte den Finger auf die Lippen: „Pssst. Sie dürfen nicht wissen, dass wir sie belauscht haben, sonst flippt mein Vater aus.".

Ich nickte und ging ein Schritt weg von der Tür. Die Schritte kamen näher. Wenn seine Eltern in sein Zimmer kommen würden und mich bei Zac finden, dann müssten wir ihnen einiges erklären.

Ich sah Zac panisch an. Die Schritte waren jetzt oben auf der Treppe. Für einige Sekunden regte sich nichts, dann hörten wir, wie jemand direkt vor Zacs Zimmertür stand.

Zac packte meinen Arm und zog mich in sein Bett. Ich versteckte mich unter der Decke, während er sich neben mich legte und sich schlafend stellte. Wenns seine Eltern nur kurz zur Tür rein sehen würden ohne das Licht anzumachen, würden sie mich nicht entdecken. Ich hoffe nur, dass ihnen nicht auffällt, dass ich nicht bei Zayn im Zimmer bin. Ich ärgerte mich, dass mich Zac in sein Zimmer gezogen hat. Ich hätte mich einfach bei Zayn verstecken sollen. Aber hätte Zac mich nicht gepackt, dann würde ich vermutlich immer noch wie versteinert im Flur stehen und entdeckt werden. Also sollte ich mich glücklich schätzen, auch wenn es mir gerade sehr, sehr unangenehm war mit dem Zwillingsbruder meines Freundes in einem Bett zu liegen.

Ich hörte, wie die Tür aufging und hielt die Luft an. Jemand machte einen Schritt in das Zimmer. Plötzlich hörte ich Zac erleichtert aufatmen. „Ach Zayn, du bist es nur.". 

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