Kapitel 16

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Ich ließ das Essen für heute ausfallen und kehrte zum Zelt zurück. Alle Leute waren auf dem großen Platz, und das einzige, was man hören konnte, waren Uhus. Meine Gedanken hingen immer noch meiner so eben geplatzten Flucht nach. Aber man konnte ja nie genug mit den Vorbereitungen anfangen... Hatte Tyler nicht letztens Messer geschärft? Mit etwas Glück könnten sie noch hier sein!

Als erstes schaute ich unter seiner Liege nach- vergeblich. Dann unter der seines Vaters. Ich durchwühlte ihre Kleidung, konnte aber auch da nichts finden. Jedes noch so kleine Versteck erkundete ich- aber nichts.

Wenn die Waffen nicht bei den Clanoberhaupt verstaut wurden, wo dann? Frustiert ließ ich mich auf mein Bett sinken und machte Übungen, um meine Konzentration zu schärfen. Das Einzige vernünftige Versteck war der Bunker. Der Bunker in dem ich aufgewacht war.

Selbst wenn mich jemand erwischen sollte, dann könnte ich immer noch behaupten, ich wäre die kleine, dumme Liv, die sich verirrt hätte, also war die Aktion gar nicht mal so riskant. Eigentlich war nichts zu riskant um an anständige Waffen ranzukommen.

Ich lauschte in die Dunkelheit, konnte aber in unmitterlbarer Nähe niemanden hören. Geduckt lief ich schnell zum Waldrand und huschte dort im Schutz der Bäum bis zu dem Kellerbunker. Das Gestein war angenehm kühl und ich ging leise die Treppen hinunter. Die Tür war verschlossen- welch ein Wunder... Der altbewehrte Trick mit der Haarnadel musste her, uns siehe da: Die Tür sprang mit einem kurzen Quietschen auf. Ich biss die Zähne zusammen und horchte auf Schritte.

Ich zählte bis zehn, dann betrat ich das Gemäuer. Bis auf den minimalen Strahl Mondlicht war es stockduster, also musste ich mich vortasten, bis mein Fuß gegen etwas Hartes stieß. Ich untersuchte die etwa kniehohe Kiste, die sich schließlich mit zwei Druckverschlussen öffnen ließ.

So vorsichtig wie möglich ließ ich meine Finger über die kühlen Klingen streichen, dann steckte ich mir vier hinten in den Hosenbund, zwei etwas größere jeweils in die Stiefel, die ich wiederbekommen hatte und zwei kleine Skalpelle in meinen BH. Also wortwörtlich die Waffen einer Frau. Ich grinste in mich hinein und ließ den Deckel wieder zuschnappen, als Schritte auf den Stufen ertönte.

,,Hallo? Ist hier jemand?" fragte eine laute, dunkle, mir noch unbekannte Stimme. Ein großer Umriss erschien in der Türschwelle und betrat den Raum. Ich drückte mich an die gegenüberliegende Wand und rutschte mehr in Richtung Tür, dann nahm ich die Beine in die Hand und sprang in drei, leisen Schritten die Treppen hoch und rannte rechts in den Wald hinein.

,,Bleib stehen, ich bin bewaffnet!" schrie der Mann noch außer sich, doch ich wusste, dass er mich eh nicht sehen konnte. Ich hätte mich immer noch als Liv zu erkennen geben können, aber hätte er durch irgendeinen Zufall die Messer in meinem Hosenbund bemerkt, dann wäre ich geliefert.

Ich verstand nur, wie der Mann die Wörter ''Scheiße'' und ''Paul'' murmelte, dann rannte er davon. Ich lief den Waldrand entlang, im Schutz der Bäume, bis ich mein Zelt erkannte. Ich gab die Deckung auf und lief geradewegs in mein "Zimmer", schmiss die Stiefel unter die Liege und deckte mich bis zum Kinn zu, ehe ich mich zur Wand drehte.

Ich brachte meinen Puls schnell runter auf Normalsequenz, ehe das Leinentuch zur Seite geschoben wurde. ,,Liv war es schon mal nicht, wie ihr sehen könnt." klang Tylers Stimme zu mir. ,,Bist du ganz sicher, dass es eine weibliche Person war, Franc?" Franc war dann wohl der Typ, der mich verfolgt hatte.

,,Ja, so sicher ich hier stehe. Zierlich, etwa eins siebzig groß und verdammt schnell." ,,Na die Beschreibung könnte auf ziemlich viele Mädchen passen, auch auf die, aus anderen Clans." schallte Pauls Stimme. ,,Es hat eh keinen Zweck den Wald jetzt noch zu durchkämmen." kam die Stimme von Tyler und die anderen verließen wieder das Zelt.

Ich atmete einmal lange aus und wollte gerade die Augen schließen, aber seltsame Geräusche hielten mich davon ab. Egal was es war: Es hörte sie eklig an und zweitens störte es mich gewaltig beim Einschlafen. Auf barfuß schlich ich mich aus dem Zelt und was ich da sah, ließ mir fast die Kinnlade runterklappen.

Der Anfang des EndesWhere stories live. Discover now