Auf den Spuren meines Bruders

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Auf den Spuren meines Bruders

Evelyn PoV

Die Straßen strotzten vor Leben und eine Party war mitten im Gange, als ich durch die Gassen von Rio de Janeiro ging. Noch nie zuvor war ich in Brasilien gewesen, doch heute sah ich es mal mit eigenen Augen und ich musste zugeben...es war wirklich unglaublich.
Die Menschen hier waren lebhaft und unbeschwert, während sie mit Musik und Tanz die Straßen lebendig machten und sich von nichts und niemanden davon abbringen ließen. Es war ein faszinierender Anblick und animierte mich fast zum Stehen bleiben und mitzumachen, doch ich schob diesen Gedanken sofort wieder beiseite.
Ich war nicht zum Spaß hier und das durfte ich nicht vergessen. Immerhin hatte ich hier etwas zu erledigen und auch, wenn ich nicht genau wusste, ob ich Erfolg hatte, so musste ich es wenigstens versuchen. Auch, wenn es alles andere als einfach werden würde.

1 Jahr! Es war jetzt bereits 1 Jahr her, seit ich meinen Tod vorgetäuscht und England verlassen hatte. Und auch, wenn ich mich voll und ganz darauf konzentrierte, einen Weg zu finden, um Vincent das Handwerk legen zu können, so kehrten meine Gedanken immer wieder zu denjenigen zurück, die ich in London zurückgelassen hatte- in dem Glauben, ich wäre tot.

Alle meine Freunde, die in der ganzen Zeit zu meiner neuen Familie geworden waren, mussten mit dem Glauben leben, dass ich für immer verloren war und obwohl es mich unendlich schmerzte, sie davon nicht befreien konnte, so war es das Einzige, was sie beschützte. Vor meinem monströsen bestialischen Bruder und vor mir, die daran schuld war, dass sie durch die Hand von Vincent fast gestorben waren.
John, Mrs. Hudson, Greg, Alicia...sie alle fehlten mir in jeder Sekunde und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als sie wenigstens noch einmal wiederzusehen. Und am meisten vermisste ich Sherlock. Sherlock, den ich bei unserer ersten Begegnung für nichts weiter, als einen arroganten und egoistischen Angeber gehalten hatte und der sich über die Jahre hin zu dem entwickelte hatte, was er immer bleiben würde: dem Mann, den ich über alles liebte.

Aber ich würde ihn niemals wiedersehen und musste mit der Tatsache leben, dass ich ihn und alle anderen in London zurückgelassen hatte. Und ich wusste nicht einmal, wie es ihnen ging. Denn ich hatte Mycroft, der neben Molly Hooper, als Einziger wusste, dass ich am Leben war, jegliche Kontaktaufnahme untersagt. Er hielt sich auch daran, hatte mir allerdings kurz nach meiner Abreise aus London eine kurze Nachricht geschickt, in der er mir mittteilte, dass meine Beerdigung ohne Probleme über die Bühne gegangen war und sich meine beste Freundin Alicia dazu entschlossen hatte, in England zu bleiben.
Das nahm mir zwar nicht meine Schuldgefühle und die Sehnsucht nach all den Menschen, die mir am Herzen lagen, aber es beruhigte mich etwas. Dass Alicia somit ein wachsames Auge auf Sherlock, John und alle anderen haben würde, das war mir viel wert und ich wusste, dass sie mit ihr eine gute Freundin an ihrer Seite hatten.

                              ***

Nach einer gewissen Zeit erreichte ich endlich mein Ziel und stand vor einem kleinen Häuschen, welches innen komplett dunkel war. Ich überprüfte von außen, ob jemand anwesend war, doch als sich dies als negativ herausstellte, zog ich einen Dietrich hervor und verschaffte mir durch die Hintertür Zutritt zu dem Haus.
Leise trat ich ein und schloss die Tür hinter mir. Ich begab mich auf einen kleinen Kontrollgang durch das Innere des Hauses, aber auch dieser bestätigte, dass niemand zu Hause war. Daraufhin zog ich meine Kapuze vom Kopf und warf einen zufälligen Blick in den Flurspiegel. Meine schwarzen Haare hatte ich unter einer blonden Perücke versteckt, die mir bis knapp über die Schulter reichte und ich war mir damit selbst unglaublich fremd. Aber es war notwendig, denn ich wusste nicht, ob Vincent nicht doch insgeheim sämtliche Kameras der Welt anzapfte und alles und jeden dadurch beobachtete.

Als mit einem Mal ein Schlüssel zu hören war, versteckte ich mich in einer dunklen Ecke und warf einen aufmerksamen Blick zu der Haustür, die sich nun öffnete. Ein junger Mann trat ein und als er die Tür geschlossen hatte, bestätigte sich meine Vermutung: es war Liam!
Liam, mein Ex-Freund und der sich nach seinem Kurztrip in London, wohl auf eine Weltreise begeben hatte. Denn hin und wieder hatte ich Postkarten von etlichen Orten bekommen, an denen er gewesen war. Und in seiner Letzten, die ich damals bekommen hatte, als Sherlock für zwei Jahre als tot gegolten hatte, hatte er erwähnt, dass Rio de Janeiro ein Traum war und er sich nichts Schöneres vorstellen konnte, als hier zu leben. Damit war meine Vermutung, dass ich ihn hier finden würde, vollkommen richtig gewesen und nun stand er wenige Meter von mir entfernt und schaltete das Licht ein.
Er ging ein paar Schritte durch das Wohnzimmer, doch dann hielt er inne und sah sich um. Ihm schien bewusst zu sein, dass er nicht allein war, denn auf einmal zog er ein Brecheisen hinter einer Kommode hervor und hielt dies empor, ehe er sich vielsagend umsah.

Sherlock - Das Spiel des TodesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt