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Zumindest bis meine Schwester jede einzelne meiner Tränen auffing, ehe die salzige Flüssigkeit auf dem Boden der Tatsachen aufkommen würde.

▪︎

"Djuna, was soll ich nur tun?", fragte ich meine Schwester verzweifelt, nachdem ich all meine Gedanken förmlich vor ihr ausgebreitet hatte.
Meine Verzweiflung schien sich auf ihrem Höhepunkt zu befinden, denn je öfter Jungkook mich und meine Erklärungsversuche vehement ablehnte, desto hoffnungsloser wurde ich.

Doch ich war beim besten Willen nicht bereit dazu, all das aufzugeben. Es konnte doch nicht so zwischen uns bleiben. Ich konnte doch nicht für immer das höchste Maß an Unbehaglichkeit empfinden, wann immer er mir gezwungenermaßen gegenüberstand. Jedes Mal wünschte ich mir, er würde es wieder freiwillig tun; er würde sich mir, außerhalb den Verpflichtungen, die ihm sein Job auferlegte, wieder zuwenden.

"Oh Tae, das ist wirklich ein einziges Durcheinander ...", seufzte Djuna auf. Ihre Stirn legte sich in Falten und sie geriet augenscheinlich tief ins Grübeln. Ich warf ihr nur einen zustimmenden Blick zu, denn es kam mir vor, als hätte ich nach dieser detailreichen Erzählung kaum noch Luft übrig.

Nach einem Moment kurzer Stille, die mir jedoch beinah unerträglich laut vorkam, fixierte Djuna mich mit ihren Augen. Auf ihrem Gesicht konnte ich tiefsten Ernst ausmachen.

"Wie viel, bist du bereit, zu riskieren?", erklang ihre Stimme schließlich, in der nicht weniger Ernst lag, als in ihren Augen.
Ohne Verzögerung verließ die Antwort meine Lippen. "Alles."

"Harte Zeiten erfordern harte Maßnahmen. Deine Entschuldigung muss ihn mehr berühren, als ihn deine Lüge verletzt hat.", erläuterte sie mir.
"Egal, was es ist, ich werde es tun."

"Ich hätte eine Idee, doch es kann sein, dass es nicht das Geringste an eurer Situation ändern wird.", warnte sie mich, doch meine Entschlossenheit hatte sich bereits fest in mir verankert. Ich würde jeden Lichtblick in mich aufsaugen, als ginge es um Leben und Tod. Denn für mein Herz ging es genau darum.

"Ich werde es trotzdem versuchen.", versicherte ich ihr und gab ihr somit gleichzeitig das Zeichen, mir ihren Vorschlag näher zu erläutern. Und diese Erläuterung ließ mich geschockt zurück, denn ja, das war tatsächlich eine harte Maßnahme.

Meine Gedanken kreisten nur noch darum, was passieren könnte, nachdem ich es getan hatte.
Mein Kopf spielte auch die abwegigsten Situationen durch, um mich auf alles vorzubreiten.

Und die Zeit schien für jeden anderen auf einmal zu rasen, doch für mich fühlten sich Tage an wie Wochen, denn meine Gedanken schienen sich vehement zu weigern, mir etwas Ruhe zu lassen. Ich hätte die Ruhe vor dem Sturm gebraucht, auch, wenn ich mich schon lange immitten des zerstörerischen Unwetters befand.

In meinem Kopf spielten sich ganze Naturkatastrophen ab, die ihren Höhepunkt erreichten, als wir auf einmal die Generalprobe beendet hatten und die Premiere unmittelbar bevorstand.

"In wenigen Stunden werdet ihr das hinter euch haben, auf das wir die letzten Monate hingearbeitet haben. Die letzten Proben liefen vielleicht nicht optimal, doch ich zweifle keine Sekunde daran, dass ihr die Herzen der Menschen, die heute euer Publikum sind, im Sturm erobern könnt. Das wird nicht das letzte Mal sein, dass ihr dieses Musical aufführt, doch das erste Mal ist immer das Schwerste. Ich glaube an jeden Einzelnen von euch. Ihr werdet diese Bühne beherrschen, denkt immer daran! Hals- und Beinbruch!", hielt Namjoon eine kleine Ansprache, um uns die Angst zu nehmen.

Er klang wie einer dieser überschwänglichen Motivationsredner, wirkte aber eher auf mich wie ein Feldherr, der seine Soldaten auf eine blutige Schlacht vorbereitet.
Und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich diese Worte nicht gebraucht hätte.

In den letzten Minuten vor der Vorstellung ging alles drunter und drüber. Jimin war unheimlich aufgeregt und lief wie ein verschrecktes Reh auf und ab. Er machte Stimmübungen und fluchte leise vor sich hin, wenn ihn seine Aufregung daran hinderte, die Töne zu treffen. Er wurde beinahe im Sekundentakt von Yoongi in die Arme geschlossen, während dieser sanft über seinen Rücken strich und ihm beruhigende Worte ins Ohr flüsterte. Yoongi sollte vermutlich schon längst auf seiner Position sein, denn er würde sich um die Elektronik kümmern, doch er machte keine Anstalten, Jimin in der Hochphase seiner Nervosität alleine zu lassen.

Hobi, der selbst gar nicht auftreten würde, war ebenfalls angespannt und fragte mich gefühlte 736473 Mal, ob ich mir sicher war, dass ich die Choreografie im Kopf hatte.
Jin kippte sich eine Tasse Kaffee nach der anderen in den Rachen, seine Hände zitterten, doch ob vor fiebriger Erwartungen an unsere Leistung, oder von dem Überschuss an Koffein, blieb ein Rätsel.

Jungkook war nicht einmal hinter der Bühne. Ich ging davon aus, dass er gerade eine Zigarette nach der anderen rauchte, denn ich wusste, dass er das immer tat, wenn er nervös oder gestresst war. Und ich wünschte, er wäre hier, bei mir und wir könnten uns gegenseitig Mut zusprechen, wie wir es getan hätten, wenn diese angespannte Stimmung zwischen uns nicht aufgekommen wäre. Ich wollte ihn fragen, wie er sich fühlte; wollte seine Gedanken hören und ihm federleichte Küsse schenken, wie Yoongi es gerade bei Jimin tat.

Dies war die erste Aufführung in größerem Rahmen für uns beide. Ich wünschte, ich hätte nicht alles ruiniert und wir könnten jetzt füreinander da sein. Ich wusste, dass seine Eltern nicht zur Vorstellung kommen würden und gerne würde ich ihn bestärken. Doch ich bemerkte schmerzlich, wie weit wir davon entfernt waren, als er langsam wieder hinter die Bühne trat und sich kurz unsere Blicke streiften, ehe er sich schnell wieder abwandte.

Viele weitere Darsteller, die ebenfalls Mitglieder der verfeindeten Gruppierungen spielten, tummelten sich hinter der Bühne. Sie hatten kaum Text, anders als Jimin, Jungkook und ich, doch sie waren durch die Choreografie ebenso gefordert wie wir und mich packte die Angst, dass uns die Synchronität fehlen könnte, die wir uns in den Proben so mühsam erarbeitet hatten.

Namjoon wohnte uns an diesem Punkt nicht mehr bei, da er einiges an Öffentlichkeitsarbeit zu tun hatte. Er begrüßte die Ehrengäste, die allesamt Journalisten oder Kritiker waren, oder sich in anderen Kontexten einen Namen gemacht hatten.

Mein Herz raste und ich fragte mich, ob das noch gesund war und als Jin uns zurief, dass wir unsere Positionen einnehmen sollten, setzte es einen Schlag aus.

Spotlight | Taekook [✔]Where stories live. Discover now