12. ehrlichkeit

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Noah

„Und du wohnst also alleine?"

Sie nickte, während sie ihre Lederjacke auszog und achtlos über einen Stuhl warf.

Langsam schlenderte ich durch den großen Raum der Einzimmerwohnung, ließ meinen Blick über das vollgestopfte Bücherregal, die am bodenliegende zwei mal zwei Meter große Matratze, den aus Plastikkisten und brettern zusammengebastelten Couchtisch, die winzige, offen angrenzende Küche und die restliche Inneneinrichtung wandern.

Es fiel mir sehr schwer, meinen aufkommenden Neid zu unterdrücken.
An sich war ich kein Mensch, der auf Besitz oder Errungenschaften anderer geierte, doch das hier war eine Ausnahme.

Was würde ich nur dafür geben alleine wohnen zu können, weg von meinen Eltern, selbständig und unabhängig.
Gleichzeit wuchs meine Missachtung gegenüber Claire weiterhin.
Eine verwöhnte Prinzessin die alles in den Arsch geschoben bekommt.

„Was geht in deinem Kopf vor?" unterbrach Claire plötzlich die stille, als hätte sie meine Gedanken gehört.

„... dass das hier förmlich nach dem Motto Daddy hat's gezahlt schreit." sagte ich offen heraus.

Neugierig schaute ich zu ihr, um ihre Reaktion zu beobachten.
Eine gekränkte Mine oder ein verteidigender Konter vielleicht?
Irgend ein Zeichen das ich sie mit dieser brutalen Ehrlichkeit berührt oder verletzt hatte.
Ich wollte wissen wie weit ich gehen konnte, wann sie endlich mal zurück schlagen würde.

Doch nichts der gleichen geschah.
Unbeirrt lächelte sie weiter, lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Küchentheke und blickte dann durch das große Fenster raus, auf die Lichter der Innenstadt.

„Du hast gar nicht so unrecht. Das hier alles, ist von meinem Vater gezahlt... nur das er nichts davon weiß." sie drehte ihren Kopf zu mir und durchbohrte mich geradezu mit ihren dunklen Augen.
„Er ist tot."

Kurze stille.

Dann räusperte ich mich.
„Oh... das tut mir leid."
Es tat mir tatsächlich leid, weil ich ganz genau wusste wie es war, einen geliebten Menschen zu verlieren.

„Wow"
Sie schmunzelte, legte ihren Kopf leicht schief und musterte mich, als wäre das was ich gerade gesagt hatte nicht etwas normales.

„So viele Menschen die mir das schon gesagt haben, und du scheinst der erste zu sein der es wirklich ehrlich meint. Der erste der es zu verstehen scheint."

Den letzten Satz hatte Claire so leise gemurmelt das es wohl mehr an sie selbst als an mich gerichtet war, doch ich hatte sie trotzdem verstanden.

„Wie kommt es das du alleine wohnst?"
Es interessierte mich wirklich, und es überraschte mich das mein Interesse an ihr anscheinend meine Abneigung Claire gegenüber überbot.

„Meine mum is abgehauen als ich vier war, und mit meiner Stiefmutter bin ich noch nie wirklich klar gekommen." sagte sie frei heraus, ihre offene Ehrlichkeit war für mich wie ein Schlag ins Gesicht.

„Mein dad hatte ziemlich viel Geld aufm Konto und deswegen kamen wir zu dem Schluss das es das beste wäre wenn sie meine Erziehungsberechtigte mit genügend Sicherheitsabstand von mehreren Kilometern ist. Das ist für sie angenehmer und für mich auch."

"Hm, so hätte ich dich gar nicht eingeschätzt."
Sagte ich, was Claire belustigt schmunzeln ließ.
„Ach ja? Wie hast du mich denn eingeschätzt?"
„Na ja" ich zuckte mit den Schultern und ließ mich auf das kleine Sofa nieder.
Auf der Fensterbank, die knapp über dem breiten Rücken des Möbelstücks verlief, lagen unter anderem auch ein halbgefüllter Aschenbecher und eine leicht verrußte Bong, was den unterschwelligen Geruch der Wohnung erklärte.

„Bis jetzt dachte ich eigentlich dass du eins dieser Mädchen bist, was alles bekommt wenn es nur mit den Fingern schnippt, was eines dieser sorglosen Leben lebt aber weil es deswegen immer so langweilig ist, die Rebellin spielen muss um seinen Reiches-Kind Frust irgendwie loszuwerden."

Claire lachte auf, und schüttelte amüsiert den Kopf. Ich war mir nicht ganz schlüssig ob sie über mich oder das eben Gesagte lachte.

„Ach weißt du wie viel ich dafür geben würde, so jemand zu sein?" sie kicherte immer noch, nahm sich einen Stuhl von dem kleinen Rundtisch, der wie das Sofa, an der Fensterwand, nur auf der linken Seite in der Ecke stand.

Sie schob das Möbelstück zu mir, und setzte sich dann verkehrt herum darauf, das die Lehne zu mir zeigte und sie ihre Arme darauf ablegen konnte.

Wieder sah sie mich mit diesem Blick an, als würde sie mich röntgen, als wäre ich ein Alien was sie erforschen wollen würde.

„Du faszinierst mich, Noah." sagte sie leise.
Ich war so perplex das ich nicht antworten konnte.

„Die Menschen lügen, weißt du? Sie lügen ohne Pause, Tag für Tag, Sekunde für Sekunde. Ich tue es auch, doch bei dir... bei dir habe ich nicht das Verlangen oder das Bedürfnis zu lügen. Es hat nicht die Notwendigkeit, verstehst du?"

Bei ihren Worten hatte sie mein Gesicht durchbohrt, mir allerdings kein einziges Mal in die Augen gesehen.
Erst jetzt tat sie es, und das mit einer Intensität  das mir eine Gänsehaut über den Körper jagte.

„Du bist so... ehrlich. Und deswegen habe ich keine Angst, auch ehrlich zu sein. Bis jetzt kannte ich niemanden der die ständige und volle Wahrheit verträgt." Ihre Augen glänzten plötzlich und ihre Wangen bekamen einen Hauch von rosa.
Sie schien wie in einem Rausch von Euphorie und ich hatte keine Ahnung warum.
Warum sollte sie so glücklich sein, nur weil ich kein Blatt vor den Mund nahm?

„Es tut so gut, das sagen zu können was man denkt. Und das gesagt zu bekommen was der andere denkt. Es ist so erfrischend!"

Skeptisch runzelte ich die Stirn.
Was tat sie da?
Spielte sie mir da irgendeine abgefuckte Show vor?

„Du bist also genauso ehrlich zu mir wie ich zu dir?" fragte ich worauf ich nur ein nicken bekam.

„Dann sag mal, warum hast du Cleo zu deinem Geburtstag eingeladen? Du kanntest bis gerade eben nicht mal ihren wirklichen Namen also kann's wohl kaum aus Sympathie gründen sein."

„Cleo also..." Claire lächelte.
„Geschickt wie du das Thema zu deinen Zwecken gelenkt hast, Noah." dann fuhr sie fort, wirkte auf einmal etwas gelangweilt.
„Ich dachte mir, dadurch das ihr zwei die letzten ein einhalb Monate so unzertrennlich wart-„
„Waren wir gar nicht!"
„Ja, klar, auf jeden Fall dachte ich mir, das sie dich bestimmt mitnehmen würde."

„Und wieso dachtest du ich würde mitkommen."

„Das wusste ich nicht. Ein gewisses Risiko ist immer dabei." Claire kicherte etwas, lehnte sich nach hinten, streckte ihre Füße nach vorne und ihre Arme durch.
Mit dem Gesicht schaute sie zur Decke, ihre langen schwarzen Haare berührten den Boden.

„Abgesehen davon is sie ja ganz süß. Ich seh doch wie gern sie mal bei einer unserer Partys dabei wäre. Auch wenn sie mich langweilt und ich kein Interesse an näherem Kontakt mit ihr habe, kann ich ihr doch eine Freude machen."

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