18. fat

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Sofie

Lustlos stocherte ich in meinem Essen herum.
Das Gemüse lachte mich von meinem Teller aus an, doch die drei Stücke Brokkoli, zwei Blätter Salat und die halbe Kartoffel lagen mir bereits wie Blei im Magen.

Ich konnte förmlich spüren wie sich diese 42 Kalorien schon in meinem Körper ansetzten.

„Weißt du, ich habe heute mit Sonja telefoniert" erhob meine mum ihre Stimme, was mich aufblicken ließ.

„Sie wird morgen vorbeikommen, dann gibt es einen sonntags brunch"
Sie lächelte.
„Und Mila wird natürlich auch dabei sein."

Genervt atmete ich auf.
„Ich seh Mila jeden Tag in der Schule, und auch wenn wir was mit den anderen machen. Muss das wirklich sein?"
Die Tatsache das Milas und meine Mutter sehr eng miteinander befreundet waren, führte immer wieder dazu das wir uns des Öfteren auch außerhalb der Schule und ohne unsere gemeinsamen Freunde sahen.

„Was soll das denn heißen?" deutlich konnte ich hören wie meine Mutter erzürnter wurde.

„Ihr zwei seid Freundinnen! Und außerdem" sie nahm einen Schluck aus ihrem Weinglas und musterte mich „könntest du dann ja mal mit ihr zusammen trainieren gehen. Oder ihr kocht zusammen etwas gesundes. Mila hat bestimmt viele Tipps, so wie dieses Mädchen aussieht."

Nur schwer konnte ich mir ein Augenrollen verkneifen.
Meine mum liebte Mila.
So wie jeder sie liebte.
Wie auch nicht, sie war schließlich wunderschön.
Und dafür musste sie nichtmal etwas tun!

Ihr Bauch war flach und dabei konnte sie keinen einzigen Klimmzug.
Ihre Beine waren dünn, trotz ihrer breiten Hüfte, ihr hintern trainiert ohne das sie trainierte, ihre Taille schlank.
Ihre Brüste hatten vermutlich die Größe DoppelD und trotzdem war der Rest ihres Körpers definiert.
Immer wieder fragte ich mich wie zur Hölle das möglich war!

Und als wäre das nicht genug hatte sie auch noch ein verdammt beschissen schönes Gesicht.

Nichtmal Claires Nase war so perfekt geschwungen, nichtmal Unns Lippen waren so voll und nichtmal meine Augen waren so groß und leuchtend blau.
Ich kannte niemanden der so reine Haut hatte und trotzdem nur junk food aß.
Ich kannte niemanden der solch eine Figur hatte aber trotzdem nie Sport machte.
Ich kannte niemanden der so wenig für sein Äußeres tat und trotzdem so perfekt war.

Sie war perfekt.

Und das bekam ich oft genug zu hören.

Obwohl Mila und ich uns nicht sonderlich leiden konnten hatten wir mehr Kontakt miteinander als man vermuten könnte.
Und auch für die anderen mussten wir wohl sehr vertraut wirken.

Nach außen hin wirkten wir wie die besten Freundinnen, obwohl wir das nicht waren.

Na gut, man dachte vermutlich auch das Claire und ich beste Freundinnen waren aber das stimmte auch nicht wirklich.
Sie war mehr wie eine Beschützerin.
Und hauptsächlich beschützte sie mich vor mir selbst.
Wie oft war ich schon heulend zu ihr gelaufen, weil ich mit dem mir selbst auferlegten Druck nicht mehr klargekommen war, weil ich das eine mal keine Disziplin gehabt und meiner Schwäche Platz gemacht hatte?
Zu oft.

Du kannst auf mich zählen

Sagte sie immer.
Und das stimmte.
Ich konnte immer auf sie zählen, und dafür verlangte sie nur eines als Gegenleistung.

Loyalität.

Claire war die einzige die alles über mich wusste.
Und sie war auch die einzige die mir helfen konnte.
Ich brauchte sie.

„Sofie!"

Durchschnitt die Stimme meiner Mutter meine Gedanken.

„Hast du mir nicht zugehört?"

„Hm?" ich blinzelte ein paar mal um wieder klar zu sehen.

„Ich habe dich gefragt ob du wieder zugenommen hast, Schätzchen." fragte sie und trotz ihres Lächelns konnte ich die Kälte in diesen Worten förmlich spüren.

In mir zog sich alles zusammen.
Ja.
Als ich mich heute auf die Waage gestellt hatte, waren es 500 Gramm mehr gewesen als gestern.
Und das alles nur weil ich diesem verdammten Stück Pizza nicht hatte widerstehen können.

Meine Stimmung war mit dem offensichtlichen, durch die Blume gesprochenen Vorwurf meiner Mutter, noch tiefer in den Keller gesunken.
Heute war einfach ein scheiß Tag.

Zögernd schüttelte ich den Kopf, starrte dabei aber konsequent auf meinen noch vollen Teller.

„Lüg mich bitte nicht an, Sofie."

Ich schluckte schwer, dann nickte ich und hörte ein Seufzen.

„Vielleicht hast du ja Lust später noch eine Runde joggen zu gehen, Hm?" als ich aufblickte und ihr in die Augen sah musste ich mich stark zusammen reißen meine Hände nicht zittern zu lassen.
Denn der Blick mit dem ich gestraft wurde, war wie ein Schlag ins Gesicht.

Langsam nickte ich erneut.

„sehr schön!" die Anspannung war plötzlich wieder verschwunden genauso wie der eiskalte Ausdruck und die harsche Stimme.

Mum lächelte mich an, tätschelte dann meine Schulter und stand auf.

„Isst du das noch?" fragte sie während sie ihren Teller nahm und deutete auf meinen.

„Nein..."

„Gut dann räum ich den mit ab."

Mein Körper war immer noch leicht verkrampft.
Als ich mich endlich aus der Starre gelöst hatte, stand ich rasch auf und lief hoch auf mein Zimmer.

Das flaue Gefühl im Magen blieb, und es lag nicht daran das er nach Essen verlangte.

Ich wollte doch nur das sie ein mal stolz auf mich war.
Ich wollte das sie mich so anlächelte wie sie Mila anlächelte oder Dina meine große Schwester, die mittlerweile für Haute Couture modelte und von einer Weltmetropole zur anderen flog.

Ich wollte das sie, wenn Dad von der Arbeit nach Hause kam, ihm strahlend erzählte was ich geleistet hatte.

Ich wollte doch nur ein mal hören, das ich keine Platzverschwendung war.

Aus einem wütenden Impuls heraus, zog ich mir mein Shirt über den Kopf und schmiss es in eine Ecke.
Gleich darauf folgte meine Hose.

Schwer atmend stellte ich mich vor meinen ganz Körper Spiegel und musterte mich.
Angewidert verzog ich mein Gesicht während ich jeden Zentimeter von mir betrachtete.

Ich griff an meine Hüfte und kniff das Fett zusammen welches sich dort lagerte.
Währe es nicht da könnte man dort viel stärker meine Hüftknochen sehen.

Tränen sammelten sich in meinen Augen.
Dann kniff ich sie zusammen.
Ich konnte mich nicht ansehen, es ging einfach nicht.
Ich war fett.
Fett und verdammt hässlich.
Schnell wand ich mich von meinem eigenen Spiegelbild ab, eilte zu meinem Kleiderschrank und riss eine leggings sowie ein Shirt heraus.
Den Sport BH trug ich schon.

Unten im Flur schlüpfte ich in meine Laufschuhe und dann war ich auch schon weg.

Ich hatte nicht mal mein Handy mitgenommen.

Scum Where stories live. Discover now