Dreizehn

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Die Beerdigung war sehr traurig. Na gut, wäre sie nicht traurig gewesen, wäre es wohl eine wirklich schlechte Beerdigung. Es wurde viel geweint und getröstet. Aber niemand fragte mich oder Zayn, wer wir waren. Vermutlich war das die geringste Sorge von Connors Angehörigen. Connor tat mir leid, dass er so früh gehen musste. Aber seine Familie tat mir noch mehr leid. Ich glaube, sein Kind zu verlieren, ist schlimmer, als der eigene Tod. Wenn das Kind stirbt, stirbt man selbst tausend Tode. Ich kann und will mir gar nicht vorstellen, wie schlimm die nächste Zeit für Connors Eltern und seine kleinen Brüder sein muss. Und obwohl ich es nicht wollte, musste ich mir augenblicklich ausmalen, was wäre, wenn ich an Connors Stelle liegen würde. Ich fragte mich, wer alles kommen würde. Meine Eltern, Grayson und Julie. Meine Großeltern. Kayla. Zayn. Sicherlich auch meine Tanten und Onkels. Meine Cousins. Vielleicht noch Freunde aus der Schule oder aus dem Tanzverein? Die Leute aus der Selbsthilfegruppe?

Bei Connors Beerdigung waren sogar einige Ärzte aus dem Krankenhaus da. Ich stellte mir vor, was so ein Beruf mit einem machte. Ärzte sehen jeden Tag Menschen sterben. Auch Kinder. Aber sie retten auch Menschenleben. Vermutlich ist es das, was sie davon abhält, zu verzweifeln. Sie sehen Menschen sterben und sie sehen Menschen leben.

In letzter Zeit habe ich sehr oft über Gott nachgedacht. Meine Familie ist nicht religiös. Wir sind Atheisten, ich habe mich nie viel mit irgendwelchen Religionen beschäftigt. Aber irgendwo in mir drin war der Glaube, vielleicht auch nur die Hoffnung, dass es irgendwo eine Kraft gibt, die uns lenkt und die all dem hier einen Sinn gibt. Aber jetzt stehe ich vor dem Spiegel des Krankenhaus-Badezimmers und starre meine immer dünner werdenden Haare an. Sie fallen aus. Immer mehr. Morgens ist mein Kopfkissen voll mit Strähnen. Ich traue mich kaum, meine Haare zu bürsten, aus Angst, immer mehr zu verlieren. Wenn es einen Gott gibt, der über unser Leben bestimmt, wieso wollte er dann, dass ich Krebs habe? Ich war kein schlechter Mensch. Ich wüsste nicht, womit ich das verdient habe. Gut, einmal wollten Grayson und ich Julie auf einem Flohmarkt verkaufen, als sie zwei Jahre alt war, aber wir haben sie schließlich doch wieder mit nach Hause genommen. Sind wir deswegen gleich schlechte Menschen? Ich habe viel darüber nachgelesen. Über Gott und Krebs. Ich habe immerhin sehr viel Zeit und sehr viel Langeweile, seit ich im Krankenhaus bin. Zayn meinte zu mir, dass man nie nach dem Grund fragen sollte. „Der Krebs sucht sich die Personen nicht aus. Es ist wie ein... Lostopf. Er zieht einfach einen Namen." Vielleicht hatte er recht. Ganz bestimmt sogar. Aber irgendwie brauchte ich eine Antwort. Warum ich? Ich bin mir sicher, dass ich nicht die einzige Krebspatientin bin, die sich diese Frage stellt. Es ist einfach, an einen Gott zu glauben, wenn man gesund ist und ein gutes und glückliches Leben führt. Aber wie soll man an einen Gott glauben, wenn man an Krebs erkrankt ist? Ich gebe niemanden die Schuld für meine Krankheit. Ich würde gerne. Ich würde gerne eine Person haben, der ich die Schuld zuschieben und hassen kann. Dann hätte ich eine Antwort auf die Frage, warum ich Krebs habe. Aber niemand trägt die Schuld. Absolut niemand. Und deshalb lautet die Antwort auf die Frage, warum ich Krebs habe, dass es keinen Grund gibt. Gar keinen. Und das machte mich verrückt.

Ich wischte mir hastig die Tränen aus dem Gesicht, als Anna ins Bad kam. Ich hasste es, vor jemanden zu weinen.

„Alles okay?", fragte sie vorsichtig.

Ich nickte: „Ja, alles super.

„Du... solltest sie vielleicht abrasieren.".

Ich sah sie geschockt an: „Was? Nein. Auf keinen Fall.".

„Es ist doch aber schlimmer, wenn du siehst, wie sie Tag für Tag alleine rausfallen.".

„Ich habe die Hoffnung, dass sie irgendwann aufhören, auszufallen. Die Chemo ist seit letzter Woche zu Ende, ich hab morgen einen Termin beim Arzt. Er sagt mir, ob die Therapie wirkt hat, oder ob ich einen weiterer Chemozyklus brauche. Aber wenn ich keinen brauche, dann kann es doch sein, dass sie aufhören auszufallen, oder?".

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