Kapitel 15

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Ich gehe die Treppe hinunter in die Küche. Draussen ist es völlig dunkel und nur das Mondlicht, das durch das Fenster scheint, erhellt das Haus. Ich weiss nicht, wie spät es ist. Ehrlich gesagt ist mir das auch egal. Ich bin hellwach und ich kann einfach nicht einschlafen. Nach meinem Besuch bei John hatte sich alles geändert. Ruby und Diana sind mit Annes Büchern hierher gekommen und wollten nach uns sehen. Marilla fand dann heraus, dass wir beide nicht zur Schule gegangen sind. Ich wollte ihr wirklich sagen, wo ich war und vielleicht würde sie es verstehen, aber das tat ich nicht. Ich sagte ihr und Anne nur, dass ich einen alten Freund besucht habe, nicht wen.

Marilla schrie uns an und ich hatte sie noch nie so enttäuscht gesehen. Es tut mir weh, dass wir ihr Vertrauen missbraucht und sie angelogen haben. Das hätten wir niemals tun dürfen. In Frustration und Besorgnis hat Marilla den Minister kontaktieren. Ich habe keine Ahnung, was ein Minister ist, vielleicht eine Art Priester. Es macht mir Angst darüber nachzudenken, was mit uns beiden passieren könnte.

Es ist nicht nur das, was mich stört. Gilbert Blythe will mir einfach nicht aus dem Kopf gehen. Ich kann ihn nicht aus meinem Kopf bekommen, ich kann nicht aufhören, an ihn zu denken. Wie perfekt er aussieht, wie schön lockig seine Haare sind, wie klug und interessiert er an Dingen ist, die ich auch mag. Das Gefühl, das ich für ihn fühle, ist keine Liebe. Das kann nicht sein, es kann einfach nicht sein. Ich werde es nicht zulassen.

Ich nehme etwas Holz und entzünde ein Feuer im Ofen. Die Wärme breitet sich schnell aus und ich setze mich davor auf den Boden. Ich schlafe in meiner braunen Hose und dem grossen hellblauen Hemd, da es mittlerweile zu kalt geworden ist, um ohne Kleider zu schlafen, denn der Winter steht vor der Tür. 

Eine lange, goldene Haarsträhne hängt mir ins Gesicht und ich ergreife sie. 

"Ich hätte sie schneiden sollen", flüstere ich zu mir selbst und denke daran, als ich Gilberts Haare geschnitten habe. Es würde nicht schaden, wenn ich meine Haare auch ein bisschen schneide. Ich mochte es nie, dass andere meine Haare berührten, es fühlt sich so komisch an. Ich könnte es zwar jetzt tun, aber ich möchte nicht alle wecken, nur weil ich nach einer Schere suche.

Ich mache mir einen Mittelscheitel und beginne, meine Haare zu flechten, so wie Anne es jeden Tag tut. Ihr Haar ist so schön, ich kann nicht verstehen, wie sie es nicht mögen kann.

Als ich meine Haare fertig geflochten habe, gehe ich ins Wohnzimmer und suche nach etwas, mit dem ich es binden kann. In einer der Schubladen finde ich zwei Stoffbänder, die ich um meine Zöpfe binde.

"Du siehst hübsch aus, wenn du die Haare so hast", Höre ich eine Stimme sagen, ich drehe mich schnell um und sehe Matthew im Türrahmen stehen.

"Gefällt es dir?" Frage ich, als ich auf ihn zu gehe.

"Ja, es sieht gut aus", sagt er lächelnd.

"Ist es schon Morgen?" Frage ich und sehe zum Fenster, durch das grelles Licht scheint.

"Marilla wird bald auf sein, warum bist du schon so früh auf, Kleine?" Fragt er, als ich ihn umarme.

"Konnte nicht schlafen", murmle ich gegen seine Brust.

"Es tut mir leid, dass ich dich angelogen habe", sage ich und sehe zu ihm auf.

"Es wird alles gut, das verspreche ich", sagt er und lächelt. Er schnappt sich seine Jacke und lächelt mich ein letztes Mal an, bevor er in die Scheune geht.

...

"Sie haben gelogen und sie haben immer weiter gelogen. Uns direkt ins Gesicht", erzählt Marilla.

Wir sitzen alle im Wohnzimmer. Der Minister ist angekommen und ich habe endlich meine Antwort bekommen; er ist ein Pfarrer. Er wird uns wahrscheinlich eine Predigt über Lügen halten. Er ist ganz schwarz gekleidet, und hat ein ganz runzliges Gesicht.

Possibility (Gilbert Blythe Fanfic) German TranlationWhere stories live. Discover now