Er zog mich grob an meinem Arm zurück zu meinem Stuhl und schmiss mich geradezu darauf, um danach wütend hin und her zu laufen und sich mit seiner Hand durch die Haare zu fahren. Es sah so aus, als würde er angestrengt über etwas nachdenken, zudem er keine Lösung fand. 

Ich senkte meinen Blick und starrte auf meinen Schoss, weil mir die Blicke von allen Anwesenden mehr, als nur unangenehm waren, sie machten mir Angst.

„Was ist das hier?" wollte Einer, den ich noch nicht kannte, wissen und zeigte auf den Brief, den ich für meine Mutter geschrieben hatte. Ich erschrak fürchterlich, als er ihn in seine Hände nahm und schon anfangen wollte, ihn zu öffnen und zu lesen. 

„Nein, bitte nicht lesen!" flehte ich und stand auf, nur um gleich danach von einem andren wieder in meinen Sitz gedrückt zu werden. 

„Was steht drin?" fragte der Anführer, dessen Interesse anscheinend geweckt wurde und sah mich gespannt an. Ich schluckte und überlegte mir meine nächsten Worte genau.

„Es ist ein Brief," sagte ich, „an meine Mutter."

„Und warum genau denkst du, dass das die richtige Zeit ist, um einen Brief an deine Mutter zu schreiben?" wollte Derjenige, der meinen Brief hatte, wissen und lachte laut. Alle anderen stimmten mit ein, nur ich blieb stumm und versuchte, all ihren Blicken auszuweichen.

„Weil es vielleicht die letzte Gelegenheit dazu ist," gab ich flüsternd zu und wischte mir eine einzelne Träne weg.

„Wie-Wie kommst du auf sowas?" fragte mich der Anführer und setzte sich ein weiteres Mal neben mich. Als ich mich weigerte, ihn anzusehen, drehte er meinen Stuhl in seine Richtung und legte seine Finger unter mein Kinn, um sicherzugehen, dass meine Augen die seinen trafen. In dem Moment, in diesem kurzen, flüchtigen Augenblick, sah er nett aus. Aber vielleicht hatte ich mir das auch nur eingebildet, vielleicht war ich in einer Art Schockzustand, in dem ich mir selbst nicht mehr trauen durfte. 

„Weil ihr doch jetzt sicher.....Ihr werdet-Es ist-" Ich brach meinen Satz ab, weil ich nicht wusste, wie ich ihn zu Ende bringen sollte. Ich wollte die Worte nicht aussprechen, ich konnte sie ja selbst noch nicht glauben. Ich wollte nicht sterben, nicht hier und nicht so. Ich schniefte einmal laut, wandte meinen Blick aber nicht von dem Mann mir gegenüber ab. Er sollte sehen, wieviel Schmerz er und seine Leute mir zufügten. 

„Wir haben uns dazu entschieden, dich nicht zu töten," erklärte er mir und mir viel ein riesiger Stein vom Herzen. Ich fühlte förmlich, wie sich ein Knoten in meinem Hals löste und mir die Sprache wegblieb, als ich den Gangsterboss mir gegenüber mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. 

Ich würde heute nicht sterben. Wow. 

Ich wischte mir die Tränen weg und schaute einen nach dem Anderen an. Bedeutete das, sie würden mich freilassen und aus meinem Leben verschwinden? Sie würden gehen und sich nie wieder blicken lassen?

„Wir haben was anderes mit dir vor." Alles, von was ich mich vorher befreit gefühlt hatte, kam zurück und zwar in dreifacher Ausgabe. Meine Kehle schnürte sich zu und meine Hände wurden schwitzig, mein Herz raste und ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Was hatten sie vor? Würden sie mich vergewaltigen, wie sie es gestern in der Gasse schon vorgehabt hatten? Oh Gott, bitte nicht. 

„W-W-Was?" fragte ich mit zitternder Stimme und biss mir auf die Unterlippe, um mein Schluchzen zu unterdrücken. Warum konnte dieser Alptraum nicht endlich enden?!

„Du wirst dich uns anschliessen," antwortete er mir mit einer Stimmlage, bei der ich wusste, dass er nicht diskutieren wollte. Aber natürlich tat ich es trotzdem.

Ich sprang entsetzt von meinem Platz auf und trat einen Schritt zurück, bevor ich jedem einzelnen meinen tödlichsten Blick zuwarf: „Nein! Nein! Nein! NEIN! Ganz sicher nicht!"

Gangs - Taken Innocence Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt