1.Kapitel-Nebel|1

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Brenda

Tack, tack, tack.
Immer wieder klopfe ich bin dem Zeigefinger auf den kalten Steinboden. Werde mal schneller, mal langsamer, den Blick auf die Wand gerichtet. Schon oft habe ich versucht die Risse oder die gräulichen Schimmelflecken zu zählen, musste jedoch immer wieder von vorne anfangen, weil ich unterbrochen wurde. Mal von meinen äußerst sympathischen Zellgenossen, mal von den Wärtern, die das Essen vorbeibringen. Oder von den Soldaten. Sie bringen mich jedes Mal in eine kleine Kammer, genau neunundvierzig Schritte von hier entfernt. Neunundvierzig Schritte voller Angst, was sie mir heute antun werden. Ich schließe die Augen, will die Bilder nicht sehen, will es nicht fühlen. Doch vor der Realität kann man sich nicht verstecken. Ich sehe das dünne Messer immer näherkommen. Spüre wieder meine Panik, höre meine Schreie.
Laut keuchend reiße ich meine Augen wieder auf. Der Finger meiner rechten Hand rast noch schneller auf den Boden.

Tack, tack, tack, tack.

Mein Fingernagel ist eingerissen, meine Fingerspitze wund, aber es interessiert mich nicht. Ich will vergessen, alles vergessen.
Mit der anderen Hand betaste ich mein Gesicht. Es ist an vielen Stellen angeschwollen, aber ich spüre kein frisches Blut mehr. Ich versuche mir das alte wegzukratzen, werde dabei aber zu energisch und reiße mir die Haut wieder auf. Ein leiser Laut des Schmerzes kommt mir über die Lippen und ich zittere am ganzem Leib.

„Hey, Kleine! Hör endlich auf zu flennen!", knurrt mir der bärtige, mit getrocknetem Blut überzogene Mann in der Ecke zu. Ich zucke zusammen, und schlage mir die Hände vors Gesicht. Warum? Warum ich? Wie habe ich das verdient? Wie hat das irgendjemand verdient? Ich weiß, dass diese Fragen dumm sind, denn die Antwort weiß ich längst. Sie wollen verstehen, was mich zu dem macht, was ich bin. Sie wollen vorbereitet sein, falls es andere wie mich gibt. Vielleicht wollen sie mich danach töten. Es macht mir Angst, dass mich dieser Gedanke nicht mehr erschreckt.

Ich ziehe die Beine noch weiter an die Brust und wippe langsam vor und zurück, um mich zu beruhigen. Ich konzentriere mich auf meinen Atem. Ein, Aus, Ein, Aus. Schließlich spüre ich, wie ich wegdämmere und sinke auf den feuchten Boden.

Sofort überfallen mich die Albträume, die jedes Mal da sind, auf mich warten, wenn ich einschlafe. Sie brechen über mich herüber, wie eine Welle. 

Als Erstes sehe ich ein kleines Mädchen, vielleicht fünf oder sechs Jahre alt, das alleine auf einer dunklen Straße steht, die nur durch den schwachen Schein des Mondes beleuchtet wird. Ich kann ihr Gesicht nicht sehen, aber sie hat dünne dunkelblonde Haare, die zu Zöpfen geflochten sind und an ihrem zerbrechlichen Körper trägt sie nichts weiter als ein blaues Kleid, das bis zu ihren Kniekehlen reicht. Eine gespenstische Ruhe liegt über den Häusern am Straßenrand, doch das Mädchen hat nur Augen für die Kreuzung am Ende der Siedlung. In der Hand hält sie ein abgewetztes Kuscheltier. Ich schaue genauer hin, um zu erkennen was es darstellt, und kann mit viel Fantasy eine Art Vogel ausmachen.

Noch während ich das Spielzeug betrachte, kommt aus dem Schatten ein Mann auf uns zu. Er hat einen dunklen Anzug an und eine Zigarre im Mund. Wie von selbst bewege ich mich ein paar Schritte nach vorne und stelle mich neben das Mädchen. Beobachte sie, bereit sie zu beschützen, falls es nötig sein sollte. Doch sie rührt sich nicht, sie gibt keinen Laut von sich, auch, als der Mann direkt vor uns steht, ist ihr Blick starr auf das Ende der Straße gerichtet. Ihr Gesicht ist noch immer von Schatten bedeckt, sodass ich nicht genau sagen kann, ob sie ihn überhaupt bemerkt hat.

Den Mann scheint das nicht zu wundern, denn er verzieht sein grimmiges Gesicht zu einem freudlosen Lächeln. Aus der Nähe kann ich eine Narbe erkennen, die sich quer über sein ganzes Gesicht zieht und sich rot von seiner bleichen Haut abhebt. Doch das Schlimmste sind seine Augen, denn die sind rabenschwarz. Ich muss schlucken, balle meine Hände zu Fäusten, öffne sie wieder und wage es dann endlich zu sprechen:

Lights of our worldWhere stories live. Discover now