Panik

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Die nächsten paar Stunden ackerte ich mich mühsam durch diesen Berg an Akten, der  für mich Grösstenteils keinen Sinn ergab. Bei den meisten Dokumenten, die ich fand, ging es bloss um Geld und Drogenschulden von irgendwelchen Junkies. 

Aber es gab auch interessantere Dinge, denn ich konnte endlich mehr über die Red Moons, die Black Devils und die Anacondas herausfinden, ohne dass ich jemanden danach fragen musste. Diese Blätter offenbarten viele Sachen, die mir vorher nie klargewesen waren. Zum Beispiel, wo die Grenzen der Gebiete der verschiedenen Gangs lagen. 

Anscheinend hatte ich im Gebiet der Red Moons gewohnt, was mir gar nicht bewusst gewesen war. Na gut, ich hatte nicht mal gewusst, dass es bei uns Gangs gab, also überraschte mich das nicht sonderlich, um ehrlich zu sein. 

Eine weitere interessante Tatsache war, dass diesen Dokumenten zufolge anscheinend niemand wusste, wer der Anführer der Anacondas war oder wie er aussah, es schien ein völliges Mysterium zu sein. 

Was aber das Wichtigste war, dass ich heute gelernt hatte, und zwar mit Abstand, war, warum überhaupt so junge Leute wie Matt und Fynn diese Gangs anführten. Ich hatte immer erwartet, es wären ältere, erfahrene Männer, nicht Typen, die vielleicht gerade mal zwanzig waren. 

Offensichtlich hatte es vor sechs Wochen ein grosses Treffen gegeben, an dem alle Anführer der drei grossen Gangs und einige Kleinere anwesend gewesen waren. Irgendjemand hatte das aber an die Polizei verraten und durch eine Grossrazzia konnten jegliche Mitglieder, die dort gewesen waren, festgenommen werden. 

Das hatte den Rest der Gangster in ziemliche Schwierigkeiten gebracht und sie hatten alle jene zu den neuen Anführern ernannt, die sie für am geeignetsten hielten.  Fynn und Matt mussten also erst seit sechs Wochen Anführer sein, was auch erklärte, warum sie sich in vielen Dingen unsicher zu sein schienen. 

Es war bereits halb sieben, und ich war gerade Mal mit der Hälfte aller Dokumente durch. Wahrscheinlich müsste ich die Nacht durcharbeiten, wenn ich jemals noch was Essen und meine Mutter anrufen wollte. Wenigstens hatte mir Miro vor zwei Stunden eine Wasserflasche und Kopfschmerztabletten gebracht, die meine Lage ein wenig verbesserten. 

Langsam aber sicher bekam ich in diesem Raum aber Klaustrophobie. Ich fühlte mich so, als bekäme ich keine Luft mehr. Die Wände schienen immer näher zu kommen und mich erdrücken zu wollen, wenn ich ihnen nicht entfliehen könnte. Ich versuchte, mir einzureden, dass ich mir das nur einbildete, aber das half nichts. Von Minute zu Minute wurde mein eigenes Delirium schlimmer und schlimmer, und die Panik in mir wuchs an. 

„Keine Angst, Cierra, du hast schon Schlimmeres durchgestanden," flüsterte ich mir selbst zu und fuhr mir durch die braunen Haare. Das Schwindelgefühl, das sich in meinem Körper breit machte, versuchte ich so gut wie möglich zu ignorieren. 

„Alles wird gut," sagte ich weiter und sass für einen kurzen Augenblick auf den Boden in eine Ecke. Ich wollte mir nur eine kleine Verschnaufpause gönnen, bevor ich weitermachte. 

Ich legte meinen Kopf auf meine Knie und atmete regelmässig ein und aus, um meinen Herzschlag zu normalisieren. Wenn das gerade eine Panikattacke war, denn wollte ich nicht, dass sie noch schlimmer wurde. 

Ich spürte, wie ich anfing zu schwitzen und doch hatte ich eiskalt, nur in meinem T-Shirt und den Jeans. Meine Hände zitterten und mein Kopf schmerzte höllisch von all den Informationen, die ich in den letzten Stunden erfahren hatte. 

„Cierra?" Ich hörte eine Stimme, die aus dem nichts kam, da ich nicht wahrgenommen hatte, dass jemand die Tür zu meinem kleinen Gefängnis geöffnet hatte. War es schon Nacht?

„Macht die Schlampe Pause?" fragte eine andere Stimme, die ich als jene von Narbengesicht identifizierte. Ich bekam noch mehr Angst und mein Atem raste. Ich kniff meine Augen zusammen in einem lächerlichen Versuch, der Realität zu entfliehen. 

Gangs - Taken Innocence Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt