22.Kapitel-Im Herbst blutet die Welt|2

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Matt

Derek ist mir nicht nachgekommen. Jetzt, fast zwei Tage nach unserem Streit, haben wir noch immer nicht über alles geredet. Ich weiß nicht, ob es mich traurig macht, dass er nicht nach einem Gespräch sucht, oder ob ich mich darüber freuen soll, dass er mir Freiraum lässt. Okay. Das war gelogen.
Ich bin stinksauer auf ihn, weil er mir nicht hinterhergekommen ist. Ich bin enttäuscht darüber, dass er in der ganzen Zeit, die er gehabt hätte, nicht einmal versucht hat, mit mir zu reden. Mir alles zu erklären. Und sich zu entschuldigen. Aber für was eigentlich? Ich schlage mir die Hände vors Gesicht und stöhne auf.
Derek hat nichts falsch gemacht. Jedenfalls nicht in Bezug auf unsere Beziehung.

Aber es sagt doch etwas über einen Menschen aus, was er in der Vergangenheit getan hat, oder? Derek hat seinen Ex betrogen. Ausgerechnet Derek. Der zuneigungsbedürftige, vertrauensvolle Derek. Der Derek, der mich nicht küssen konnte, ohne darauf vertrauen zu können, dass ich nicht wieder weglaufe. Der Derek, der es als Vertrauensbruch gesehen hat, als ich ihm gesagt habe, dass ich es nicht kann. Der es als Betrug empfunden hat. Aber ich war nicht derjenige von uns, der wirklich betrogen hat. Ich war mir nur unsicher über meine Gefühle, aber er...er hat es aus anderen Gründen getan. Oder? Ich drehe mich auf den Bauch und vergrabe meinen Kopf in den Kissen. Scheiße. Ich muss mich bei ihm entschuldigen.

Das ist nicht das Problem. Ich bin gut darin mich zu entschuldigen. Das Problem besteht darin, dass ich einsehen muss, dass ich unfair zu ihm war. Und das kann ich ja nicht einmal vor mir selbst. Ich bin so ein beschissener Freund. Ich hasse mich sogar dafür, dass mein einziges Problem darin besteht, dass ich die Beziehung mit meinem ersten Freund nicht auf die Reihe bekomme, während andere Leute gerade um ihre Königin trauern. Ich hasse mich dafür, dass ich keinen Gedanken daran verschwendet habe, wie es Brenda nach allem geht. Wir haben uns voneinander entfernt und das macht mich entsetzlich traurig. Obwohl wir nur ein paar Gänge voneinander entfernt wohnen, habe ich sie ewig nicht mehr gesehen. Geschweige denn mit ihr geredet.

Ich bin so ein schlechter Mensch. Und ich könnte von meinem ganzen Gejammere kotzen. Es kotzt mich an, wie ich mich in Selbstmitleid suhle, und dann doch nichts unternehme, dass es besser macht. Ich atme durch und stehe auf. Durch die plötzliche Bewegung wird mir einen Moment schwarz vor Augen. Schwankend schließe ich die Augen. Ich werde jetzt zu Derek gehen und das zwischen uns wieder geradebiegen. Und dann rede ich mit Brenda. Möglichst ohne dabei Keira zu begegnen.

Im Schloss ist es noch leiser als sonst. Totenstill. Das ganze Land ist in tiefe Trauer versunken, das kann man mit einem einzigen Blick aus dem Fenster erkennen. Auf der Wiese um das Gelände herum werden schon seit Tagen Holzstangen in die Erde gesteckt. Ich weiß nicht, was das soll, aber es ist auf eine komische Weise schön. Eine enge Linie dieser etwa kniehohen Stäbe zieht sich über die ganze Wiese, bis hin zum Wald und auch um das Schloss herum. Ich nehme an, dass das Kunstwerk, das jetzt noch kein bestimmtes Bild abgibt, bis zur Bestattung fertiggestellt sein wird. Dazu haben die Arbeiter ja noch beinahe einen ganzen Monat Zeit. Ich will gar nicht wissen, wo in all der Zeit Damara's Leiche aufbewahrt wird.

Ich klopfe. Nichts passiert. Ich klopfe noch einmal, diesmal lauter. Nichts passiert. Ich trete die Türe ein. Seit wann kann ich so etwas überhaupt?
Die Luft im Raum ist stickig und vor die großen Fenster sind dunkle Vorhänge gezogen, sodass nur vereinzelte Lichtstrahlen den Raum in ein schummriges Licht tauchen. Derek sitzt mit dem Rücken zu mir an dem Esstisch. Sein Kopf ist gesenkt und seine Schultern hängen seltsam schlaff nach unten.

„Hattest du es eventuell auch mal in Erwägung gezogen die Tür aufzumachen?" Ich stampfe wütend durch das Zimmer auf ihn zu. Doch je näher ich komme, desto schneller ebbt dieser Zorn ab. Er sieht verloren aus. Etwas stimmt nicht, normalerweise hätte er mir schon längst geantwortet. Normalerweise hätte er mir die Türe schon nach dem ersten Klopfen geöffnet. Doch diese Haltung, mit der er vornübergebeugt auf seinem Stuhl sitzt, ist nicht normal.

Lights of our worldDonde viven las historias. Descúbrelo ahora