Kapitel 26

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"Es ist wirklich erschütternd", sagt die alte Frau, die im Wohnzimmer vor mir sitzt. Ihr runzliges Gesicht verzieht sich und sie stösst einige Tränen aus.

Sie könnte die Wahrheit sagen, dass dies erschütternd ist, aber ich habe meine Meinung über sie geändert, als ich sie vor einer Stunde belauscht habe, wo sie mit einer jüngeren Dame gesprochen hat.

"Gott, ich wünschte, ich wäre nicht gekommen, sein Haus ist wahrscheinlich voller Krankheitserreger. Ich hoffe ich fange mir nichts ein", hatte die ältere Frau der Dame gesagt, als sie dachte, niemand würde zuhören.

Es gibt so viele falsche Menschen auf dieser Welt, und es macht mich krank, wenn ich sie nur ansehe. Aber wie Marilla mir immer sagt; sei eine Lady!

Es ist, als könnte ich ihre Stimme in meinem Kopf hören.

"Er war ein grossartige Mann, Harriet", sagt die junge Frau und tröstet Harriet.

"Ja, das war er", sage ich leise, nehme meine Teetasse und halte sie mir an die Lippen.

"Und wie, ähm..."

"Aurora", sage ich und trinke meinen Tee.

"Woher hast du Aurora, ihn gekannt?" Fragt Harriert mit einem falschen Lächeln.

"Ich kenne seinen Sohn", sage ich ihr und stelle meine Tasse wieder auf den Tisch.

Die beiden sehen sich an und ein kleines Lächeln bildet sich auf dem Gesicht der Dame. Ich runzle die Stirn, überkreuze die Beine und strecke meinen Rücken ein wenig.

"Und wenn ich fragen darf, woher kennst du seinen Sohn? Du kannst ihn ja wohl kaum aus der Schule kennen", fragt sie.

"Was meinen Sie?", frage ich verwirrt.

"Nun, du bist ein Waisenkind wenn ich mich nicht irre, und du arbeitest für die Cuthberts, oder?" Erklärt sie und ich stosse einen Atemzug aus.

"Wollen Sie damit sagen, dass ich als Waisenkind für die Familie arbeiten muss, die mich adoptiert hat?" Frage ich sie, weshalb sie mit einem Lächeln nickt und mich vor Wut zum kochen bringt.

"Kein Waisenkind hat ein Recht auf schulische Ausbildung, das ist absurd", gibt Harriet von sich und ich stehe schnell auf. Um uns herum wird es still und alle sehen mich an.

"Dieser Tag hat mich schon genug auf die Probe gestellt, also legen Sie sich nicht mit mir an", warne ich leise und lehne mich zu ihnen vor.

Plötzlich greift jemand nach meinem Oberarm. Ich drehe schnell den Kopf und blicke in Marillas strenges Gesicht.

"Entschuldigt", sagt Marilla den beiden Frauen und zieht mich von ihnen weg. Marilla schleppt mich in die Küche, wo niemand ist. Die Stimmen der andere werden leiser und ich reisse meinen Arm aus ihrem Griff und gehe zur Theke. Ich muss mich etwas beruhigen, damit ich Marilla während dem Gespräch, dass wir gleich führen werden, nicht ins Gesicht schreie.

"Es tut mir leid, Marilla", sage ich leise und fahre mit meiner kalten Hand über mein Gesicht.

"Sie haben mich gedemütigt und ich konnte mich nicht beherrschen", sage ich ihr. Ich erwarte, dass sie mich anschreit, aber stattdessen bildet sich ein Lächeln in ihrem Gesicht.

"Es ist in Ordnung", versichert sie und ich entspanne mich etwas. Ich lächle und umarme sie.

"Wie geht es dir?" Frage ich sie, als ich einen Schritt zurück gehe, um sie anzusehen.

"Mir geht es gut", sagt sie und sieht auf den Boden.

"Wo ist Gilbert?" Fragt sie plötzlich.

"Ich weiss es nicht, ich habe ihn nicht gesehen", sage ich. Für eine Minute überlege ich, wo ich ihn zuletzt gesehen habe und ob er überhaupt hier ist. Ich habe ihn seit der Beerdigung nicht mehr gesehen.

Possibility (Gilbert Blythe Fanfic) German TranlationOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz