Der Deal

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Als sich die Türen hinter den Ganoven schlossen, starrte ich wie gebannt auf diesen Eric und wartete darauf, was er nun tun würde. Ich hatte ihm zwar gestern geholfen, aber ich glaubte nicht, dass er diesen Gefallen erwidern würde. Er war schliesslich einer von denen. 

Er hatte kurze, dunkle Haare und eine muskulöse Figur, ich schätzte, er war vielleicht einen Kopf grösser, als ich, und vielleicht ein Jahr älter. Er war genauso gezeichnet von der gestrigen Nacht, wie ich es war. 

„Wie geht's dir?" hörte ich seine Stimme sagen, als er auf mich zulief und mich von Oben bis Unten musterte. Ich fühlte mich ihm schutzlos ausgeliefert, als wäre ich ein Lamm, dass einem Löwen gegenüber trat. Ich hätte keine Chance gegen ihn, wenn es draufankäme. 

„Ist das eine ernsthafte Frage?" wollte ich wissen und sah ihn aus glasigen Augen an. Ich weinte immer noch, ich konnte einfach nicht damit aufhören. Wie sollte ich auch, ich war schliesslich immer noch in dieser gefährlichen Situation, aus der es kein Entrinnen gab. 

Eric antwortete nichts darauf, sondern lief um mich herum, um dann einige Sekunden später die Fesseln von meinen Handgelenken zu lösen. Ich atmete erleichtert aus und bewegte meine Arme langsam nach vorne, um sie in Augenschein zu nehmen. Sie schmerzten höllisch und waren nur so mit Blutergüssen übersäht. Wie sollte ich das meiner Mutter erklären, wenn ich überhaupt nach Hause kommen würde?

„Es tut mir leid," sagte Erich und machte sich an den Schnüren um meine Beine zu schaffen, während ich wie versteinert auf meinem Stuhl sass, „Matt kann manchmal ein bisschen aufbrausend sein."

„Ein bisschen?" fragte ich und zog meine Augenbrauen nach Oben. Woher ich überhaupt den Mut nahm, so etwas zu fragen, wusste ich auch nicht. 

„Er will nur seine Leute beschützen, wir können niemandem trauen," erklärte mir Eric, aber ich verstand nur Bahnhof. Von was redete er denn bitteschön? Von diesen Red Moons? Ich konnte es nicht sagen und es interessierte mich auch nicht gross, ich wollte bloss von hier weg. Am liebsten nicht in einem Leichensack, sondern in einem Stück und beinahe unversehrt.

„Und darum foltert er wehrlose Mädchen?" Ich sah Eric an, der nun direkt vor mir stand und mich mitleidig ansah. Spielte er diese Masche nur oder tat  ich ihm wirklich leid?

Ohne auf meine Frage einzugehen, strich er ein paar meiner dunklen Haarsträhnen aus meinem Gesicht und inspizierte die, mittlerweile verkrustete, Platzwunde an meinem Kopf. Es tat immer noch höllisch weh, wenn er sie berührte, doch ich hielt einen Aufschrei zurück. Ich wollte nicht schwach wirken, obwohl, dafür war es wahrscheinlich schon lange zu spät.

„Das wird schon wieder," sagte Eric und musterte nun mein Kinn, sowie die Schrammen an meinen Beinen und Armen. Er war dabei sehr vorsichtig, immer darauf bedacht, mir nicht noch mehr wehzutun, wofür ich ihm dankbar war. 

„Kann ich gehen?" fragte ich, hoffnungsvoll, aber er schüttelte den Kopf und ich liess meine Schultern hängen. Ich hatte gehofft, der Alptraum hätte ein Ende, aber da hatte ich wohl falsch gedacht. 

„Es tut mir leid," wiederholte er seine Worte von vorhin und half mir, mich aufrecht hinzustellen. Das war schwieriger, als ich gedacht hatte, den nun musste ich versuchen, alleine mein Gleichgewicht zu halten, während mir jeder erdenkliche Knochen wehtat. Ich hatte wirklich keine Lust mehr auf dieses ganze Theater. Ich hatte nichts getan, ich wollte gehen. 

„Dir helf ich auch nie wieder," murmelte ich, aber er hatte es natürlich gehört. 

„Ach, äh, deswegen....du hättest mir nicht helfen müssen."

„Nein, natürlich nicht," sagte ich ironisch und schlug seine Hand von meiner Schulter weg, „du hattest auch alles unter Kontrolle, nicht? Ohne mich wärst du jetzt tot, die wollten dich töten! Merkst du das nicht?!"

„Ich hätte mir selbst geholfen," antwortete er auf meinen kleinen Wutausbruch, aber davon liess ich mich nicht beeindrucken. Er konnte mich doch nicht verarschen, ich wusste genau, was ich gesehen hatte.

„Nein, du wärst jetzt ein paar Meter unter der Erde! Du könntest dich wenigstens dafür bedanken."

Ich schaute ihn mit grossen Augen an und seine weiteten sich, als er merkte, was ich von ihm verlangte. Überraschenderweise nickte er jedoch und senkte seinen Kopf: „Danke."

„Gut, dann wäre das jetzt geklärt," sagte ich und versuchte so gut wie möglich, auf die Türe zuzulaufen, um sie danach zu öffnen, sie war Gott sei Dank nicht verschlossen, „ich werde dann mal gehen."

„Hei! Warte! Du solltest da nicht reingehen!" rief er mir hinterher, doch es war schon zu spät. Ich stand bereits in einem Raum mit über sechs Typen darin, die nicht sehr erfreut darüber erschienen, dass ich gerade aufgetaucht war. Nein, zwei von ihnen richteten sogar ihre Waffen auf mich und ich blieb abrupt stehen. Mein Herz rutschte mir in die Hose und ich ging langsam einige Schritte zurück, nur um dann direkt in Eric zu laufen, der mittlerweile hinter mir stand und mich an meinen Schultern festhielt, um mich am Umfallen zu hindern. Ich war ihm dankbar dafür.

„Hab ich nicht gesagt, du sollst auf sie aufpassen?!" sagte ein wütender Matt zu seinem Bruder.

„Sie ist einfach rausmarschiert," kommentierte dieser bloss das Geschehen und schob somit alle Schuld auf mich. Ganz toll, super gemacht Cierra.

„Und was hast du dir dabei gedacht?" fragte dieser Matt nun mich und kam mir eindeutig zu nahe. Ich zuckte vor ihm zurück, konnte mich aber nicht weiter entfernen, da Eric mich festhielt.

„I-I-Ich wollte nach Hause, meine Mutter macht sich bestimmt schon Sorgen," stotterte ich und wandte meinen Blick von ihm ab, sein bohrender Blick machte mir Angst. 

„Ist das die, die die ganze Zeit auf deinem Handy anruft?" wollte er dann wissen und ich schaute ihn überrascht an. „Ihr habt mein Handy?"

„Ja," antwortete er mir, „wir haben ihr geschrieben, dass du bei deiner Freundin Stella übernachtet hast."

In mir machte sich ein ungutes Gefühl breit: „Woher kennt ihr Stella?"

„Ach Kleines," sagte er dann und grinste, "wir wissen praktisch alles über dich. Du heisst Cierra Foster, bist 17, arbeitest zwei Tage die Woche in einem Restaurant, am Wochenende in einem Friseurladen und dazu passt du noch auf die Tochter der Freundin deiner Mutter auf."

Wow, woher wusste er das alles? Hatte der mich ausspioniert? Das machte mir Angst.

„Ja, d-das stimmt. Darf ich jetzt gehen?" Ich schaute ihn mit meinem bestmöglichen Hundeblick an, was ihn etwas zu erweichen schien. Seine Gesichtszüge waren nicht mehr ganz so streng, wie vorhin und er drehte sich von mir weg. 

Ich schaute mich für einige Sekunden im Raum um. Die anderen vier Typen, die noch da waren, sahen alle ziemlich unheimlich aus, denen wollte ich weder bei Tag noch bei Nacht begegnen. War ich hier in Mitten einer Verbrecherbande gelandet? Gab es so etwas heute überhaupt noch?

Als ich mich weiter umsah, bemerkte ich, das auf dem einzigen Tisch, der im Raum stand, ziemlich viele Blätter ausgelegt worden waren, auf denen ein paar Buchstaben standen, die für einen Laien keinen Sinn ergaben, für mich jedoch schon. Ich wusste genau, was sie bedeuteten, aber was noch besser war, ich wusste, dass diese Typen das nicht wussten. So konnte ich mir einen Vorteil verschaffen.

„Ich habe einen Vorschlag," sagte ich mit fester Stimme, so gut wie es eben ging und streckte meinen Körper etwas durch, um grösser und kräftiger zu wirken. Dabei tat mir zwar jeder Muskel weh, aber das war mir egal, solange ich nur nach Hause konnte, würde ich alles in Kauf nehmen.

„Du hast einen Vorschlag?!" fragte dieser Matt ungläubig und fing an zu lachen, genau wie der Rest dieser Bande. 

„Ja, den hab ich, ihr lasst mich gehen und ich sag euch dafür, was das da," ich zeigte auf all die Papiere, „zu bedeuten hat."

„Pah! Und woher solltest du das wissen?" wollte Matt unbeeindruckt wissen und diesmal war ich es, die ihm frech entgegen grinste.

„Haben wir einen Deal, oder nicht?" wollte ich wissen und wartete ab. Äusserlich sah es vielleicht so aus, als ob ich gelassen war, aber innerlich schrie ich vor Panik. 

Die Sekunden, bis zu seiner Antwort, kamen mir vor wie Stunden, doch dann hörte ich endlich die erlösenden Worte, als er mir seine Hand hinstreckte. „Deal."

Gangs - Taken Innocence Where stories live. Discover now