31. bloody hands and confused mind

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Noah

"Gut! Dann halt nicht, aber Dir ist bewusst das du dich damit nur selber zerstörst?!"

Mittlerweile war meine Stimme so laut geworden das es vermutlich jeder im Umkreis von fünfzig Metern gehört hatte.

„Tu nicht so als wüsstest du was gut für mich ist!" zischte Sofie, nicht minder wütend als ich aber um einiges gedämpfter.

„Ach ja?" ich kam ihr ganz nah, senkte meine Lautstärke ebenfalls, musste mich aber stark zurückhalten um sie nicht zu schütteln, kräftig zu packen um sie dazu zu bekommen endlich die Augen zu öffnen.

„Ich weiß zumindest eins: das es nicht gut und schon gar nicht gesund ist das Essen was man gerade noch runtergeschluckt hat gleich darauf wieder auszukotzen! Fuck Sofie!"

Beschämt aber trotzdem noch erzürnt, presste sie ihre Lippen aufeinander, schien wohl nicht zu wissen was sie darauf antworten sollte.

Doch mein Worte erreichten sie nicht, meine Sorgen, meine Ermahnungen, meine Bitten sie solle es doch wenigstens versuchen etwas mehr zu essen,- all das kam nicht an sie ran.

Die letzten Wochen hatte ich das Gefühl gehabt sie vielleicht zum Besseren zu bringen, denn sie hatte angefangen zu essen wenn sie bei mir war. Warum wusste ich nicht, denn ich hatte ihr zwar damals im Oberstufenraum mal gesagt das ich es gut fände wenn sie öfter etwas essen würde, doch ich war sicherlich nicht der erste gewesen der sie darum gebeten hatte.

Es hatte mich ehrlich gefreut das ich sie heute dazu überreden konnte, Pizza zu bestellen.
Wenn ich doch nur im Voraus gewusst hätte dass sie danach alles wieder ins Klo Erbrechen würde...

Da sie immer noch keine Anstalten machte zu sprechen, aber auch genauso wenige Einsicht zu zeigen, warf ich hilflos meinen Kopf in den Nacken und stöhnte frustriert.

„Was willst du denn damit bezwecken? Du bist doch schon dünn! Viel zu dünn!"
Im Nachhinein hätte ich da vielleicht aufhören sollen.
„Schaust du dich überhaupt im Spiegel an? Man du bist fast nichts! Ein Windstoß und du klappst um! Das is nicht gesund verstehst du?"

„Ich will nur schön sein..." flüsterte Sofie schon fast, schaute zu Boden und hatte so leise gesprochen das ich sie gerade noch verstehen konnte.
Spätestens jetzt hätte ich die fresse halten sollen.
Spätestens jetzt hätte ich sie einfach zu mir ziehen und umarmen sollen.
Doch so wie schon so oft, ließ ich meine rasenden Gefühle das Steuer übernehmen.
So wie damals.
„Das ist aber nicht schön!"
Sie war schön.
das was sie versuchte zu sein, nicht.
Aber das sagte ich nicht.
Und deswegen hob Sofie ihren Kopf und starrte mich durchdringend an, mit Tränen in den warmen Haselnuss Augen.

„Fick dich Noah."

Damit drehte sie sich um, lief die paar Meter zu der Eingangstür des Hauses zurück aus dem wir vorhin schon streitend raus gekommen waren, und verschwand.

Ich blieb noch für einige Momente wie angewurzelt stehen.

Es brauchte einige Minuten bis ich realisiert hatte was gerade passiert war.
Was ich gesagt hatte.
Und noch etwas anderes begriff ich. Nämlich das ich langsam aber sicher, Gefühle für Sofie entwickelte. Für das Mädchen was ich gerade angeschrien und fertig gemacht hatte.
Der Hass auf mich den ich verspürte wuchs und wuchs mit jeder weiteren Sekunde.

Wann war mein Leben wieder an diesen Punkt geraten?
Wann war ich aus meiner harten, gefühllosen, alles hassenden, sicheren, problemlosen Zone gekommen und war wieder zu dem geworden was ich nie wieder werden sollte verdammt?!

Mein Zorn brodelte. Zorn auf mich, auf Sofie, auf diese ganze scheiße.
Meine Hände ballten sich zu Fäusten und ohne das ich es wirklich registrierte, setzte ich mich in Bewegung, lief zur nächsten Hausmauer und schlug dagegen. Und nochmal und nochmal. So lang, bis das schmerzhafte pochen meiner Hände bis in meine Arme geflossen war und ich sie kraftlos fallen ließ.

Ich war kein guter Mensch.
Ich war es einfach nicht und das wusste ich auch.
Ich hatte mich damit abgefunden als ich hier her gekommen war, hatte einfach meine letzten zwei Jahre Schule beenden wollen und dann...
Gehen.
Weg sein, und nie wieder kommen.

Aber dann war so viel passiert.

Claire war passiert, mit ihrer mysteriösen, geheimnisvollen, abenteuerlustigen Ausstrahlung. Das Mädchen was von allen so bewundert wurde und das ich deswegen so strikt hatte ignorieren wollen. Weil ich wusste das es mit solchen Menschen nie gut endet.
Aber ich hatte versagt.

Sofie war passiert, mit ihrer so gefassten schon so erwachsenen und trotzdem aufmüpfigen Art. Die ihr Leben hinter dem Schein der Unbeschwertheit verbarg und deswegen von allen beneidet wurde. Ihr breites süßes Lächeln was mich in den Bann zog und gleichzeitig so verdammt traurig machte, weil ich wusste das sie sich selbst zerstörte. Ich hatte sie zu den anderen dazugezählt, weil ich wusste das sie genauso waren. Weil ich wusste das ich mir Tonnen an Problemen ersparen würde, würde ich Sofie meiden. Würde ich sie alle meiden. Aber ich hatte versagt.

Alle hier schienen Geheimnisse mit sich zu tragen, da fielen meine nicht großartig auf.
Meine Gefühle für Sofie waren die kleinsten davon aber auch die neusten.
Die Last wurde immer größer, weil ich mit der Vergangenheit abschließen wollte, aber nicht konnte und weil ich eigentlich versuchte alles und jeden zu meiden aber nicht konnte.
Ich konnte mit all dem nicht umgehen, ich hatte es noch nie gekonnt.

Auf einmal war ich unfassbar müde, also lief ich los, weil ich sonst vermutlich auf der Stelle umgeklappt wäre.
Ich setzte einen Fuß vor den anderen, sah nicht wohin ich ging, achtete nicht darauf.
Irgendwie kam ich am Bahnhof an.
Die Lokalbahn fuhr gerade ein, also stieg ich in ein Abteil.

„Und wenn mir alles zu viel wird dann setz ich mich einfach in ne S-Bahn oder irgendeinen Zug und fahr so lange bis es nicht mehr weiter geht"
Kamen mir Claires Worte wieder in den Sinn.

Ich war wie benebelt als ich mich auf einen der Sitze fallen ließ und meinen Kopf an der Fensterscheibe ablegte.

Sich selbst zu hassen kostete viel Kraft.
Wahrscheinlich waren deswegen so viele Menschen immer so müde.

Meine Hände waren klebrig  und der Schmerz pochte, drang jedoch gar nicht richtig zu mir durch.

So saß ich eine Weile da und beobachtete wie die Häuser und Straßen an mir vorbeizogen.

Schläfrig und zugleich hellwach, bemerkte ich nicht wie sich plötzlich eine Hand auf meine Schulter legte.

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