12. Kapitel-Fragen

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Brenda

Heute habe ich wirklich enormes Glück, denn auf dem Rückweg begegne ich nur ein paar Dienstbotinnen, die mir schüchtern zulächeln. Ich frage mich, wie alt sie sind. Einige bestimmt nicht älter als ich. Sechzehn Jahre. Sechzehn ist so jung. Viel zu jung für das, was ich erlebt habe. Viel zu jung, für das, was diese Mädchen hier jeden Tag leisten müssen. Mit sechzehn sollte man in die Schule gehen, Freunde treffen und Zeit mit seiner Familie verbringen. Ich beschleunige meine Schritte und nachdem ich den Trakt, der für mich verboten ist, verlassen habe, beginne ich zu rennen. Ich biege um die nächste Ecke und werde abrupt gestoppt.

„Vorsicht!" In meiner Hektik bin ich schnurstracks gegen Matt gelaufen. Verlegen streiche ich mir die Haare aus dem Gesicht, auf eine Weise fühle ich mich seltsam ertappt.
„Was machst du hier?" Ich versuche alle Anzeichen dieses Gefühls aus meiner Stimme zu verbannen, was mir auch gelingt. Hoffe ich zumindest.
„Ich habe dich gesucht. Keira macht sich Sorgen." Dann haben sie es also wirklich schon bemerkt. Als ich nichts sage runzelt er die Stirn. „Ist alles okay mit dir? Was machst du hier überhaupt?" Ich wippe nervös auf meinen Fußballen und meine Finger verkrampfen sich ineinander.

„Ich musste mich bewegen." Er glaubt es mir nicht, dass weiß ich, aber er sagt nichts mehr. Vielleicht kann er besser akzeptieren, als jeder andere, dass es Dinge gibt, über die man nicht sprechen will. Schließlich hat er meine Fragen vorhin auch abgeblockt.
„Kommst du noch mit zu mir? Ich möchte mit dir sprechen." Ich nicke und folge ihm ohne etwas zu sagen durch die restlichen Gänge, bis wir in dem Teil des Schlosses sind, in dem sich unsere Zimmer befinden. „Willst du lieber in deine Räume?" Ich schüttle den Kopf.
„Nein, ist schon in Ordnung so." Er sieht mich noch einmal prüfend von der Seite an und hält mir dann die Tür zu seinem Zimmer auf.

„Bin gleich wieder da, ich sag nur schnell Keira Bescheid, dass ich dich gefunden habe." Ich nicke und als er den Raum wieder verlassen hat, atme ich beinahe erleichtert durch. Langsam mache ich ein paar Schritte nach vorne und sehe mich um. Matts Räume scheinen genauso angelegt zu sein wie meine. Die Tür führt in den Ess-und Wohnbereich, recht geht es in die Küche, links in das Schlafzimmer, von wo aus man auch in das Bad gelangt. Dorthin gehe ich jetzt auch, stelle mich vor den Spiegel und drehe dann den Wasserhahn auf. Ich spritze mir das kühle Wasser ins Gesicht und betrachte, wie die Tropfen wie Tränen über meine Wangen laufen. Ich weiß nicht, was ich von all dem halten soll. Davon, dass ich jemandem so viel anvertraut habe, obwohl ich nicht weiß, wer es ist. Das Schlimmste an der ganzen Sache ist, dass ich das Gefühl habe, ich müsste es wissen. Dass ich die Antwort tief in mir trage. Ich reibe mit den Fingern kreisförmig über meine Schläfen und schließe die Augen. Heute Morgen war ich noch so entschlossen geduldig zu sein. Aber ich war auch entschlossen, nicht noch einmal zu dem Raum zu gehen. Daran sieht man ja, wie gut ich meine Vorsätze eingehalten habe. Seufzend trockne mein Gesicht wieder ab und begebe mich erneut ins Wohnzimmer. In dem Moment kommt auch Matt wieder. Ich bemühe mich, mich ruhig neben ihm auf das kleine Sofa zu setzten, aber stattdessen platze ich schon in der Bewegung damit raus.

„Wir müssen es den anderen sagen." Eine Weile sagt er nichts und ich werde augenblicklich zu dem Moment zurückversetzt, an dem ich ihm von meinem Traum erzählt habe. An dem Tag war er unglaublich wütend auf mich gewesen. Oder enttäuscht. Oder beides. Doch jetzt spiegelt sich keines dieser Gefühle in seinen Augen wieder, sondern etwas anderes, was ich nicht einordnen kann. Schließlich nickt er und stützt sich mit den Ellenbogen auf seinen Knien ab.
„Bist du dir sicher?" Jetzt nicke ich.
„Ich brauche Antworten, Matt. Ich habe so viele unbeantwortete Fragen. So viele, dass ich das Gefühl habe in ihnen zu ertrinken."
„Das meinte ich gar nicht. Ich meinte, ob du dir sicher bist. Darüber, dass dieser Traum die Wahrheit gezeigt hat." Ich kneife die Augen zusammen.
„Ich dachte, du hättest mir geglaubt?" Sein Blick hebt sich und er sieht mir wieder in die Augen.
„Das habe ich auch. Wirklich. Aber je länger ich darüber nachdenke, desto mehr habe ich die Vermutung, dass wir uns etwas einreden. Brenda, wir beide haben schreckliche Dinge erlebt, ist es da nicht normal, dass wir uns verbunden fühlen? Und vielleicht wollen wir glauben, dass wir uns schon kannten, dass da etwas Stärkeres ist. Aber was, wenn es nur Wunschdenken ist? Was, wenn das alles totaler Schwachsinn ist?" Ich starre ihn verdutzt an.

Lights of our worldWhere stories live. Discover now