Kapitel 10

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Ich öffne langsam meine Augen. Die Sonne blendet mich leicht, weshalb ich seufze. Meine Füsse berühren den kalten Holzboden, als ich vom Bett aufstehe. Ich hasse Morgen. Es ist immer kalt und um ehrlich zu sein, bin ich am Morgen besonders faul. 

Es ist ungefähr zwei Monate her, seit ich Green Gables das letzte Mal gesehen habe. Ich vermisse es natürlich und diese Arbeit hier ist nur temporär, bis Miss Cuthbert endlich beschliesst, Anne bleiben zu lassen. Ich kann sowieso nicht für immer hier bleiben, John würde irgendwann nach Hause zurückkommen und ich bin nur hier, um das Haus sauber und ordentlich zu halten.

Er ist im Urlaub mit seinem Sohn Gilbert, den ich diesen Sommer getroffen habe. Gilbert mit den wunderschönen schwarzen Haaren. Ich habe noch nie wirklich an einen Jungen gedacht, ausser an Aidan. Es sind nur Gedanken, sonst nichts. 

Ich habe Aidan nie einen Brief zurückgeschickt. Ich habe akzeptiert, dass es für uns überhaupt keine Hoffnung hat. Liebe auf den ersten Blick ist ein Mythos, denke ich. Aidan ist alles, was ein Junge sein könnte, lustig, klug, hübsch und interessant, aber ich sehe keine Zukunft für uns, besonders nicht, wenn ich in Green Gables bleiben werde.

Ich werde zurück gehen. Dazu habe ich mich entschieden, gleich nachdem ich hierher gekommen bin. Anne braucht eine Freundin, und jetzt gebe ich ihr und den Cuthberts bloss den Raum, um Dinge zu klären.

Ich gehe ins Wohnzimmer und laufe an allen Bücherregalen vorbei. In den zwei Monaten, in denen ich hier war, habe ich wahrscheinlich bereits jedes einzelne Buch gelesen. Sie sind interessant und John hat einen guten Geschmack in Büchern. 
Bei einigen geht es sogar um starke, unabhängige Frauen.

Einige der Bücher, hat John sogar selber geschrieben, denke ich. In dem Raum, von dem ich annehme, dass es sein Büro ist, liegen überall Papiere und Bleistifte. Ich fasse nie etwas davon an, ich lese nur etwas davon. Er ist wirklich ein guten Schriftsteller. Seine Vorstellung vom Leben ist herzzerreissend, aber wahr.

Ich öffne die Haustür und gehe nach draussen. Es ist warm, aber es weht trotzdem eine kalte Brise. Typisches Herbstwetter. Ich trage meine schwarzen, unbequemen Schuhe, meine braune Hose und ein einfaches Hemd, während meine langen Haare offen sind.

Dieser Morgen ist etwas Besonderes. Ich gehe zu einem Mädchen namens Diana Barry. Diana und ich haben uns vor nicht allzu langer Zeit kennengelernt. Wir wurden gute Freunde, nachdem sie mir erzählt hatte, dass sie und Anne beste Freunde sind. Da wir beide mit ihr befreundet sind, haben wir etwas gemeinsam, und wir lesen beide gerne. Sie kommt manchmal hierher und erzählt mir von Anne, wie es ihr geht, was los ist, damit ich schliesslich zur richtigen Zeit nach Green Gables zurückkehren kann.

Diana ist ein schönes Mädchen. Ihre Familie ist perfekt, ihr Haus ist perfekt. Ich bin ehrlich gesagt etwas eifersüchtig. Ich wollte immer eine perfekte Familie, die alle anderen haben. Ich denke, dass Anne meine Familie ist. Sie ist nett zu mir und wir sind uns so ähnlich. Ich bin nie einsam, wenn ich mit ihr zusammen bin.

Bunte Blätter knirschen unter meinen Füssen, als ich den Weg entlang gehe, auf dem ich Gilbert getroffen habe. Ich muss durch den Wald gehen, um zu Dianas Haus zu gelangen. Es ist kein langer Weg, vielleicht zehn Minuten, vielleicht etwa weniger. Ich weiss, dass wenn ich zurück nach Green Gables gehe, und es Winter wird, nicht mehr so oft sehe kann. Der Schnee wäre zu hoch, um lange Wege zu machen.

Ich gehe immer gerne im Wald spazieren. Er ist still und friedlich. Hier scheint nichts wichtig zu sein, meine Gedanken spielen keine Rolle und meine Sorgen auch nicht. Hier kommt es nicht darauf an, welche Pflanze wo ist oder wie hoch dieser Baum ist.

Als kleines Mädchen habe ich immer mit meinen Schwestern im Wald gespielt. Wir würden so tun, als wären wir Feen, die Tief im Wald lebten. Wir haben drei Häuschen gebaut und manchmal sogar dort geschlafen. Es hat Spass gemacht. Älter werden ist eigentlich keine lustige Sache. Man muss viel mehr machen, viel mehr arbeiten und man hat mehr Sorgen.

Possibility (Gilbert Blythe Fanfic) German TranlationOn viuen les histories. Descobreix ara