11.Kapitel-Wie allein sind wir wirklich?|1

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Derek

Der Tag beginnt so wie jeder andere. Das heißt, wie jeder andere seit Matt bei mir zuhause war. Ich stehe auf, bin schlecht gelaunt. Ich habe keinen Hunger, sondern gehe gleich in Matts Räume, die nur ein paar Ecken von meinen entfernt liegen. Es ist noch dunkel draußen, als ich bei ihm ankomme, und er schläft, genau wie an jedem anderen Tag. Leise mache ich mich daran sein Wohnzimmer aufzuräumen, danach putze ich das Bad und als die Zimmer langsam von den ersten Sonnenstrahlen erhellt werden, beginne ich damit das Frühstück vorzubereiten. Ein Teller, eine Tasse, dampfendes Rührei und Brot mit allen möglichen Aufstrichen. Ich bin noch immer leise, darauf bedacht Matt nicht zu wecken. In Gedanken mache ich mir eine Liste all den Dingen, die ich heute noch erledigen muss. Sie nimmt kein Ende, aber das ist immer so kurz vor Neumond.

Ich nehme das Besteck aus der Schublade und gehe wieder ins Esszimmer zurück. Ein Geräusch lässt mich zusammenfahren, ich stehe stocksteif im Türrahmen. Nur langsam begreife ich, dass ich das Besteck fallen gelassen habe. Ich will es aufheben, kann mich aber immer noch nicht rühren. Erst als mir Matts Blick unangenehm wird, lasse ich mich in die Hocke sinken und taste mit zitternden Händen den Boden ab. Matt steht im Türrahmen zu seinem Schlafzimmer, sein Haar ist zerzaust, seine Augen verschlafen zusammengekniffen. In dem Moment, in dem ich aus der Küche kam, betrat auch er den Raum, genau gegenüber von mir. Während er nicht sehr überrascht aussah und sich nur verschlafen durchs Haar fuhr, ließ ich vor Schreck das Geschirr fallen.

Er wurde nie wach. In den letzten Wochen habe ich es immer geschafft wieder zu verschwinden, bevor er ins Zimmer kam. Bevor ich seine Locken sehe musste. Sein Gesicht mit den Sommersprossen, das am Morgen mehr strahlt als sonst. Seine verschlafene Haltung, die Rippen, die sich immer noch durch sein Shirt abzeichnen. Diesen Anblick würde ich nicht ertragen, nicht jeden Tag. Immer auf neue. Ich erhebe mich wieder und umklammere die Messer und Gabeln mit meiner Hand, die andere balle ich zur Faust.

„Tut mir leid, ich dachte du wärst schon weg." Dieser kurzangebundene, unkomplizierte Satz verwirrt mich. Das merkt auch Matt.
„Denkst du wirklich, ich wäre nie aufgewacht?" Nervös schlucke ich.
„Warum bist du dann nicht gekommen?" Er bedacht mich mit zusammengekniffenen Augenbrauen.

„Du hast deine Gründe warum du mir aus dem Weg gehst." Warum muss er so einfach sein, so klar, so unmissverständlich? Ich schließe kurz die Augen, öffne sie dann wieder und gehe langsam zu dem Tisch, auf dem ich das Besteck ablege.
„Du solltest essen, das Training wird anstrengend." Er kommt zu mir, legt eine Hand auf die Lehne des Stuhls, setzt sich aber nicht. Ich trete ein paar Schritte zurück und tue so, als müsste ich die Tischdecke geraderücken.

„Woher willst du das wissen, du warst nie da." Seine Stimme klingt anklagend. Ich war da, beim ersten Mal. Es hat mir gereicht.
„Ich hatte keine Zeit."
„Keira schon." Wieder dieser Unterton, der mich beinahe zusammenzucken lässt.
„Vielleicht habe ich mehr zu tun als sie." Vielleicht stört es sie nicht, welche Blicke du Brenda zu wirfst. Vielleicht ist es ihr egal, dass du sie liebst. Vielleicht ist sie nicht diejenige, die du geküsst und noch am selben Abend zurückgewiesen hast. Ihr hast du nicht gesagt, dass es nicht geht. Dass du so nicht bist. Dass du es nicht willst. Ihr hast du keine Hoffnungen gemacht und einen Sekundenbruchteil später mit einem Hammer aus Verrat und Reue wieder zertrümmert. Keira ist nicht diejenige, die du mit all diesen Scherben zurückgelassen hast. Du hast mich nie wieder angesehen, nicht so. Keira ist nicht jedes Mal, wenn sie dich sieht damit beschäftigt die Scherben daran zu hindern sich wieder zusammen zusetzten. Die Hoffnung kommt nicht jedes Mal wieder zu ihr zurück, wenn sie dir in die Augen sieht. Zu mir schon. Ich bin die Person, die du mit all diesen Dingen alleine gelassen hast. Und obwohl ich weiß, dass ich unglaublich kindisch bin, kann ich nichts daran ändern.

„Vermutlich." Seine Stimme ist jetzt leiser und er blickt auf seine Finger, die die Lehne umklammern. „Willst du mit mir frühstücken?" Die Unschuld hinter dieser Frage rammt eine Scherbe irgendwo zwischen mein Herz und meine Lunge. Mein Herzschlag setzt für einen Moment aus, mein Atem stockt.
„Ich habe schon gegessen. Morgen vielleicht." Lügen über Lügen. Dieser ganze Raum ist nur gefüllt von Lügen und unausgesprochenen Wahrheiten.
„Okay." Ich lasse die Tischdecke los und stehe noch einen Moment unschlüssig da, bevor ich mich umdrehe und den Raum verlasse. Ich muss mich nicht umdrehen, um zu wissen, dass Matts Blick noch immer auf seine weißen Fingerknöchel gerichtet ist.

Später, als ich gerade dabei bin die Dekoration für den Schlosshof zu organisieren, kommt Keira zu mir. Sie lässt sich auf dem Stuhl vor meinem Schreibtisch nieder und stützt die Ellenbogen auf dem Tisch ab.
„Was ist?" Ich merke selbst, wie mürrisch ich klinge, aber es ist mir egal. Sie zieht die Augenbrauen hoch.

„Nicht so gute Laune heute was?" Ich schnaube auf und male kleine Muster auf den Rand meiner Notizblätter. „Vielleicht würde dir frische Luft guttun. Brenda will heute nicht trainieren und stattdessen in die Stadt. Komm mit." Stundenlanges Gefrage, was mit mir los ist. Stundenlanger Lärm, der sich ganz sicher nicht gut auf meine Nerven auswirken würde.
„Nein danke. Ich habe viel zu tun." Sie stöhnt auf.
„Ich auch, aber das schaff ich auch noch nach einem kleinen Ausflug. Und du auch."
„Ich kenne deine Arbeitseinstellung schon, Keira. Aber ich kann auf noch mehr Stress wirklich verzichten." Sie legt ihren Kopf auf den Händen ab und lehnt sich mit einem Grinsen weiter zu mir vor.

„Matt kommt auch mit." Dann tu ich das erst recht nicht. Ich drücke mit dem Stift noch fester auf dem Papier auf. So fest, dass es schließlich mit einem unangenehmen Geräusch reißt. Keira lehnt sich wieder zurück. „Was ist mit euch beiden eigentlich los? Was ist mit dir los?" Ich zucke mit den Schultern, gehe zum Fenster und mache es auf. Von meinem Arbeitszimmer kann ich direkt in den Schlosshof blicken. Ich drehe mich nicht zu Keira um. Schließlich schiebt sie den Stuhl zurück und ich höre, wie sie zur Tür geht. „Wir werden bestimmt viel Spaß haben."

Das ist mir klar. Die Tür öffnet sich, aber sie rührt sich immer noch nicht. „Ich glaube, er würde sich freuen, wenn du mal wieder zum Training kommen würdest." Auch das ist mir klar. Schweigen. Von draußen dringt Kindergeschrei zu mir. Ich höre eine Säge, eine Kutsche, Pferdeschnauben. Männer, die Anweisungen schreien, kichernde Frauen. Ich schließe die Augen. „Du warst schon immer stur. Spring doch einmal über deinen Schatten, Derek! Dein Leben wäre sehr viel einfacher, glaub mir." Das ist mir ebenfalls klar. Die Tür fällt mit einem so lauten Knall ins Schloss, dass ich zusammenzucke. Ich schließe das Fenster mindestens genauso geräuschvoll und sperre so alle Geräusche aus.

Ich brauche Ruhe.


Lights of our worldWhere stories live. Discover now